
Endlich Daten zur Fußball-Bundesliga
Als Fan des Fußballs der Frauen ist die Situation der Daten zu vergangenen Sportereignissen mehr als unbefriedigend. Wie sahen die Aufstellungen in den 90er-Jahren in der Bundesliga aus? Wer waren die Trainer*innen, wie viele Zuschauende waren da und wer hat Karten bekommen?
All das war bisher auch 45 Jahre nach dem Start der Bundesliga nicht vorhanden. Der DFB hat dieses Thema nun endlich aufgegriffen und die Daten angefangen zu aktualisieren. Sie werden nach und nach veröffentlicht und visualisiert (siehe hier).
Matthias Lösing hat dieses Projekt als Senior Produktmanager beim DFB mit-initiiert und umgesetzt.

Wie ist das Projekt zur Datenaufarbeitung der Bundesliga entstanden und was ist deine Rolle als „Produktmanager“ hierbei?
Das Thema „Spieldaten“ ist beim DFB noch verhältnismäßig jung. Daher haben wir uns in den vergangenen Jahren darum bemüht, zunächst die historischen Spieldaten unserer Nationalmannschaften und Wettbewerbe zu vervollständigen. In diesem Rahmen haben wir uns zunächst um die Beschaffung der Daten gekümmert, die bereits verfügbar waren, was vor allem unsere Nationalmannschaften betraf.
Es fiel sehr schnell auf, dass die Basisspieldaten der Frauen-Bundesliga seit 1997 ebenfalls vorhanden und zugänglich waren, dass über die Jahre der zweigleisigen Frauen-Bundesliga von 1990 bis 1997 aber keinerlei Informationen vorlagen. Aus diesem Grund war es auch nicht möglich, die damals erbrachten Leistungen entsprechend zu würdigen, ebenso fehlte damit auch die Grundlage, um die heutigen Leistungen richtig einzuordnen und wertzuschätzen. Durch das stetig wachsende Interesse an der Frauen-Bundesliga wurden auch immer mehr Rückfragen an uns als DFB herangetragen, die weder wir noch andere Quellen beantworten konnten.
Diesen Zustand wollten wir so schnell wie möglich ändern.



In meiner Rolle als „Manager Spieldaten“ beim DFB gehört es zu meinen Aufgaben, Produkte auf der Basis von Spieldaten zu entwickeln, um diese in die Berichterstattung rund um unsere Wettbewerbe und Mannschaften einzubauen und dem Fan interessante und spannende Mehrwerte zu bieten. Spieldaten werden aber erst richtig greifbar, wenn sie in einen Gesamtkontext eingeordnet werden. Und dafür ist die vollständige, datenseitige Abbildung der Wettbewerbshistorie unabdingbar. Aus diesem Grund habe ich das Projekt initiiert und auch geleitet.
Wie viel Vorkenntnisse zum Fußball der Frauen (oder zur Datenpflege?) hattest du/ihr?
Ich habe mich immer sehr für Fußball und Statistiken insgesamt interessiert und bin seit mittlerweile 15 Jahren im Bereich der Erhebung, Qualitätssicherung aus Produktentwicklung von Spieldaten tätig. Die Jahre vor meiner Zeit beim DFB war ich im reinen Männerfußball tätig. Durch meine Tätigkeit beim DFB bin ich natürlich noch intensiver mit dem Frauenfußball, vor allem aber auch mit der Frauen-Bundesliga in Kontakt gekommen. Eines meiner ersten Projekte war die Einführung der offiziellen Spieldatenerfassung in der Frauen-Bundesliga zur Saison 2023/2024. Damit haben wir dafür gesorgt, dass in der höchsten Spielklasse der Frauen Spieldaten auf dem exakt gleichen Niveau erhoben werden, wie man es aus der Bundesliga und der 2. Bundesliga der Männer, aber auch von den großen internationalen Fußballligen der Männer gewohnt ist.
Über unsere offizielle Spieldatenerfassung werden bei jedem Spiel in der Frauen-Bundesliga mehr als 270 unterschiedliche Metriken in Echtzeit erfasst und stehen sowohl den Vereinen für spielanalytische Zwecke und ihrer eigenen Berichterstattung als auch unseren Medienpartnern für deren Berichterstattung zu jeder Zeit zur Verfügung. Darüber hinaus werden für jedes Frauen-Bundesliga-Spiel Positionsdaten erfasst, aus denen sich dann beispielsweise Laufleistungen und Geschwindigkeiten der Spielerinnen ergeben. In diesem Bereich ist die Bundesliga im Frauenfußball international sicherlich führend. Daher hatte ich vor dem kürzlich abgeschlossenen Projekt der historischen Spieldaten bereits große Vorkenntnisse im Frauenfußball. Ich muss aber ehrlicherweise auch eingestehen, dass mir die Historie der Bundesliga natürlich nicht in dem Umfang bekannt war, wie sie es nun durch das Projekt ist.
Wie bist du/seid ihr das Thema angegangen? Was waren die Prioritäten?
Wir hatten zuvor schon immer wieder versucht, Informationen über öffentlich zugängliche Quellen zu erhalten, aber sehr schnell festgestellt, dass es für die Jahre der zweigleisigen Frauen-Bundesliga von 1990 bis 1997 keinerlei Informationen gab. Daher war uns bei der Projektplanung auch von Beginn an bewusst, dass es eines sehr großen Aufwandes bedarf, um unsere Projektziele zu erreichen. Diese haben wir auf die Basisspieldaten beschränkt, also Aufstellungen, Trainer*innen, Schiedsrichter*innen, Spielerinnenwechsel, Karten und Torschützinnen. Ob wir die angestrebte Vollständigkeit erreichen würden, haben wir zu Projektbeginn aufgrund der großen Informationslücke stark bezweifelt.
Der erste Impuls mit Projektstart war: Wir als DFB sind und waren doch immer die spielleitende Stelle, also müssten die Spielberichte auch bei uns im Archiv vorhanden sein. Daher haben wir die Kollegen aus dem Archiv mit ins Boot geholt, die uns mitteilen konnten, dass alle Spielberichte der Frauen-Bundesliga über die Jahre digitalisiert wurden und dementsprechend zur Verfügung stehen. Wir haben diese Spielberichte anschließend sortiert, saisonweise zusammengefügt und diese unserem Dienstleister zur Verfügung gestellt, mit dem wir dieses Projekt zusammen umgesetzt haben.
Im Anschluss wurden sämtliche Spielberichte der 1.295 Spiele händisch in die Datenbank übertragen, was ca. drei Monate in Anspruch genommen hat.

Da die Spielberichte jedoch damals handschriftlich ausgefüllt wurden, waren einige Angaben teilweise nicht zu entziffern oder unvollständig. Grundsätzlich konnten wir aber auf diese Weise schon die Fragen nach Rekordspielerinnen, Trainer*innen etc. beantworten, was bereits ein enormer Fortschritt war. Die größte Herausforderung waren jedoch die Tore bzw. die Torschützinnen: In den Spielberichten war zwar immer das Endergebnis vorhanden, nicht aber, wer die Tore erzielt hat. Darüber hinaus gab es keine überregionale Berichterstattung.
Da es sich bei dieser Frage aber um den im Fußball entscheidenden Datenpunkt handelt, war für uns auch direkt klar, dass wir versuchen möchten, diese zu ermitteln. Zu Beginn der Recherche hatten wir die Hoffnung, für ca. 70 Prozent dieser Tore die Schützin herausfinden zu können. Insgesamt haben wir in sechs Monaten alle knapp 4.800 Tore und ihre Torschützinnen über die Archive unzähliger Lokalzeitungen zusammengetragen und sind Anfang September bei null fehlenden Torschützinnen gelandet, was ein nicht für möglich gehaltener Erfolg ist.
Mit wem habt ihr zur Datenerhebung und Validierung zusammengearbeitet? Wurden Vereine oder auch Einzelpersonen kontaktiert?
Zunächst haben wir mit dem Unternehmen HEIM:SPIEL zusammengearbeitet, das uns im Rahmen des Projektes die Datenbasis und die Infrastruktur bereitgestellt und alle Rechercheergebnisse in die Datenbank überführt hat. Mit der Recherche der Torschützinnen haben wir vor allem den renommierten Fußball-Historiker Udo Muras beauftragt, der wirklich außergewöhnliche Arbeit geleistet hat und ohne den dieses Ergebnis nicht möglich gewesen wäre. Natürlich haben wir auch die betroffenen Vereine kontaktiert, aber ein Archiv über die damalige Zeit war in den seltensten Fällen vorhanden, sodass letztendlich nur die Recherche über die Regionalzeitungen blieb. Unterstützung haben wir in dem Projekt auch von Martin Neu, einem weiteren Fußball-Historiker erhalten und auch diversen Einzelpersonen aus dem Umfeld der damals beteiligten Vereine gilt für ihre teilweise sehr große Unterstützung ein besonderer Dank, ebenso meiner Kollegin Sophia Jakob (Managerin Spieldaten).
Was war die größte Herausforderung?
Eindeutig die Recherche der knapp 4.800 Torschützinnen.

Wie geht ihr mit Namensänderungen in der Datenbank um?
Unser Anspruch ist es, die aktuellen Namen in der Datenbank, aber natürlich auch in den sich daraus ergebenden Produkten abzubilden. Sofern uns also eine Namensänderung bekannt ist (beispielsweise durch eine Hochzeit), ändern wir den Namen in der Datenbank direkt. Die Voraussetzung dafür ist aber natürlich, dass wir Kenntnis über die Änderung erhalten. Gleiches gilt für Namensänderungen aus anderen Gründen. Für den Fan ist das jedoch nicht immer nachvollziehbar und insbesondere ehemalige Spielerinnen sind nicht mehr unter ihrem damaligen Namen zu finden, was zu Verwirrungen führen kann. Hierzu werden wir uns für die Zukunft eine Lösung überlegen.
Warum wurde das Thema nicht früher angegangen? Bzw. Wir haben als LV ja seit 2020 auch immer wieder versucht, auch zum DFB Kontakt aufzunehmen und das Thema zu platzieren. Gab es vorher schon Initiativen? Wenn ja, woran hing es, dass es nicht angegangen wurde?
Ich selbst bin seit November 2021 beim DFB, daher kann ich zu der vorherigen Zeit nichts sagen. Das Thema betrifft aber nicht nur die Frauen-Bundesliga, auch für andere Mannschaften und Wettbewerbe liegen nicht alle Basisspieldaten vollumfänglich vor. Wir sind nun mit der Frauen-Bundesliga gestartet, weil ihre Historie die meisten Lücken und die schlechteste Datenlage aufwies. Letztendlich geht es bei diesen Projekten aber auch um Prioritäten und da war die Einführung der offiziellen Spieldatenerfassung in der Frauen-Bundesliga im Sommer 2023 ein noch deutlich größeres Unterfangen, mit dem wir die Frauen-Bundesliga in diesem Bereich auf ein komplett neues Level gehoben haben, auch im internationalen Vergleich.
Was sind die nächsten Daten, die ihr verarbeiten/erheben wollt? Gibt es Pläne, Daten zum Fußball der Frauen allumfassender zu erheben? Wenn es Daten über den Fußball der Männer sind: warum?
Das Projekt „Historische Daten“ lebt so lange weiter, bis wir die Historie unserer Mannschaften und Wettbewerbe vervollständigt haben. Wie eben erwähnt, war die Frauen-Bundesliga hier der Anfang und wir sind bereits in den Planungen bei weiteren Ligen und Wettbewerben, sowohl Frauen als auch Männer. Grundsätzlich ist aber zu erwähnen, dass die Datengrundlage und Verfügbarkeit im Männerfußball historisch bedingt deutlich besser ist als im Frauenfußball.
Was passiert mit den Daten des DFB Data Center und was ist der Unterschied der beiden Plattformen?
Bei der neuen Website der Frauen-Bundesliga unter https://frauen-bundesliga.dfb.de/ geht es darum, dem Fan einen visuell ansprechenden und spannenden Einblick in die aktuelle Frauen-Bundesliga zu bieten. Hier werden (auch live) alle erhobenen Spieldaten dargestellt und der Fan erhält hier Informationen und Content, die sonst keine Plattform in dieser Tiefe bietet. Auf der Website steht vor allem die Aktualität in der Frauen-Bundesliga im Vordergrund.
Auch die nunmehr 35-jährige Geschichte der Frauen-Bundesliga und die in dieser Zeit erbrachten Leistungen werden im Bereich „Historisches“ entsprechend gewürdigt. Auf diese Weise lassen sich die aktuellen Leistungen in den Gesamtkontext einordnen und das demnächst anstehende 325. Spiel von Svenja Huth in der Liga wird greifbarer und besonderer, wenn gleichzeitig nachgeschaut werden kann, dass sie damit auf dem geteilten 8. Platz in der Liste der ewigen Rekordspielerinnen liegt. Das Datencenter auf DFB.de ist eher ein reiner Statistikbereich und auch hier werden die neu erfassten Daten demnächst abgebildet werden.

Die Erstellung einer solchen Datenbank ist mit personellem und vermutlich auch finanziellen Aufwand verbunden. Stellt der DFB für solche Projekte finanzielle Mittel zur Verfügung oder sind solche Projekte auch mit einer Erlöserwartung verbunden?
Ein solches Projekt ist neben den personellen natürlich auch mit finanziellen Aufwänden verbunden, die entsprechend eingeplant werden. Dieses Projekt haben wir aber vor allem vor dem produktstrategischen Hintergrund umgesetzt und erwarten keine direkten Erlöse hierdurch. Sicherlich bilden die erfassten Daten aber eine Grundlage für viele weitere spannende Produkte.
Was ist deine liebste Information bzw. liebste Geschichte, die aus den neuen erhobenen Daten heraus entstanden ist?
Da muss ich gleich drei Geschichten nennen: 1) Ich selbst habe mich ab Mitte der 1990er Jahre so richtig mit Fußball beschäftigt. Daher kannte ich unsere leider in diesem Jahr verstorbene Kollegin Doris Fitschen nur als Abwehrchefin und wurde während des Projektes davon überrascht, dass sie zu Beginn ihrer Karriere Stürmerin war und in der Frauen-Bundesliga 129 Tore in 199 Spielen erzielt hat. Sie liegt damit auf dem 16. Platz der ewigen Rekordtorschützinnen der Frauen-Bundesliga. 2) Das Spieldaten-Team ist beim DFB der gleichen Abteilung zugeordnet, in der auch Renate Lingor ist, die sich um die DFB- All Stars kümmert.


Als ich ihr das erste Mal vorgestellt habe, was wir im Spieldaten-Team so machen, hat sie mir direkt gesagt, dass sie selbst nicht weiß, wie viele Spiele sie in der Frauen-Bundesliga bestritten und wie viele Tore sie erzielt hat. Daher habe ich ihr zum Start des Projektes mit einem Augenzwinkern gesagt, dass genau das unser ultimatives Ziel ist und glücklicherweise konnten wir das auch erreichen. 3) Spannend war vor allem die Frage nach der ewigen Rekordtorschützin der Bundesliga: Es zeichnete sich relativ schnell ab, dass es ein enges Rennen zwischen Birgit Prinz und Inka Grings werden würde. Schlussendlich konnten wir diesen Titel Inka Grings zusprechen, die vier Tore mehr als Birgit Prinz erzielt hat. Die Quote von 340 Toren in „nur“ 270 Spielen ist unvorstellbar. Sie hat in 12 ihrer 16 Spielzeiten in der Frauen-Bundesliga mehr Tore erzielt als sie Einsätze hatte. Auch ihre 38 Tore in 21 Einsätzen in der Saison 1999/2000 sind unerreicht.

Welches Feedback habt ihr bisher erhalten?
Bisher haben wir sowohl intern als auch extern ein sehr positives Feedback erhalten, was uns natürlich freut. Gerade auch die Reaktionen der ehemaligen Nationalspielerinnen und unserer heutigen Kolleginnen fällt sehr positiv aus und zeigt, dass wir mit diesem Projekt etwas geschafft haben, was in unserem Sinne war: Wir können nun die Gesamthistorie der Frauen-Bundesliga mit vielen spannenden Geschichten erzählen und die erbrachten Leistungen geraten nicht in Vergessenheit bzw. werden durch die nun möglichen Geschichten noch einmal hervorgehoben. Sicherlich gibt es auch einige Weiterentwicklungsmöglichkeiten, die wir in Zukunft angehen möchten und freuen uns über Kritik und Verbesserungsvorschläge.
Vielen Dank für das Interview und eure Zeit.
Wenn ihr nach dem Interview Zeit und Lust habt: Schaut euch die Daten an, hinterfragt, kontrolliert sie und gebt dem Team vom DFB eure Rückmeldung unter Matthias.Loesing[at]dfb.de.
Beitragsbild: Collage aus IMAGO/Oliver Schneider (Grings), IMAGO/Beautiful Sports (Hausicke), IMAGO/Sportnah (Schwald), IMAGO/foto2press (Himmighofen) und IMAGO/Funke Foto Services (Hoffmann).

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