
Copa 71: Die vergessene WM von 1971
Das Finale der „Copa 71“ zwischen Dänemark und Mexiko im Estadio Azteca in Mexiko-Stadt verfolgen 110.000 Zuschauer*innen, bis heute ist es das meistbesuchte Frauensportereignis. Trotz des Heimvorteils unterliegt Mexiko mit 0:3, alle drei Tore schießt die erst 15-jährige Susanne Augustesen. Es sind die Art von Zahlen und Fakten, die nach Fußballgroßturnieren im Gedächtnis bleiben und noch Jahrzehnte später unter Fußballenthusiast*innen kursieren – jedenfalls sollte es so sein. Doch statt öffentlicher Anerkennung wurden die Spielerinnen für ihre Teilnahme gedemütigt und die FIFA weigert sich bis heute, das Turnier als WM anzuerkennen. Die erste FIFA-Frauen-WM findet erst 20 Jahre später statt.
Die ehemaligen Spielerinnen im Fokus
Die Dokumentation Copa 71 von Rachel Ramsay und James Erskine, produziert unter anderem von Venus und Serena Williams, widmet sich der Entstehungs- sowie Verdrängungsgeschichte der Copa 71, die vom 15. August bis 5. September 1971 in Mexiko stattfand. Dabei stehen besonders die Erfahrungen der Spielerinnen aus den teilnehmenden Ländern England, Argentinien, Dänemark, Mexiko, Italien und Frankreich im Fokus.
Die Interviews mit Teilnehmerinnen sowie die Verwendung des Archivmaterials der Copa 71 sind der emotionale Kern der Dokumentation. Aus den Worten der Spielerinnen wird deutlich, wie wichtig dieses Turnier für sie war und heute noch ist – und wie bitter andererseits die Enttäuschung darüber, wie sie nach dem Turnier behandelt wurden.
Von Anfang an war uns klar, dass wir einen Film machen wollten, der nicht nur die historische Ungleichheit hervorhebt, sondern auch die involvierten Frauen wirklich feiert und ihnen die Möglichkeit gibt, gehört und anerkannt zu werden.
Rachel Ramsey & James Erskine
Aus den Erzählungen geht hervor, dass die Frauen zwar alle aus unterschiedlichen Kontexten kommen, sie aber eint, dass der Weg zum Fußballspielen mit großen Herausforderungen verbunden war. Dementsprechend überwältigend ist es, plötzlich im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit zu stehen, vor tosenden Mengen zu spielen und Spiele der anderen Teams sogar im Fernsehen verfolgen zu können – das war zuvor den Männern vorbehalten gewesen.

Als Zuschauer*in ist es ebenfalls beeindruckend, die Spielausschnitte zu sehen, denn auch wenn Aufnahmen vom Fußball der Frauen aus den 1970ern gibt, so sind normalerweise eher keine riesigen, ausverkauften Stadien zu sehen, ist kein ohrenbetäubender Jubel zu hören.
Den Machern ging es nicht um Förderung
Die Copa 71 brachte dem Frauenfußball plötzliche internationale Aufmerksamkeit. Dabei ist aber wichtig, im Blick zu behalten, dass das Turnier keineswegs aus Gründen der Förderung der Frauen ins Leben gerufen wurde. Durch die Männer-WM, die 1970 in Mexiko stattgefunden hatte, gab es bereits die Infrastruktur für große Fußballturniere, so dass der Gedanke aufkam, es würde sich finanziell lohnen, im Anschluss noch ein Frauenturnier stattfinden zu lassen. Mit Martini Rosso gab es einen Sponsor, der bereits im Jahr zuvor in Italien ein ähnliches Turnier ermöglicht hatte und der für Trikots und Reisen aufkam – Geld erhielten die Spielerinnen nicht.
Die Copa 71 zeigte eindrucksvoll das kommerzielle Potential des Frauenfußballs, löste aber auch sofort sexistischen und misogynen Reaktionen aus, auf institutioneller Ebene verkörpert durch die FIFA und nationale Fußballverbände. Fast alle Teilnehmerinnen berichten, dass sie nach der Rückkehr von der WM verschiedenen Verboten begegneten, die sie daran hinderten, auch nur ansatzweise professionell Fußball zu spielen. Beispielweise wurde es Frauen verboten, in von der FIFA zugelassenen Stadien zu spielen, anderswo erlaubten Vereine nur Männer-Teams.

Es sind allerdings nicht nur strukturelle Barrieren, mit denen die Frauen nach der Copa 71 zu kämpfen haben, in vielen Ländern werden die Spielerinnen regelrechte öffentlich gedemütigt. Durch die mediale Berichterstattung und das Verhalten von Vereinen wird ihnen vermittelt, sie müssten sich für die Teilnahme an dem Turnier schämen. Die öffentliche Verurteilung wirkte so stark, dass die Spielerinnen aufhörten, über die Copa 71 zu sprechen – und teilweise auch nicht weiter Fußball spielten.
Der Film verpasst Bezüge ins Jetzt
Copa 71 vermittelt, wie es möglich war, das Turnier regelrecht in Vergessenheit zu drängen – und wie die emotionalen und strukturellen Komponenten zusammen funktionieren. Durch gutes Zusammenführen des Archivmaterials und der Interviews mit Spieler*innen und Expert*innen ist die Doku keine trockene Nacherzählung, sondern sehr lebendig. Kurze Sequenzen mit den ehemaligen US-amerikanischen Spielerinnen Brandi Chastain und Alex Morgan stelle Bezüge zu den Entwicklungen der letzten Jahre her, allerdings sind diese Interviews fast etwas überflüssig und passen nicht so gut in den Erzählstil der restlichen Doku.
Stattdessen wäre noch mehr Zeit mit den Teilnehmerinnen schön gewesen, denn mit den Ausschnitten ist sicherlich noch nicht alles zu den Erfahrungen aus der Zeit in Mexiko gesagt. Insgesamt geht es in Copa 71 viel um strukturelle Hürden und Verbote sowie diskriminierende Diskurse, gegen die sich die Frauen wehren. Was leider fehlt, sind Hinweis dazu, dass auch heute noch nicht alle Frauen gleichermaßen Zugang zu professionellem Fußball (und Sport im Allgemeinen) haben und zum Beispiel trans Frauen systematisch ausgeschlossen werden. Ein Doku kann natürlich nie alles einschließen, trotzdem wäre es an der einen oder anderen Stelle wünschenswert gewesen, Verbindungen zwischen diskriminierenden Strukturen herzustellen.
Die Beschäftigung mit der Copa 71 animiert zu vielen „Was-wäre-wenn“-Fragen, an erster Stelle: Was wäre, wenn statt Sanktionen nach der Copa 71 Frauenfußball nachhaltig gefördert worden wäre? Es ist frustrierend, zu verstehen, dass es nach einem großen Fortschritt viele Rückschritte gab, trotzdem lassen sich auch daraus Lehren ziehen. Dass die Geschichte des Turniers und der Spielerinnen nun erzählt wird, erlaubt es, beides mit heutigen Diskursen um Kommerzialisierung und Zugänglichkeit zu verknüpfen. Die Doku Copa 71 ist ein weiterer Schritt in der Aufarbeitung der eben nicht so jungen und gradlinigen Frauenfußballgeschichte. Sie sorgt hoffentlich dafür, dass die nächsten Generationen an Fußballfans sich ganz selbstverständlich an dieses Turnier erinnern.
Originaltitel: Copa 71
UK 2023
Laufzeit: 91 Min.
Regie: Rachel Ramsay, James Erskine
Kinostart Deutschland: 26. 06. 2025
Hallo Lina,
danke für deinen toller Artikel. Komme gerade aus dem Kino und stimme dir in allen Punkten zu. Auch ich hätte lieber noch mehr Ausschnitte von früher gesehen und noch mehr Anekdoten von den beteiligten Spielerinnen gehört.