Aitana Bonmatí im Trikot Spaniens, sie nimmt gerade einen Ball mit dem Außenrist an während sie schaut, wo sie als nächstes hinspielen kann.

Spanien: Können die Weltmeisterinnen endlich auch Europa erobern? EM-Vorschau

Nach der Dominanz der letzten Jahre kaum vorstellbar: Spanien konnte bisher nie einen EM-Titel gewinnen. Nach der WM 2023 und der Nations League 2024 ist damit das Ziel von Bonmatí, Putellas und Co klar: bei der Europameisterschaft in der Schweiz soll es endlich so weit sein.

Die Spanierinnen sind die absoluten Top-Favoritinnen und treffen in ihrer Gruppe B auf Portugal, Belgien und Italien. Neben der sportlichen Analyse ist es unerlässlich auf die Nachwirkungen von Luis Rubiales‘ Übergriff nach der gewonnen WM und die schwierige Rolle von Nationaltrainerin Montse Tomé zu blicken, die vom Glass-Cliff-Phänomen betroffen ist.

Spaniens EM-Historie: Noch ohne Titel, aber auf dem Vormarsch

Die amtierenden Weltmeisterinnen nahmen 1997 erstmals an einer EM teil, die damals noch mit acht Teams gespielt wurde. Aus der Gruppe ging es deshalb direkt ins Halbfinale, wo gegen Italien dann Schluss war. Das ist bis heute das beste Abschneiden bei einer EM. Die nächste Teilnahme gab es erst 2013 wieder, dreimal hintereinander ging es ins Viertelfinale, aber eben nicht darüber hinaus. Von Turnier zu Turnier wurde das spanische Nationalteam von Außenseiterinnen, zu Geheimtipps bis zu den Top-Favoritinnen von heute.

Spielplan in der Gruppe B

2. Juli, 21:00 Uhr: Spanien vs. Portugal (Genf)

7. Juli, 18:00 Uhr: Spanien vs. Belgien (Thun)

11. Juli, 21:00 Uhr: Italien vs. Spanien (Basel)

Für die Spanierinnen sollte diese Gruppe kein Hindernis sein, Italien und Portugal sind zwar auf einem guten Level, haben beide aber nicht die Qualität, um ihnen den ersten Platz streitig zu machen. Bei einem Gruppensieg ginge es weiter gegen die Zweiten der Gruppe A (Schweiz, Norwegen, Island, Finnland), richtig herausfordernd wird es also erst ab dem Halbfinale.

Der Weg zur EM: Nations League-Triumph als Fingerzeig

Zur EM geht es als eines der acht besten Teams der Nations League A 2024. Den Wettbewerb wurde außerdem mit einem 2:0 gegen die Französinnen im Finale gewonnen. Auch in diesem Jahr haben die Spanierinnen wieder das Halbfinale erreicht, dabei nur ein einziges Spiel verloren: Im Februar gab es eine 0:1-Auswärtsniederlage gegen England. Die anderen beiden Teams in der Gruppe waren Belgien und Portugal, man kennt sich vor der EM also bestens. Die Anzahl der Gegentore aus diesen Partien ist bemerkenswert, denn beide trafen jeweils dreimal über Hin- und Rückspiel.

Montse Tomé: Es ist kompliziert

Montserrat „Montse“ Tomé übernahm die spanische Nationalmannschaft als erste Frau auf dieser Position unter schwierigen Umständen im September 2023, nachdem ihr Vorgänger Jorge Vilda nach dem Skandal von Luis Rubiales‘ Übergriffigkeit gegen Jennifer Hermoso entlassen worden war. Man kann auch fast zwei Jahre nach all dem ihre Trainerinnentätigkeit und die sportlichen Leistungen der Spanierinnen nicht komplett aus diesem Kontext lösen.

Montse Tomé in Hemd und Jackett von der Hüfte aufwärts am Spielfeldrand, sie hat beide Arme ungefähr auf Kopfhöhe und beide Zeigefinger ausgestreckt, gibt ihren Spielerinnen so Anweisungen. Ihre Stirn ist beim Sprechen gerunzelt, ihr dunkles Haar trägt sie in einem Dutt.
Montse Tomé beim Spiel von Spanien gegen Portugal in der Nations League am 8. April 2025. Foto: IMAGO/NurPhoto

Rubiales wurde zu einer Geldstrafe wegen des sexuellen Übergriffs verurteilt, der Vorwurf der Nötigung gegen ihn, Jorge Vilda, den damaligen Sportdirektor Albert Luque und den damaligen Marketingchef Fußballverbandes, Rubén Rivera, wurde vom aber Gericht fallen gelassen, Hermoso legte deshalb Berufung ein.  Nötigung bezieht sich in den Fall auf den Druck gegenüber Hermoso, sich zu der Tat von Rubiales öffentlich positiv zu äußern und ihre Kritik zurückzunehmen.

Die 43-jährige Tomé war vorher lange Vildas Assistentin, ihre Beförderung zur Cheftrainerin wurde kritisch betrachtet, weil es keinen richtigen Neuanfang gab. Sie wurde von Jorge Vilda zu der Versammlung beordert, bei der Rubiales nach der WM 2023 seinen Rücktritt verweigerte, mit anderen weiblichen Staff-Mitgliedern wurde Tomé gezwungen sich bei seiner Rede in die erste Reihe zu stellen, um Unterstützung zu symbolisieren. Sie und andere aus dieser Gruppe veröffentlichten einen Tag danach ein Statement, in dem sie ihre Ämter beim RFEF zur Verfügung stellten, um Hermoso und Team zu unterstützen.

Schwieriges Verhältnis zu Jennifer Hermoso

Aufsehen erregte, dass Tomé Hermoso nach der WM 2023 vorerst nicht nominierte, mit der Begründung sie „schützen“ zu wollen – gegen den Willen von Hermoso selbst („Wovor oder vor wem soll ich mich schützen?“). Anfang 2025 vor Gericht bei ihrer Aussage im Rubiales-Prozess führte Tomé zunächst sportliche Gründe an und führte auf Nachfrage aus, dass es keinen Druck vom Verband gegeben habe, Hermoso nicht zu nominieren, beim Schutz sei es ihr um die Medien gegangen. Demgegenüber sagten alle von Hermosos ebenfalls aussagenden Mitspielerinnen vor Gericht, sie hätten diese Entscheidung in keinerlei Hinsicht nachvollziehen können. Hermoso habe sich einfach ein normales Leben gewünscht, inklusive Nationalelf. Tomé sagte bei diesem Prozess auch aus, von der Tragweite des Skandals beim WM-Finale erst Tage nach der Heimkehr nach Spanien erfahren zu haben.

Auch Spielerinnen wie Irene Paredes und Misa Rodríguez wurden zeitweise nicht berufen, nachdem sie in der Doku „It’s All Over: The Kiss That Changes Spanish Football“ über den Rubiales-Fall gesprochen hatten. Paredes ist im diesjährigen EM-Kader, Rodríguez und Hermoso nicht. Sie wurde seit Oktober nicht mehr nominiert, nachdem sie zwischenzeitlich letztes Jahr bei den Olympischen Spielen wieder im Nationalteam war.

Tomé sagte zur Nicht-Nominierung Hermosos für die EM, es gäbe viel Konkurrenz im Mittelfeld und andere Spielerinnen hätten bessere Saisons gehabt. Hermoso setzte als Reaktion Social-Media-Postings bei X (ehemals Twitter) ab: „Ich habe ein reines Gewissen – umso mehr, wenn ich mich von einem Umfeld mit derart negativer Energie fernhalte. Ich twittere, weil es die einzige Möglichkeit ist, die übrig bleibt, ein Gespräch zu führen. Sie [Tomé] soll sich darauf konzentrieren, Spanien zum Europameister zu machen – auch wenn das wohl sogar besser ohne sie klappen würde.“

Zu all dem kamen während Tomés Amtszeit immer wieder Kommunikationsprobleme, sowohl sportlicher Natur als auch anderer. Sie hat auf Pressekonferenzen mehrfach betont, dass sie nicht Vilda ist, sondern ihre eigene Person und dass es ihr bei der Kaderzusammenstellung immer nur um Leistungen gehe, aber sie wird die Vorwürfe der Einflussnahme durch den Verband auf ihre Entscheidungen nicht so richtig los.

Drei Spanische Fans halten Trikots mit der Rückennummer Zehn von Jennifer Hermoso hoch. Im Vordergrund hält ein anderer eine Spanien-Flagge.
Nations League Anfang Juni 2025: Jennifer Hermoso wurde erneut nicht nominiert, einigen Fans scheint das nicht zu passen, sie halten ihr Trikot hoch. Foto: IMAGO/AOP.Press.

Das liegt daran, dass die RFEF in der Vergangenheit immer wieder kritische Spielerinnen aussortiert hat, allen voran Verónica Boquete, die der aktuellen Generation regelmäßig öffentlich zur Seite springt. Durch den Gerichtsprozess und die Berufung Hermosos steht der Vorwurf im Raum, es könne sich in Hermosos Fall der Nicht-Nominierung um eine Vergeltungsmaßnahme des Verbandes handeln. Sportlich betrachtet ist die Nicht-Nominierung nachvollziehbar, aber Hermosos Reaktion spricht dafür, dass die Kommunikation schlecht gelaufen ist.

Tomés Perspektive: Balance-Akt auf der „Gläsernen Klippe“

In einer Talkshow im März 2025 zeigte Tomé sich von ihrer persönlichen Seite und deutete an wie schwierig die Situation für sie selbst ist: „Ich habe [nach dem WM-Sieg] vor Trauer geweint, weil es mir leid tat, dass es auf diese Weise so gekommen ist. Andere Male aus Wut. Manchmal war es unfair, bestimmte Dinge zu lesen, aber: Ich bin hier, weil es mir Spaß macht. Ich versuche, bei der Arbeit ehrlich zu sein, professionell zu sein und meine eigenen Ideen zu haben, die ich aus meiner Erfahrung als Spielerin und Trainerin gewonnen habe.“

Unzufriedenheit über Nicht-Berücksichtigung sei normal, aber die Gesamtsituation war es vor allem am Anfang ihrer Amtszeit eben nicht: „In der Situation ging es den Spielerinnen nicht gut, und wir mussten lernen, damit umzugehen. Ich habe mich ihnen gegenüber nie schlecht gefühlt, ich hatte nie das Gefühl, dass ich in einer Situation war, in der ich sagen musste: ‚Das geht gar nicht‘. Sie sind eine außergewöhnliche, professionelle Gruppe, die eine schwierige Zeit durchgemacht hat. Wir haben versucht, ihnen zu helfen und das Beste aus der Situation zu machen.“

Wie auch schon auf vielen ihrer Pressekonferenzen nach dem Urteil gegen Rubiales betonte sie auch hier, dieses Kapitel abschließen und endlich wieder mehr über Fußball reden zu wollen: „Diese Zeit haben wir hinter uns gelassen, das müssen wir auch. Wir müssen Stabilität haben.“

Das ist ein Satz, den so oder ähnlich Männer im Fußball sagen, gegen die es Vorwürfe gibt, mit denen sie sich nicht mal fünf Minuten lang auseinandersetzen wollen. Im Fall von Tomé ist er – bei allen kritischen Aspekten und teils widersprüchlichen Aussagen – auf gewisse Art verständlich, denn sie und ihr Staff haben nun mal seit fast zwei Jahren die undankbare Aufgabe, unter hohem Erfolgsdruck das zu reparieren, was andere rücksichtslos kaputtgemacht haben.

Das ist das weit verbreitete Glass-Cliff-Phänomen („Gläserne Klippe“): Frauen bekommen eine Führungsrolle wahrscheinlicher dann, wenn der Karren längst an die Wand gefahren wurde, vielleicht nur noch unliebsame Methoden helfen und die Chance auf ein Scheitern deshalb hoch ist. Andere Beispiele aus dem Fußball wären Donata Hopfen und die DFL oder auch Christina Rühl-Hamers als Vorständin Finanzen, Personal & Recht beim FC Schalke 04. Das anzuerkennen bedeutet nicht, alle Maßnahmen oder Aussagen der davon betroffenen Personen gut zu finden. Es hilft aber dabei, die jeweilige Situation der jeweiligen Person innerhalb des patriarchalen Systems zu verstehen und den Druck, unter dem sie von mehreren Seiten steht.

Montse Tomés Vertrag läuft nach aktuellem Stand aus

Einerseits müssen die vom Phänomen Betroffenen aus einer Position heraus, in der Scheitern wahrscheinlich ist, das Maximum herausholen, werden dabei von der patriarchalen Struktur kritisch beäugt, Fehltritte fallen schwerer ins Gewicht als bei jedem Vorgänger.

Eine allzu deutliche Kritik an diesen Strukturen ist oft nicht möglich, ohne entlassen zu werden. Andererseits fordert der kritische/feministische Teil der Öffentlichkeit häufig genau das und bewertet auf seine eigene Weise alles besonders streng, weil „die Eine“ plötzlich für „alle“ steht. Dieser Druck hat unweigerlich Auswirkungen auf alle Beteiligten und in diesem Fall möglicherweise auch auf den Fußball.

Und es ist eben in beide Richtungen eine schwierige Gemengelage, wenn eine Nationaltrainerin wie Montse Tomé vor Gericht als Zeugin bei einem Prozess gegen ihre ehemaligen Vorgesetzten aussagen soll, während sie noch immer beim entsprechenden Arbeitgeber angestellt ist und Personal-Entscheidungen treffen soll.

Wie lange das noch so weitergeht, ist aktuell offen, denn Tomés Vertrag läuft nach der EM aus. Anfang des Jahres wurde verbandsseitig kommuniziert, man würde gerne verlängern, nur geschehen ist das eben nicht. Gut möglich, dass es stark vom Erfolg bei der EM abhängt: nach dem Nations-League-Titel 2024 wurde bei den Olympischen Spielen das Spiel um Platz Drei gegen Deutschland verloren, jetzt muss schon der EM-Titel her. Auch das ein Symptom der Glass-Cliff.

Spielweise: Viel Ballbesitz, Gefahr bei gegnerischen Kontern

Spielerisch hat Spanien seit Jahren eine klare Identität: Aus einer 4-3-3 Grundformation heraus geht es um Kontrolle durch möglichst viel Ballbesitz mit geduldigem Aufbauspiel und vielen kurzen Pässen. Damit das funktioniert, bildet das Team durch die Bewegung der einzelnen Spielerinnen auf dem Feld immer wieder Dreiecke, weil die Spielerin mit Ball dann viele Optionen hat.

Um auf engem Raum Platz für dieses Kurzpassspiel zu schaffen, machen in dieser klaren Struktur Spielerinnen immer wieder Läufe, die dazu dienen, eine Gegenspielerin aus der Position zu ziehen und so für eine Mitspielerin einen Passweg zu öffnen. Wer das genauer beobachten und verstehen möchte, muss eigentlich nur mal eine Halbzeit lang Aitana Bonmatí beobachten, auch wenn sie gerade nicht am Ball ist.

Bei Angriffen ist fast das komplette spanische Team im und um den gegnerischen Sechzehner in Bewegung, die Gegnerinnen werden regelrecht eingeschnürt. Auffällig ist die Asymmetrie dabei, das heißt: Die beiden Außenverteidigerinnen stehen unterschiedlich hoch, wenn man die Abwehrkette als Linie aufmalen würde, wäre sie also schief. Olga Carmona läuft von ihrer Position als Linksverteidigerin bis weit nach vorn auf den offensiven Flügel und bleibt an der Außenlinie. Ona Batlle auf ihrer rechten Seite geht zwar auch nach vorn, hält sich dabei aber weiter zurück. Das bedeutet auch, dass die einzige Absicherung die beiden Innenverteidigerinnen ungefähr auf Höhe des Mittelkreises sind.

Konteranfälligkeit

Das macht die Spanierinnen bei Ballverlust anfällig für Konter, vor allem eben über Spaniens linke Seite. Besonders starke Gegnerinnen schaffen es aber auch, die beiden Innenverteidigerinnen aus ihren Positionen zu locken und dann kann es auch durch die Mitte oder über Spaniens rechte Seite gefährlich werden. In den seltenen Fällen, in denen Spanien über längere Zeit in die Defensive gedrängt wird, ist die Formation ein 4-1-4-1 oder ein klassisches 4-4-2.

Im Angriffsmodus besetzt Alexia Putellas im Zehnerrinnenraum, bewegt sich immer wieder auch zur linken Seite, während Bonmatí einen relativ breiten Aktionsradius hat. Sie läuft oft als letzte Angreiferin noch sehr spät noch in den Strafraum ein und ist dann nicht richtig gedeckt. Auf diese Art erzielen sowohl Spanien als auch Barcelona viele Tore.

Im Sturmzentrum spielte zuletzt häufig Esther González, gelegentlich auch Salma Paralluelo. Die Linksaußen-Spielerin wird im Nationalteam aber häufiger auf dem rechten Flügel eingesetzt, während links Cláudia Pina oder Mariona Caldentey aufgestellt werden. Während Pina häufig den direkten Weg zum Tor sucht, ist Caldentey eher eine mitspielende Stürmerin. Sie kann sehr vielseitig eingesetzt werden. Im Angriff hat Tomé also die Qual der Wahl und kann auf unterschiedliche Stärken setzen.

Mariona Caldentey im roten Trikot Spaniens mitten in der Schussbewegung. Vor und hinter ihr laufen Georgia Stanway und Lucy Bronze.
Mariona Caldentey beim Spiel Spaniens gegen England Anfang Juni in der Nations League. Die Arsenal-Spielerin glänzte im Wettbewerb als Vorlagengeberin mit fünf Assists. Foto: IMAGO/NurPhoto.

Trotzdem hat Spanien immer wieder Probleme klare Torchancen zu erspielen gegen Teams, die sich tief hinten reinstellen und nicht aus der Ruhe bringen lassen. Und leider muss Tomé sich in einer Hinsicht einen Vergleich mit Jorge Vilda gefallen lassen, denn auch ihr In-Game-Management, also das Reagieren auf neue Situationen und taktische Umstellungen der Gegnerinnen, lässt bisher in wichtigen Spielen zu wünschen übrig, zu sehen war das bei den Olympischen Spielen. Insgesamt gibt es unter ihr aber weniger merkwürdige Startelf-Entscheidungen.

Stärken und Schwächen

Stärken: Die Spielerinnen kennen sich teilweise seit der Jugend und auch das Spielsystem ist ihnen sehr vertraut. Trotz aller Störfaktoren im eigenen Verband gab es mit dem WM-Titel 2023 und dem Gewinn der Nations League 2024 zuletzt zwei Titel, die weiteres Selbstbewusstsein geben. Und natürlich ist die Technik der einzelnen Spielerinnen herausragend. Das Team attackiert früh und erobert Bälle oft in gefährlichen Zonen zurück, der Kader ist auch in der Breite stark besetzt.

Schwächen: Eine gewisse Anfälligkeit bei Kontern und zum Teil auch bei gegnerischen Standardsituationen, Cata Coll lässt sich durch Pressing manchmal zu Fehlern verleiten. Die Spielerinnen haben in Europa die höchste Spielbelastung, die spanische Saison ging sehr lang und bei manchen war am Ende der Akku sichtbar leer.

Der EM-Kader: Ohne Hermoso, mit Top-Talenten López und Pina

Tor: Adriana Naclares (Athletic Club), Cata Coll (Barcelona), Esther Sullastres (Sevilla)

Abwehr: Laia Aleixandri (vereinslos), Ona Battle (Barcelona), Olga Carmona (Real Madrid), Jana Fernández (Barcelona), María Méndez (Real Madrid), Leila Ouahabi (Manchester City), Irene Paredes (Barcelona)

Mittelfeld: Aitana Bonmatí (Barcelona), Patri Guijarro (Barcelona), Vicky López (Barcelona), Alexia Putellas (Barcelona), Maite Zubieta (Athletic Bilbao)

Angriff: Mariona Caldentey (Arsenal), Athenea del Castillo (Real Madrid), Lucía García (Monterrey), Esther González (Gotham FC), Cristina Martin-Prieto (Benfica), Salma Paralluelo (Barcelona), Cláudia Pina (Barcelona), Alba Redondo (Real Madrid)

Das Mittelfeld wird von den Barcelona-Stars um Ballon d’Or-Gewinnerin Aitana Bonmatí und Alexia Putellas dominiert, dazu kommt Supertalent Vicky López, die sich vor großem Publikum ins Rampenlicht spielen könnte. Auch in der Offensive setzt Tomé auf eine Mischung aus etablierten Kräften wie Mariona Caldentey und jungen Talenten wie Cláudia Pina.

Fazit: Top-Favoritinnen mit offener Rechnung

Spaniens Stärken sind offensichtlich: ein eingespieltes System, herausragende Einzelspielerinnen und die Erfahrung großer Turnier-Erfolge, vor allem des WM-Titels. Wichtig wird sein, dass trotz der vermeintlich einfachen Gruppe die Spannung im Team hoch ist und Tomé nach der langen Saison im richtigen Maß rotiert. Dass man den harten Brocken lange aus dem Weg geht, kann Vorteil und Nachteil sein: Einerseits lassen sich Kräfte sparen, andererseits ist es manchmal besser, wenn Teams schon früh richtig geprüft werden.

Denn Spanien ist nicht unschlagbar und zuletzt anfällig für Gegentore. In einem Halbfinale oder Finale könnte es deshalb Probleme geben, wenn die Gegnerinnen sicher verteidigen und sowohl schnell als auch eiskalt kontern können. Das ist Sarina Wiegmans Engländerinnen oder auch Taktikfuchs Peter Gerhardssons mit den Schwedinnen, an einem richtig guten Tag vielleicht sogar erneut Deutschland zuzutrauen. Aber sie alle müssten sich dafür in der aktuellen Form sehr strecken. Deshalb ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Europameisterinnen in diesem Jahr aus Spanien kommen – und eine Leerstelle im Trophäenschrank füllen.

Beitragsbild: IMAGO/Pressinphoto

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Annika Becker berichtet als Journalistin unter anderem für OneFootball und sportschau.de über die Bundesliga der Frauen. In ihren Kolumnen für web.de beleuchtet sie die strukturellen Themen im Fußball. Seit 2022 gehört sie zur Jury des Guardian für die Wahl der „100 Best Female Footballers In The World“. Becker ist Teil der Crew von „FRÜF – Frauen reden über Fußball“, ansonsten podcastet sie bei der „Halbfeldflanke“ und ist als Expertin zum Beispiel im DLF oder bei der BBC zu hören. Für den Rasenfunk war sie bei der WM 2023 in Australien. An den Wochenenden findet man sie auch privat meist im Stadion, denn Beckers Fußball-Herz schlägt für zwei Ruhrgebietsvereine: den FC Schalke 04 und die SGS Essen.

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