Ada Hegerberg im roten Trikot Norwegens mit Kapitäninnnen-Binde schaut zum rechten Bildrand, etwas unscharf im Hintergrund ist Caroline Graham Hansen zu sehen.

Norwegen: Gegen den Gastgeberinnen-Fluch. EM-Vorschau

Kann Norwegen unter der neuen Trainerin Gemma Grainger bei der Fußball-EM 2025 in der Schweiz wieder zu alter Stärke zurückfinden?

Nach enttäuschenden Auftritten bei den letzten Turnieren steht das Team um die ehemalige Weltfußballerin und Kapitänin Ada Hegerberg vor einer schwierigen Gemengelage: Einerseits steckt das Team noch im Umbau, andererseits sind die Erwartungen in der vergleichsweise schwachen EM-Gruppe A direkt hoch. Denn alles andere als der erste Platz würde im Land der ehemaligen Europa-, Welt- und Olympia-Siegerinnen wohl als Enttäuschung gewertet werden.

Titelreiche Geschichte vs. Gegenwart

Norwegen kann auf eine beeindruckende EM-Geschichte zurückblicken, denn 1987 und 1993 wurde die Europameisterschaft gewonnen, dazu kommen vier zweite Plätze, zuletzt 2013. Bei den letzten beiden Europameisterschaften schied das Team jedoch bereits in der Gruppenphase aus, 2022 gab es u.a. eine 0:8-Niederlage gegen England.

Der Spielplan in der Gruppenphase bei der EM 2025

Gruppe A:

  • 2. Juli, 21:00 Uhr: Schweiz – Norwegen (Basel, St. Jakob-Park)
  • 6. Juli, 18:00 Uhr: Norwegen – Finnland (Sion, Stade de Tourbillon)
  • 10. Juli, 21:00 Uhr: Norwegen – Island (Thun, Arena Thun)

Norwegen eröffnet das Turnier gegen die Schweiz. Die EM-Gruppe A ist sehr ähnlich zur Nations-League-Gruppe A2, in der Frankreich statt Finnland stand.

Norwegens Weg zur EM

Die Norwegerinnen erreichten die EM 2025 über die Playoffs, nachdem sie sich als Drittplatzierte der Nations-League-Saison 2024 hinter Italien und den Niederlanden nicht direkt qualifizieren konnten. In den EM-Playoffs setzten sie sich gegen Albanien und Nordirland jeweils deutlich durch. In der Nations League 2025 gab es knappe Ergebnisse: Nur gegen die Schweiz konnte Norwegen beide Male gewinnen (2:1 und 1:0), gegen Island gab es zwei Unentschieden (0:0 und 1:1) und gegen Frankreich zwei Niederlagen (0:1 und 0:2).

Trainerin: Engländerin Gemma Grainger

Gemma Grainger trat im Januar 2024 als Trainerin von Wales zurück, um das Angebot aus Norwegen annehmen zu können. Zu dem Zeitpunkt hatte sie Wales rund drei Jahre trainiert und war knapp an einer WM-Qualifikation gescheitert. Weil das walisische Nationalteam in der Nations League abstieg und sich mit dem von Grainger eingeleiteten Generationswechsel schwertat, gab es vereinzelt Kritik. Der Verband schien aber zufrieden mit dem, was die Engländerin mit begrenzten Mitteln erreicht hatte.

Das Interesse des norwegischen Verbandes schien folgerichtig. Auch hier gibt es einen Generationenwechsel und auch wenn Norwegen in vielerlei Hinsicht eine andere Größenordnung ist als Wales, sind die Mittel ebenfalls begrenzt: Die Toppserien, Norwegens höchste Liga im Fußball der Frauen, ist sportlich in Europa inzwischen abgeschlagen, Spielerinnen zieht es auch aus finanziellen Gründen in andere Länder und die Jugend-Ausbildung ist nicht so konstant wie die Schwedische.

Grainger hingegen kann neben ihrer Zeit für Wales auch viele Jahre bei verschiedenen Jugendteams der englischen FA nachweisen. Die bald 43-jährige Engländerin steht damit vor der bisher größten Herausforderung ihrer Trainerinnenkarriere: ein traditionsreiches Team wieder zurück an die Weltspitze zu führen. Dafür muss sie die individuellen Qualitäten zu einem funktionierenden Ganzen zusammenfügen. Die EM 2025 ist ihr erstes großes internationales Turnier.

Gemma Grainger steht am rechten Bildrand und schaut nach links, unscharf hinter ihr aufgereiht ihr Staff, Grainger hat blondes Haar zu einem Knoten zusammengesteckt, trägt ein schwarzes Sacko mit Norwegen-Anstecknadel und ein weißes T-Shirt darunter. Sie guckt neutral bis ernst.
Gemma Grainger und Staff vor dem Spiel in der Nations League gegen die Schweiz am 3. Juni 2025. Foto: IMAGO/Bildbyran.

Spielweise und Taktik

Norwegen setzt auf ein aggressives Gegenpressing nach Ballverlust und, falls es nicht zum Ballgewinn kommt, einen kompakten zentralen Defensivblock mit einem klassischen 4-4-2. Je nachdem wie brenzlig es gerade ist, lässt sich Ingrid Engen aus dem defensiven Mittelfeld zusätzlich in die Abwehr zurückfallen, damit ihre Kolleginnen auf die Flügel herausrücken können.

Offensiv ist schnelles Umschalten angesagt und weil Bayern Münchens Tuva Hansen als linke Verteidigerin dann sehr weit mit nach vorn schiebt, wird die Formation häufig eher zu einem 3-5-2 mit Hegerberg und Graham Hansen vorn. Die 30-jährige Flügelspielerin des FC Barcelona wird neben ihren Vereinskolleginnen manchmal vergessen, dabei wäre sie besonders nach der Saison 2023/24 eine verdiente Ballon d’Or-Gewinnerin gewesen.

Anders als im Verein spielt die Dribblerin für Norwegen eine freie Rolle zentral hinter und neben Hegerberg, rochiert dabei immer wieder mit den beiden anderen offensiven Flügelspielerinnen. Deren Besetzung war zuletzt nicht immer dieselbe, Arsenals Frida Maanum erhielt auf der linken Seite häufiger den Vorzug vor Chelseas Guro Reiten. Maanum ist eigentlich eine zentrale Mittelfeldspielerin und zieht dann von außen nach innen. Rechts scheint Celine Bizet als klassische, breit-spielende Flügelspielerin gesetzt.  

Stärken: Die größte Stärke liegt in der individuellen Klasse der Offensivspielerinnen. Mit Caroline Graham Hansen, Ada Hegerberg, Frida Maanum und Guro Reiten verfügt das Team über vier starke Angreiferinnen, die jedes Team vor Probleme stellen können. Auf dem Papier sollten sie sich zudem gut ergänzen können. Nach absoluten Stimmungstief bei der WM 2023 um die dann entlassene Ex-Trainerin Hege Riise scheint sich das Team zudem stimmungstechnisch wiedergefunden zu haben und die Kommunikations-Achse zwischen Trainerin Grainger, Kapitänin Hegerberg und Team scheint zu funktionieren.

Schwächen: Die defensive Stabilität hat sich unter Grainger verbessert, was sich in den knappen Ergebnissen der Nations League widerspiegelt. Trotzdem kann in diesem Bereich der Kader nicht mit der Offensive mithalten und die Abwehrspielerinnen sind nicht besonders schnell. Ist das Gegenpressing einmal überspielt, wird es gefährlich. Dazu fehlt vorne trotz der großen Namen die Durchschlagskraft. Es liegt in der Natur der Herangehensweise, doch gerade gegen tiefstehende Gegnerinnen tut Norwegen sich mitunter schwer – und auf solche wird man in der Gruppe treffen.

Der EM-Kader 2025

Tor: Cecilie Hauståker Fiskerstrand (AC Florenz), Aurora Mikalsen (1. FC Köln), Selma Panengstuen (SK Brann)

Abwehr: Guro Bergsvand (Wolfsburg), Thea Bjelde (Vålerenga), Marit Bratberg Lund (Benfica), Tuva Hansen (Bayern München), Mathilde Harviken (Juventus), Maren Mjelde (Everton), Emilie Woldvik (Rosengård)

Mittelfeld: Vilde Bøe Risa (Atlético Madrid), Ingrid Engen (vereinslos), Signe Gaupset (SK Brann), Justine Kielland (Wolfsburg), Frida Maanum (Arsenal), Lisa Naaslund (Manchester United), Guro Reiten (Chelsea),

Angriff: Celin Bizet Ildhusøy (Manchester United), Caroline Graham Hansen (Barcelona), Ada Hegerberg (Lyon), Synne Jensen (Atlético Madrid), Karina Sævik (Vålerenga), Elisabeth Terland (Manchester United)

Kritik am Kader gibt es von mehreren Seiten, weil Sophie Román Haug und Marthine Østenstad nicht nominiert wurden. Die 26-jährige Haug von Liverpool hatten Expert*innen und Fans als eine wichtige Alternative im Angriff gesehen. Østenstad hingegen ist eine 24-jährige Innenverteidigerin, ihr wurde die 35-jährige Maren Mjelde vorgezogen, das hätten im Zuge des Umbruchs einige Beobachter*innen in Norwegen gern anders gesehen. Andererseits fährt Mjelde nun zu ihrer 5. EM und bringt sehr viel Erfahrung mit.

Fazit: Was heißt Wundertüte auf Norwegisch?

Ein Kader, der Caroline Graham Hansen, Ada Hegerberg, Frida Maanum und Guro Reiten aufbieten kann, ist für Gegnerinnen eine Herausforderung. Die Qualität ist zweifellos vorhanden, die Frage ist, ob Gemma Grainger es schafft, diese in konstante Leistungen umzumünzen und ob die Defensive hält. Aufgrund der Einzelspielerinnen ist Norwegen eigentlich Top-Favorit auf den Gruppensieg und mit etwas Glück und aktiv mitspielenden Gegnerinnen geht dann vielleicht bis ins Halbfinale. Aber da sind eben auch die knappen Ergebnisse in der Nations League, die schlechten Turniere zuletzt und tiefstehende Gegnerinnen in der Gruppenphase, sowie ein weiterer, kurioser Umstand.

Der Gastgeberinnen-Fluch

Schon bei den letzten beiden Europameisterschaften hatte Norwegen jeweils die Gastgeberinnen in der eigenen Gruppe und Glück brachte das nicht, denn beide Male ging es nach der Gruppenphase nach Hause. 2017 in den Niederlanden eröffnete Norwegen gegen die Gastgeberinnen und verlor 0:1, 2022 gab es am zweiten Gruppenspieltag die erwähnte 0:8-Packung von England.

Noch weiter geschaut verloren die Norwegerinnen überraschend das Eröffnungsspiel gegen Neuseeland bei der WM 2023. Bei der aktuellen Form der Schweiz wirkt es nicht so, als könnte sich das wiederholen, andererseits kann das Heim-Publikum pushen und aus norwegischer Sicht wird es mit den Erfahrungen aus der Nations League dann vielleicht plötzlich doch ungemütlich eng in der Gruppe. Wahrscheinlich pendelt es sich am Ende bei einem Aus im Viertelfinale ein.

Beitragsbild: IMAGO/Bildbyran

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Annika Becker berichtet als Journalistin unter anderem für OneFootball und sportschau.de über die Bundesliga der Frauen. In ihren Kolumnen für web.de beleuchtet sie die strukturellen Themen im Fußball. Seit 2022 gehört sie zur Jury des Guardian für die Wahl der „100 Best Female Footballers In The World“. Becker ist Teil der Crew von „FRÜF – Frauen reden über Fußball“, ansonsten podcastet sie bei der „Halbfeldflanke“ und ist als Expertin zum Beispiel im DLF oder bei der BBC zu hören. Für den Rasenfunk war sie bei der WM 2023 in Australien. An den Wochenenden findet man sie auch privat meist im Stadion, denn Beckers Fußball-Herz schlägt für zwei Ruhrgebietsvereine: den FC Schalke 04 und die SGS Essen.

3 thoughts on “Norwegen: Gegen den Gastgeberinnen-Fluch. EM-Vorschau”

  1. @news "Ein Kader, der Caroline Graham Hansen, Ada Hegerberg, Frida Maanum und Guro Reiten aufbieten kann, ist für Gegnerinnen eine Herausforderung."

    Einfach Tuva Hansen in dieser Reihe ausgelassen. Ich bin empört.

      1. @abecker @news
        Ich bin Bayernfan. Diese Aussage ist mit meinem Mindset nicht kompatibel

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