Jacqueline Meißner links im Bild und Kirsten Schlosser rechts im Bild stehen Arm in Arm nebeneinander. Meißner im Trikot hat den Kopf zu Schlosser gedreht und lächelt sie an. Schlosser hält einen Blumenstrauß in der freien Hand und ist sichtlich gerührt.

Kirsten Schlosser: Abschied von der SGS Essen nach fast vier Jahrzehnten

Nach 38 Jahren im Verein als Spielerin und Co-Trainerin verlässt Kirsten Schlosser die SGS Essen und wurde mit Markus Högner, Sophia Winkler und anderen nach dem letzten Heimspiel der Saison verabschiedet.

Das Wetter meint es gut mit der SGS Essen. Ein Umbruch wirkt nicht ganz so hart, wenn man ihn tief genug in goldenes Licht taucht. Und ein 0:0 gegen Freiburg ist schon okay, wenn die Punkteteilung keinem mehr weh tut und man im abendlichen Sonnenlicht im T-Shirt auf der Tribüne sitzen kann

Der traditionelle Mecker-Rentner im Mittelblock hat natürlich trotzdem was zu maulen an diesem Freitagabend beim letzten Heimspiel der Saison im Stadion an der Hafenstraße: Die Potsi soll die Tricks lassen („Wir sind doch nicht im Zirkus!“). Die Fürst macht einfach alles falsch – bis auf den Außenristpass in den Lauf der Teamkollegin, der war ganz okay. Immer spielen die die Bälle ins Abseits! Und überhaupt: „Ohne Jaci Meißner hätten die ein Problem.“ Gut, manchmal hat auch ein Mecker-Rentner recht.

Essens Kapitänin Jacqueline Meißner ist an diesem Abend einfach immer da, wo sie sein muss. Und so steht sie, kurz nachdem sie in der 93. Minute auch die letzte Freiburger Torchance vereitelt hat, schon wieder auf dem Rasen bereit, um die humpelnde Sophia Winkler in die Arme zu nehmen.

Kein leichter Weg

Die junge, hochtalentierte Torhüterin, die Anfang März am Knie operiert wurde, wird nach diesem letzten Heimspiel der Saison vom Verein offiziell verabschiedet. Und sie ist bei weitem nicht die einzige. Mannschaft und Betreuerstab bilden ein Spalier und alle müssen durch: Winkler, Cheftrainer Markus Högner, Co-Trainerin Kirsten Schlosser, Torwarttrainer Jörg Vesper, Athletiktrainer Yao Dzossou, Physiotherapeut Shota Shimokawa und die Spielerinnen Anja Pfluger, Emely Joester, Aline Allmann, die kurz zuvor auf dem Rasen noch ihr Bundesliga-Debüt geben durfte, und Fee Kockmann, die mit nur 20 Jahren wegen anhaltender Kniebeschwerden ihre aktive Karriere beenden muss.

Für einige von ihnen ist es erkennbar kein leichter Weg.

Winkler geht ihn Arm in Arm mit Stürmerin Laureta Elmazi. „Ich war acht Jahre bei der SGS. Die Leute hier sind inzwischen wie eine Familie für mich und das macht den Abschied natürlich sehr schwer“, sagt die 21-jährige Torhüterin später, als im Stadion langsam die Lichter ausgehen.  Was traut sie der SGS in der kommenden Saison zu? „Viel“, sagt Winkler, „Klar, aktuell sind wir auf dem neunten Platz, aber wir haben letzte Saison bewiesen, dass wir in Essen mit unseren Möglichkeiten extrem gute Leistungen bringen können.“

Neues Trainer*innen-Team in Essen

Auch Markus Högner, der demnächst zum Dann-wohl-Drittligisten BVB nach Dortmund wechselt, glaubt an die Chancen seines aktuellen Teams. „Essen konnte die Mannschaft größtenteils zusammenhalten und ich glaube schon, dass sie nächste Saison wieder eine gute Rolle spielen werden. Vielleicht tut es auch der einen oder anderen Spielerin gut, dass sie mal eine andere Ansprache bekommen, ein anderes Trainerteam. Da muss sich jede nochmal neu zeigen.“

Markus Högner steht mit verschränkten Armen, aber direkt in die Kamera grinsend. Hinter ihm ist die Tribüne voller Fans mit lila-weißen Fahnen, rechts im Bildhintergrund ein Kameramann und ein Tonmann, links im Bildhintergrund kommt Högner Nachfolger Augustin aus dem Spielerinnentunnel.
Markus Högner vor seinem letzten Heimspiel mit der SGS Essen als Cheftrainer Sein Nachfolger Robert Augustin kommt hinten links aus dem Tunnel. Foto: IMAGO/FUNKE Foto Services.

Ein bekanntes Gesicht im künftigen Trainerteam ist Högners derzeitiger Assistent Robert Augustin. Er wird in der neuen Saison zum Teamchef aufsteigen. Ihm zur Seite stehen dann Co-Trainerin Britta Hainke und Thomas Gerstner, der gleichzeitig die neu geschaffene Position des Sportlichen Leiters übernimmt. „Gerstner war jahrelang Fußballprofi und hat darüber hinaus eine gewisse Lebenserfahrung. Und Britta Hainke hat in Gütersloh bewiesen, dass sie auch eine exzellente Trainerin ist“, sagt Högner über die beiden Neuzugänge im Trainerteam der SGS. „Ich glaube, das passt ganz gut. Wenn die drei schnell zusammen finden, werden sie die Mannschaft auch nach vorne bringen.“

Beim 1. Fanclub SGS Essen waren sie zunächst alle überrascht von Högners Wechsel nach Dortmund. „Man kann aber auch verstehen, dass Markus neue Wege gehen möchte“, sagt Clubmitglied Melli. Högners Weggang reiße jedoch ein großes Loch. Umbrüche seien sie bei der SGS zwar gewohnt. „Aber dieser hier wird groß.“

„Sophia war unser Rückhalt auf dem Platz“

Dass gleich drei Stützpfeiler des Teams wegbrechen, sei hart. Zu diesen zählen sie beim Fanclub neben Högner auch Sophia Winkler. „Sophia war unser Rückhalt auf dem Platz“, sagt Melli, „Wir wussten: Wenn sie im Tor steht, ist immer jemand zur Stelle.“ Übel genommen habe der jungen Torhüterin den Wechsel nach Frankfurt trotzdem niemand im Club, sagt Melli. „Als wir gehört haben, wo sie hingeht, waren wir alle fein damit. Für uns ist es ein Verlust, aber für Sophia ist es der richtige Schritt.“ Nachdem Winkler zum ersten Mal in die A-Nationalmannschaft berufen worden sei, „war klar, dass wir sie nicht halten können“, meint Linda, Fanclub-Mitglied wie Melli. „Sie ist aus meiner Sicht die zukünftige Nummer 1 im deutschen Team.“

Der verlorene SGS-Stützpfeiler Nummer drei ist für Linda und Melli Co-Trainerin Kirsten Schlosser. „Sie ist eine Art Ankerpunkt“, findet Linda. „Egal, was ist: Schlotti ist immer da. Sie ist sowohl für die Mannschaft als auch für uns Fans wichtig. Ich erinnere mich noch gut an letztes Jahr in Wolfsburg. Das war wirklich kein tolles Spiel unseres Teams. Aber am Ende kam Schlotti im Block vorbei und hat jedem Essener Fan die Hand geschüttelt. Ich glaube, das beschreibt ganz gut, was für ein Mensch sie ist.“

„Schlotti ist der Inbegriff einer Co-Trainerin“

Kirsten Schlosser ist gebürtige Essenerin. Sie kam Anfang 1987 als Spielerin nach Essen-Schönebeck. Seitdem hat sie den Verein nie verlassen. Hauptberuflich leitet Schlosser ein Schwimmbad in Duisburg – und ist seit 21 Jahren Co-Trainerin der SGS in der Bundesliga.

„Kirsten ist ein echtes Urgestein, das immer total hinter diesem Verein gestanden hat“, sagt Markus Högner. „Sie ist der Inbegriff einer Co-Trainerin. Akribisch, fleißig und zu 100 Prozent verlässlich.“

Auf dem Rasen des Stadions an der Hafenstraße steht eine Reihe von ca 20 ehemaligen SGS Essen Spielerinnen in Trikots aus verschiedenen Zeiten des Vereins und hält ein Banner hoch auf dem "Danke Schlotti! 1987 bis 2025" steht und viele Fotos von Kirsten Schlosser abgedruckt sind. Sie selbst steht rechts im Bild vor der Gruppe mit Gesicht zur Kamera und Fantribüne hinter der Kamera mit beiden Armen dankend nach oben gestreckt, in der einen Hand hält sie einen Blumenstrauß.
Kirsten Schlosser winkt bei ihrer Verabschiedung den Fans, die ihr minutenlang applaudieren. Im Hintergrund ehemalige Spielerinnen der SGS Essen. Foto: IMAGO/Beautiful Sports.

„Schlottis“ Abschied von den Fans an der Hafenstraße wird am Freitagabend nach dem Spiel dann auch besonders zelebriert. Eine große Gruppe ehemaliger Mitspielerinnen und Spielerinnen überreicht der sichtlich gerührten Co-Trainerin ein riesiges Abschiedsplakat mit Fotos aus ihrer Zeit bei der SGS. „Ich bin sehr stolz und dankbar, dass mir da so viel Wertschätzung entgegengebracht wird“, sagt Kirsten Schlosser, nachdem sich das Stadion geleert hat. „Bei unserem letzten Saisonspiel in München wird es nochmal ein letzter schwerer Schritt, denke ich. Aber das heute hier zu Hause an der Hafenstraße war am schwierigsten. Wenn man 300 Leute umarmen muss, ist das nochmal was anderes. In Bayern wird der Kreis kleiner sein“, vermutet „Schlotti“.

„Für uns als Fans ist der große Abschied hier und heute“

Damit dürfte sie recht haben. „Auf dem Rasen in München wird es für die Spielerinnen und das Trainerteam vielleicht nochmal emotional und dann im Bus nach Hause“, vermutet Fanclub-Mitglied Melli. „Für uns als Fans ist der große Abschied hier und heute an der Hafenstraße. Wegen der blöden Anstoßzeit können viele von uns in München gar nicht dabei sein.“

Im Übrigen kann ja auch keiner garantieren, dass sie in München nächsten Sonntag überhaupt das richtige Licht für solch einen Essener Umbruch haben.

Ein Interview mit Kirsten Schlosser findet ihr hier.

Beitragsbild: IMAGO/Sports Press Photo

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Lisa Seiler ist freie Journalistin. Als Grundschülerin hat sie ihr Taschengeld am Kiosk um die Ecke in den „Kicker“ investiert. Aber nur montags, für mehr reichte es nicht. An Lisas Kinderzimmertür hing jahrelang ein Poster von „Icke“ Häßler. Irgendwann stellte sie fest, dass nicht nur Männer, sondern auch Frauen Fußball spielen können und so kann ihr ältester Sohn heute den Namen „Sjoeke Nüsken“ fehlerfrei aussprechen, weiß, dass es zwei Kopfballungeheuer gibt, nämlich Horst Hrubesch und Alexandra Popp, und kann die Schützin des schönsten Golden Goals der deutschen Fußballgeschichte nennen: Nia Künzer. Reine 1:0-Berichterstattung ist nicht Lisas Ding, dafür mag sie Interviews, die tiefer gehen und den Blick hinter die Kulissen. Unter anderem den hinter die des Fußballs der Frauen.

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