Schiedsrichter Stuart Attwell steht zentral im Bild auf dem Rasen des Tottenham Fußballstadions und spricht in sein Headset, seine beiden Arme sind locker diagonal vor dem Oberkörper ausgestreckt. Unscharf im Vordergrund stehen zwei Tottenham-Spieler und blicken zu ihm herüber.

Schiedsrichter-Durchsagen nach VAR-Einsatz in der Bundesliga der Männer

Am 27. Januar 2025 wurde bekannt gegeben, dass sich auch der DFB in seinem Jubiläumsjahr an einem weiteren Experiment des International Football Association Board (The IFAB) beteiligen wird: Künftig wird in ausgewählten Stadien der beiden höchsten Fußballligen der Männer die Stimme des Schiedsrichters zu hören sein. Ändert er bei einer faktischen Entscheidung nach einem Gespräch mit seinem VAR die Meinung oder war er in der Review Area am Spielfeldrand, gibt er seine Entscheidung künftig auch für die Stadionzuschauer*innen bekannt. 

Wie das in Deutschland umgesetzt wird, können wir am kommenden Wochenende bei den folgen Partien sehen:

  • Fortuna Düsseldorf – SSV Ulm (Samstag, 13:00 Uhr), 
  • FC Bayern München – Holstein Kiel (Samstag, 15:30 Uhr), 
  • FC St. Pauli – FC Augsburg (Samstag, 15:30 Uhr), 
  • Eintracht Frankfurt – VfL Wolfsburg (Sonntag, 15:30 Uhr) und 
  • Bayer Leverkusen – TSG Hoffenheim (Sonntag, 17:30 Uhr)

Natürlich nur, wenn es dort zu einem Gang in die Review Area kommt oder der Schiedsrichter eine faktische Entscheidung wie Abseits nach Rücksprache mit seinem VAR revidiert.

Grundsätzlich nehmen die Männerteams folgender Clubs teil: Bayer Leverkusen, Bayern München, Borussia Dortmund, Eintracht Frankfurt, SC Freiburg, FC St. Pauli, RB Leipzig, Fortuna Düsseldorf und SpVgg Greuther Fürth.

Warum das Ganze und wo soll es hinführen?

Der Sinn und Zweck dieser Schiedsrichter-Durchsagen liegt auf der Hand: Transparenz. Insbesondere für Stadionzuschauer*innen, die bislang nur teils unzureichend nachvollziehbare Textbausteine auf der Stadionleinwand lesen konnten. Zwar wird das Spiel durch die Durchsage länger unterbrochen, der Vorteil der Nachvollziehbarkeit und besseren Verständlichkeit wiegt jedoch schwerer.

Wichtig zu wissen: Schiedsrichter-Durchsagen im Stadion befinden sich noch in der Testphase. Es gab und gibt mehrere Wettbewerbe, bei denen diese Art der Ansage getestet wird. In Deutschland geht sie auf eine Initiative des DFL-Fußballausschusses zurück, die im September 2024 vom DFL-Präsidium grünes Licht erhielt.

Bis zum Ende der Saison könnte es so bei bis zu 67 Spielen zu einer oder mehreren öffentlichen Ansagen kommen – laut DFB kommt es aber durchschnittlich nur bei jedem dritten Spiel zu einem solchen Vorfall (Review Area oder Änderung einer Tatsachenentscheidung nach VAR-Kontakt).

Danach wird das Projekt evaluiert – auch über die Befragung von Zuschauer*innen – und gegebenenfalls danach in den Regelspielbetrieb aufgenommen. 

So laufen Schiedsrichter-Durchsagen ab

Bekanntgegeben wurde, dass der Schiedsrichter sich zur Haupttribüne dreht, einen Knopf an seiner Mikrofontechnik bedient und dann nicht nur direkt im Stadion, sondern auch in der Live-Übertragung im Fernsehen zu hören ist. Ob er zusätzlich noch am Anstoßpunkt, an der Seitenlinie oder irgendwo auf dem Spielfeld stehen wird, wird sich am Wochenende zeigen. Und ob er dann noch mit seinen Fingern das imaginäre Rechteck formt.

Die Ansage sollte kurz genug sein, um nicht zu viel Zeit zu verlieren, aber ausführlich genug, um verständlich zu sein. Er beschreibt die überprüfte Szene, das Ergebnis seiner Überprüfung und die daraus resultierende endgültige Entscheidung.

Schiedsrichter Stuart Attwell trägt einen gelben Fußball unter dem Arm, während er mit Schiri-Headset auf dem Kopf auf den Platz läuft, sein Mund ist geöffnet und er dreht sich beim laufen zur Seite und blickt an der Kamera vorbei
Schiedsrichter Stuart Attwell beim Carabao-Cup-Halbfinalspiel Tottenham Hotspur gegen Liverpool am 8. Januar 2025. IMAGO/News Licensing

Jochen Drees, Leiter der Abteilung Technologie und Innovation bei der DFB Schiri GmbH, nannte als Beispiel eine Durchsage beim Carabao-Cup-Halbfinale zwischen Tottenham Hotspur und dem FC Liverpool Anfang Januar 2025. Denn auch die FA testet Stadiondurchsagen, allerdings nicht in der Liga, sondern in den letzten Spielen dieses Pokalwettbewerbs. Hier blieb Schiedsrichter Stuart Attwell in der Nähe des Strafraumhalbkreises stehen und pfiff nach gut zwei Minuten und zeigte das Rechteckzeichen. Anschließend war seine Stimme im Stadion zu hören: „After a review, Dominic Solanke was in an offside position in the build-up to the goal, therefore the decision is offside“. 

Diese knappe Aussage ist bei einer Abseitsentscheidung plausibel, bei einer Entscheidung im Graubereich wird sie hoffentlich etwas ausführlicher sein, sodass man sie auch dann nachvollziehen kann, wenn man sich mit den Regeln und ihrer Auslegung nicht so gut auskennt.

Learning by Doing

Auch für die Schiedsrichter wird es Neuland sein. Zwar haben sie im Wintertrainingslager in Portugal schon einmal Durchsagen geübt, allerdings in einem kleinen, leeren Stadion. Schon bei den Tests während der WM 2023 zeigte sich, dass manche Schiedsrichter*in ganz schön aufgeregt ist und sich verhaspeln kann. Nicht jeder ist für die Bühne – und ein Stadion mit einer fünfstelligen Zuschauer*innenzahl ist eine sehr große Bühne – und das Rampenlicht geboren und die meisten Schiedsrichter*innen mögen es, während des Spiels gar nicht aufzufallen. 

Das öffentliche Sprechen wird sicher nicht bei allen so klar, ruhig und gewandt klingen wie bei Stuart Attwell im Tottenham Hotspur Stadium. Das kann man nicht mit Konzepten oder Trockenübungen perfekt trainieren, es wird also sicher „Äh“s oder den ein oder anderen Versprecher geben. 

Aber das ist letztlich menschlich und eigentlich ja auch völlig egal. Wichtig ist, dass diese Stadiondurchsagen mit etwas Übung wirklich sinnvoll und effizient eingesetzt und umgesetzt werden können – und so vielleicht auch die Fußballregeln und Regelauslegungen etwas verständlicher werden.

Beitragsbild: IMAGO/Paul Marriott

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Petra Tabarelli ist Fußballhistorikerin und -journalistin. Die Spezialistin für die Entwicklung der Fußballregeln schreibt für die DFB-Schiedsrichter-Zeitung, ist als Expertin im Deutschlandfunk zu hören und hat als Beraterin fürs IFAB gearbeitet. Tabarelli ist Mitglied des prämierten Kollektivs „FRÜF“ und setzt sich in der web.de-Kolumne für eine stärkere Präsenz und Förderung von Schiedsrichterinnen im Fußball der Männer ein. 2023 wurde sie zum Mitglied der Deutschen Akademie für Fußball-Kultur ernannt. Zudem hat die Expertin die erste Biografie über den zu Lebzeiten sehr bekannten Simon Rosenberger geschrieben, einen jüdischen Fußball-Pionier und Begründer der DFB-Schiedsrichter-Zeitung, der zuvor aus der Geschichte getilgt worden war.

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