Collage aus drei Fotos die von links nach rechts ineinander übergehen. Ganz links ist ein schwarzweiß Bild aus dem Jahr 1939, das die Erzielung eines Tores aus Abseitsposition zeigt. Ein Angreifer im weißen Hemd schiebt den Ball aus kürzester Distanz über die Torlinie, Torhüter und Verteidiger sind hinter ihm und können nur hinterhergucken. In der Mitte der Collage ist ein Foto der WM der Männer 1990. Man sieht aus der Perspektive hinter dem Tor wie ein Verteidiger Italiens im blauen Trikot den Arm hebt, um Abseits zu reklamieren, während sein Teamkollege von versucht, dem Ball hinterherzuspringen, den ein Angreifer offenbar aufs Tor geköpft hat. Ganz rechts in der Collage sieht man einen Lininenrichter von hinten bei der Arbeit, er hat eine Fahne in der Hand und hält diese locker neben dem Körper, während er von der Seitenlinie in den Strafraum schaut.

Abseits-Jubiläum 2025: Aus drei mach zwei

Man nannte sie vor 100 Jahren eine „Erfindung des Teufels“, das „berüchtigte Monstrum“ oder das „Schmerzenskind“. Eine Regel, die nur dazu da sei „Spieler zur Verzweiflung zu bringen, Zuschauer zu Skandalen aufzureizen und Schiedsrichtern zu Prügel zu verhelfen“. Letzteres Zitat über die Abseitsregel stammt aus der Feder des Sportjournalisten Felix Schmal in der Deutschen Schiedsrichterzeitung 10/1924.

Die Abseitsregel ist eng mit den Fußballspielarten verbunden – auch mit denen, die wir heute nicht mehr Fußball nennen, wie etwa Rugby oder American Football. Es gibt keine „Erfindung“ oder „Geburtsstunde“ der Abseitsregel, denn sie war schon immer in den Regelwerken enthalten – oder auch mal gar nicht.

Im Jahr 1925 gab es eine kleine Änderung mit enormer Wirkung: Aus dem Wort „drei“ wurde „zwei“. Sind weniger Gegenspieler*innen zwischen Ball und Torhüter*in, dann wäre die angreifende Person im strafbaren Abseits. 

Diese einfache Änderung führte 1925 zu einer wahren Torflut und der Entstehung einer neuen, revolutionären Fußballtaktik, die Arsenal-FC-Trainer Herbert Chapman zugeschrieben wird: Die sogenannte WM-Formation:

W
M

… Es ist schwierig, hier richtig darzustellen, aber stellt euch W und M näher beieinander vor und zählt die Enden und Knicke dieser Buchstaben:

3
2
2
3
… oder einfach: 3-4-3.

Eine Revolution, denn bis dahin wurde meist mit fünf Angreifer*innen gespielt, nämlich im 2-3-5-System. Und eigentlich waren alle britischen Verbände mit dem „Dreier-Abseits“ zufrieden – bis auf den schottischen Verband, der schon vor 1886 das „Zweier-Abseits“ in seinem Regelwerk hatte, es aber bei der Zusammenlegung der verschiedenen britischen Regelwerke zugunsten von Länderspielen aufgeben musste. Die Scottish Football Association versuchte immer wieder, „ihr“ Abseits wieder ins Regelwerk zu bekommen. Zunächst ohne Erfolg, doch dann kam eine Spielweise auf, die den Gentlemen ein Dorn im Auge war: die Abseitsfalle! Welch unfaires Spielmittel von Teams, schlimmer als ein Beinstellen. Und so suchte (Gentle-)man nach Alternativen und entschied sich schließlich für diese Änderung der Abseitsregel.

Ich glaube, ich spoilere niemanden, wenn ich sage, dass diese Änderung nicht dazu geführt hat, dass es keine Abseitsfalle mehr gibt.

Aber wie die Entscheidungsfindung ablief und welche alternativen Änderungen getestet wurden, welche Konsequenzen das hatte, wie man damals über die möglichen Änderungen schrieb, warum es überhaupt eine Abseitsregel gibt, und so fort…. Dazu wird es dieses Jubiläumsjahr ein paar Artikel auf der Bolztribüne geben.

Fotos in der Collage im Beitragsbild:
IMAGO/TopFoto. PALT Dartford gegen Arsenal Reserves 04.02.1939 – Southern League. Arsenal erzielt ein Tor, aber es wird auf Abseits entschieden.
IMAGO/Sven Simon. Italiens Franco Baresi (links) reklamiert eine Abseitsstellung von Ľubomír Moravčík (rechts, CSFR), denn Giuseppe Bergomi kommt gegen ihn zu spät. Fußball-WM der Männer 1990.
IMAGO/Noah Wedel. Linienrichter Adam Nunn beim Champions League Halbfinale der Männer zwischen dem BVB und PSG am 01.05.2024.

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Petra Tabarelli ist Fußballhistorikerin und -journalistin. Die Spezialistin für die Entwicklung der Fußballregeln schreibt für die DFB-Schiedsrichter-Zeitung, ist als Expertin im Deutschlandfunk zu hören und hat als Beraterin fürs IFAB gearbeitet. Tabarelli ist Mitglied des prämierten Kollektivs „FRÜF“ und setzt sich in der web.de-Kolumne für eine stärkere Präsenz und Förderung von Schiedsrichterinnen im Fußball der Männer ein. 2023 wurde sie zum Mitglied der Deutschen Akademie für Fußball-Kultur ernannt. Zudem hat die Expertin die erste Biografie über den zu Lebzeiten sehr bekannten Simon Rosenberger geschrieben, einen jüdischen Fußball-Pionier und Begründer der DFB-Schiedsrichter-Zeitung, der zuvor aus der Geschichte getilgt worden war.

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