Michelle Ulbrich im grünen Trikot Bremens, sie legt gerade mit einem kleinen Sprung eine Drehung hin, während sie den Ball führt und schaut konzentriert in die Ferne.

Türchen 22: Michelle Ulbrich per Leihe zu Bayern München

Für Türchen Nummer 22 improvisieren wir ein bisschen und schauen ganz aktuell auf den Wechsel von Michelle Ulbrich zu Bayern München. Aus wessen Perspektive ist der Wechsel sinnvoll?

Eigentlich war für den Tag heute ein anderer Text eingeplant, weil der aber sowieso noch nicht geschrieben war und es viele, viele, viele Social Media Kommentare zu diesem Wechsel von Menschen gibt, die offensichtlich nur drei bis fünf bekannte Namen im Fußball der Frauen kennen, gucken wir stattdessen mal auf diesen Leih-Transfer. Denn auch den Namen Michelle Ulbrich sollten inzwischen eigentlich alle kennen.

Am vergangenen Freitag gaben die beiden Vereine Werder Bremen und Bayern München bekannt, dass Bremens langjährige Innenverteidigerin Michelle Ulbrich (28) per Leihe bis zum Saisonende zu den amtierenden Meisterinnen wechselt. Das war allgemein eine große Überraschung. Der Wechsel ergibt aber für fast alle Seiten Sinn.

Aus Sicht des Vereins Werder Bremen, um damit anzufangen, ist es eine merkwürdige Entscheidung, die eigentlich nur als Zugeständnis an eine verdiente Spielerin getroffen worden sein kann und das klingt auch aus der Pressemitteilung des Vereins heraus: „Auch wenn eine Leihe von Mitch aus sportlicher Sicht eine starke Schwächung zur Rückrunde ist, möchten wir gerade dieser verdienten Spielerin die vielleicht einmalige Chance zum FC Bayern zu wechseln, nicht verbauen“, wird dort zum Beispiel Abteilungsleiterin Birte Brüggemann zitiert.

In beiden Vereins-Pressemitteilungen wird betont, dass es sich um eine Leihe bis Saisonende handelt, es könnte allerdings ein Schritt von größerer Dauer sein. Nach Informationen der DeichStube soll Bayern München eine Kaufoption haben.

Ulbrich ist Bremens Rekordspielerin

Michelle Ulbrich ist Werder Bremens Rekordspielerin mit 266. Spielen für das Bundesligateam, sie ist außerdem seit Jahren Führungsspielerin und wurde deshalb nach der schweren Verletzung von Lina Hausicke die neue Kapitänin. Sportlich ist Ulbrichs Abgang mitten in der Saison und – so klingt es – ohne großen Vorlauf zum Verpflichten einer neuen Spielerin ein großer Verlust für Werder.

Die gebürtige Bremerin kann sportlich ohne Übertreibung als die bisher beste Spielerin des Vereins bezeichnet werden, das haben sie und der SVW sich über Jahre konstant gemeinsam erarbeitet. Rein von ihren statistischen Werten als Einzelspielerin gehört sie seit Jahren zu den besten Innenverteidigerinnen der Liga.

Bald vorerst in einem Team: Beim Aufeinandertreffen in der Bundesliga Ende September packt Ulrich gegen Klara Bühl die Grätsche aus. Foto: IMAGO/kolbert-press.

Das allein könnte täuschen, weil Vereine, die eher gegen das untere Tabellendrittel anspielen, in der Regel defensiv mehr zu tun bekommen. Es deckt sich aber auch damit, dass Bremen ab der Saison 2022/23 trotz Abstiegskampf von der Anzahl der Gegentore im sicheren Tabellenmittelfeld unterwegs ist. Nicht die Abwehr, sondern die Offensive war lange Zeit die Schwachstelle.

Top-Innenverteidigerin in der Bundesliga

Und, das wichtigste von allem, die Statistiken decken sich auch mit den Seheindrücken, die man von Michelle Ulbrichs Spiel bekommen konnte: Sie bringt eine gute Geschwindigkeit mit, verteidigt mit Ruhe, ist kopfballstark, weiß, wann sie ein Foul braucht und wann nicht, kann mit ihren langen Pässen Konter einleiten und hat sich in der letzten Saison, als die Bremerinnen einen offensiveren Ansatz verfolgten als aktuell, auch mal mit Dribblings in der Offensive eingeschaltet. Kurz gesagt: Sie macht eigentlich alles, was man sich von einer Innenverteidigerin wünscht, bereits innerhalb des Werder-Kaders auf Top-Niveau, sodass man sich unweigerlich fragt, wie sie sich eine Ebene höher machen würde.

Es ist für mich nach wie vor ein Rätsel, warum sie trotz der zwischenzeitlichen Formschwächen und personellen Engstellen auf ihrer Position nicht längst mal in die Nationalelf eingeladen wurde. Ich finde es immer schade, wenn Spielerinnen diese Anerkennung erst bekommen, nachdem sie zu einem der „erfolgreichen Drei“ in Deutschland gewechselt sind, obwohl sie Leistungen dafür schon vorher gezeigt haben.

Wenn Birte Brüggemann in der Pressemitteilung sagt: „Vielleicht wird ihr Traum der Nationalmannschaft mit diesem Schritt ebenso wahr“, möchte ich deshalb einerseits zustimmen und lese andererseits einen ähnlichen Frust heraus.

Raus aus der Komfortzone

Gleichzeitig ist es im Fußball oft so, dass Spieler*innen sich früher oder später für eine Weiterentwicklung aus ihrer Komfortzone heraus bewegen müssen. Meines Erachtens passiert das häufig etwas zu früh, das ist hier nicht der Fall. Vermutlich wird Ulbrich in München nicht die Stammspielerin sein, die sie in Bremen war, aber ich denke, dass sie eine wichtige Rotationsspielerin sein wird und in der Bundesliga auch einige Startelfeinsätze bekommen wird.

Schwierige Prüfung: Kopfballduelle gegen Alexandra Popp. Foto: IMAGO/DeFodi.

Die größte Umstellung wird sein, dass sie und ihr Team dann viel häufiger am Ball sein werden, als sie es aus Bremen kennt. Glódís Viggósdóttir hat auch in dieser Saison schon wieder die meisten Ballkontakte der gesamten Bundesliga, weil sie gleichzeitig Bayerns Ballabfängerin und erste Aufbauspielerin ist und weil die Münchenerinnen in der Regel von hinten herausspielen, betrifft das auch die anderen Verteidigerinnen.

Allerdings ist auch hier ein Fingerzeig die Saison 2023/24: Da war Ulbrich am Ende auf Platz sechs der Spielerinnen mit den meisten Ballkontakten. Bei nach vorn gerichteten Pässen und Pässen ins letzte Drittel hat sie in den letzten drei Jahren sowieso einen Entwicklungssprung nach vorn gemacht. Die Art, wie mit Ballbesitz gespielt wird, ist dennoch anders. Während Bremen auch in der letzten Saison eher darauf aus war, schnell nach vorn zu kommen, halten die Münchenerinnen den Ball auch mal über längere Zeiträume und brauchen ihre Verteidigerinnen nicht nur, um den Ball nach vorn zu schlagen, sondern auch als bewegliche Anspielstationen, wenn sie im Mittelfeld gepresst werden.

Beitragsbild: IMAGO/Vitalii Kliuiev

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Annika Becker berichtet als Journalistin unter anderem für OneFootball und sportschau.de über die Bundesliga der Frauen. In ihren Kolumnen für web.de beleuchtet sie die strukturellen Themen im Fußball. Seit 2022 gehört sie zur Jury des Guardian für die Wahl der „100 Best Female Footballers In The World“. Becker ist Teil der Crew von „FRÜF – Frauen reden über Fußball“, ansonsten podcastet sie bei der „Halbfeldflanke“ und ist als Expertin zum Beispiel im DLF oder bei der BBC zu hören. Für den Rasenfunk war sie bei der WM 2023 in Australien. An den Wochenenden findet man sie auch privat meist im Stadion, denn Beckers Fußball-Herz schlägt für zwei Ruhrgebietsvereine: den FC Schalke 04 und die SGS Essen.

One thought on “Türchen 22: Michelle Ulbrich per Leihe zu Bayern München”

  1. Mir ist immer noch schleierhaft, wie das zustandekommen konnte. Bremen braucht sie. Die Frau ist Kapitänin. Und es ist ja nicht so, als ob Bayern riesige Lücken schließen muss. Natürlich brauchen die Rotationsspielerinnen angesichts der internationalen Belastungen. Aber dass Bremen da zustimmt ist schon wild. Und auch, dass Ulbrich mitten in der Saison geht, hat mich überrascht. Sehr, sehr schade für Werder!

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