Türchen 16: Giulia Gwinn – konstant variabel
Hinter Türchen Nummer 16 steckt mit Giulia Gwinn eine Spielerin, die trotz mehrfacher schwerer Verletzungen sportlich so konstant auf hohem Niveau spielt, wie kaum eine Zweite.
Von den Fans des Nationalteams der Frauen wurde Giulia Gwinn zu Nationalspielerin des Jahres 2024 gewählt, bereits zum zweiten Mal in ihrer Karriere nach 2019. Ganze 59 Prozent der Stimmen fielen auf sie ab. Es ist dieser Tage oft schwer, ein positives Gefühl zum Abstimmverhalten der Allgemeinheit zu finden, aber in diesem Fall ist die Wahl einfach mal folgerichtig.
Mit dem DFB-Team gewann die 25-Jährige im Sommer bei den Olympischen Spielen die Bronzemedaille und war mit ihren verwandelten Elfmetern sehr auffällig, aber auch ansonsten auf dem gesamten Weg dahin eine entscheidende Spielerin. Sie trug mehrfach die Kapitäninnen-Binde und hat sich zur ersten Anwärterin entwickelt, dieses Amt dauerhaft zu übernehmen.
Auch weil sie, was sportliche Dinge angeht, zu den wenigen Spielerinnen gehört, die auch mal Klartext reden: „Ich hatte das Gefühl, wir waren in der ersten Halbzeit nicht mutig genug, haben bisschen Angsthasenfußball gespielt“, so Gwinn nach dem verlorenen Nations League Halbfinale gegen Frankreich in Lyon im Februar.
„Das kam nach dem Spiel aus der Emotion heraus – und ich habe mich von der Kritik ja auch nicht ausgenommen. Es ging mir um uns alle, um unsere Performance in der ersten Halbzeit. Mich eingeschlossen, ganz klar“, stellte Gwinn später auf der Website des FC Bayern München klar, „Ich weiß, welche Qualität in uns steckt, und dann nervt es uns alle einfach, wenn wir das nicht auf den Platz bringen. Ich glaube an unser Potenzial, und wenn man ehrlich und offen ist und sich jeder hinterfragt, fördert das die Leistung in einem Team.“
Zweimal Comeback nach Kreuzbandriss
Gwinn kam im Sommer 2023 von ihrem bereits zweiten Kreuzbandriss zurück und spielte dann in der Saison 2023/24, als wäre sie nie weg gewesen. Die erste Verletzung erfolgte in der Saison 2020/21, mit Rückkehr in der darauffolgenden Saison inklusive der EM 2022 in England als Abschluss. Kurz darauf wurde es dann richtig bitter, im Oktober 2022 erlitt Gwinn beim Training mit der Nationalelf erneut einen Kreuzbandriss, dieses Mal im anderen Knie. Beide Male fiel Gwinn fast ein komplettes Jahr aus.
Für die WM 2023 wurde sie von der damaligen Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg nicht nominiert: „Giulia ist zwar mit ihrem Rehaplan sehr weit, jedoch fehlen ihr mehrere Wochen Trainingszeit“, die Entscheidung sei auch mit Blick auf Gwinns sportliche Zukunft getroffen worden. Wie es mit Gwinn bei der WM und für sie gesundheitlich verlaufen wäre, kann niemand wissen. Klar ist, dass die Belastungen im Fußball der Frauen in den letzten Jahren stark gestiegen sind und Gwinn, wenn sie gesund ist, immer zu den Dauerbrennerinnen gehört.
In der vorherigen und dieser Saison stand bzw. steht sie in den Top-5 der Spielerinnen mit der wettbewerbsübergreifend meisten Spielzeit beim FC Bayern München. Im Kalenderjahr 2024 machte sie 4.114 Spielminuten.
Variabilität auf dem Flügel
Giulia Gwinn hat sich sowohl bei Bayern München als auch beim DFB als rechte Außenverteidigerin mit ihren Leistungen so ins Gedächtnis gebrannt, dass man ihre Anfänge als äußerst variable Offensivspielerin gerne mal vergisst (ein anderer Grund dafür ist, dass es Lücken in der Berichterstattung gab und gibt und dadurch das „kollektive Gedächtnis“ ein noch kürzeres ist als im Fußball allgemein sowieso schon).
Dabei erklärt das vieles an ihrer Spielweise. Die ist in den letzten Jahren ausbalancierter geworden, aber noch immer recht offensiv. Gwinn möchte Situationen spielerisch lösen und bietet sich in der Regel gut für kurze Pässe an. Sie hat generell ein starkes Gespür dafür, wie sie sich positionieren muss. Nicht ohne Grund trauten ihr ihre früheren Trainer*innen beim SC Freiburg und in der Nationalelf im Laufe ihrer Karriere verschiedenste Positionswechsel zu.
Direkt nach ihrem Wechsel im Jahr 2019 von Freiburg zu Bayern München musste sie deshalb zum Beispiel aufgrund der Verletzung von Caro Simon auf der linken Abwehrseite aushelfen. Das gab es zwischenzeitlich auch in dieser Spielzeit zu sehen.
Defensiv hat sich Gwinns Stellungsspiel in den letzten Jahren wie die gesamte Defensive Bayern Münchens als Verbund nochmals verbessert. Vermutlich sind Gwinns defensive statistische Metriken auch aus dem Grund gar nicht so auffällig: Einerseits gibt es für Bayern in der Bundesliga nicht so viel zu verteidigen. Andererseits lösen die Münchenerinnen vieles schon weiter vorn auf dem Spielfeld gruppentaktisch und im Zweifel sammelt Glódís Perla Viggósdóttir dann die langen Bälle ein.
Spielerin fürs Detail
Zwar schlägt Giulia Gwinn gute Flanken aus dem Lauf und hat im letzten Drittel auch das Timing zu wissen, wann sie nach innen zieht und wann nicht, aber sie ist keine Spielerin, die nur an der Außenlinie klebt. Stattdessen zieht sie im Spielaufbau immer wieder nach innen und ist damit eine zusätzliche Anspielstation im Mittelfeld und auch im offensiven Pressing kann sich dadurch eine Überzahlsituation ergeben. Das kann man bei Bayern München immer wieder beobachten.
Aktuell ist gerade die Balance zwischen Mittelfeldzentrum und Flügel ein Punkt, wo es bei den Titelverteidigerinnen etwas hakt: Wann soll das Team Überzahl und kurze Abstände im Zentrum erzeugen und wann sollen einzelne Spielerinnen ihre Positionen auf dem Flügel halten, also Breite geben? Wenn man das geschickt abwechselt, muss sich die gegnerische Defensive immer wieder zusammenziehen und wieder ausweiten, ein bisschen wie ein Akkordeon.
Es sorgt aber eben auch dafür, dass die Außenspielerinnen ihren Flügel nicht immer mit attackieren können, und verlangt eine andere Art von Aufmerksamkeit und Laufarbeit, damit das Tempo hoch bleibt. Und wie bei jedem taktischen Kniff können sich die anderen Teams irgendwann auf diese Bewegungsmuster einstellen. Giulia Gwinn wurde in der Bundesliga zuletzt geschont, weil es in der Champions League wichtige Spiele gab und generell war das Fußballjahr für Nationalspielerinnen mal wieder sehr lang. In der Bundesligasaison 2024/25 ist sie bislang weniger auffällig als in der letzten. Man merkt aber gerade in solchen Detailsituationen immer, ob sie gerade mit auf dem Platz steht oder nicht.
Beitragsbild: IMAGO/Action Pictures.
@news
Ich kann das Loblied ehrlich gesagt nur teilweise nachvollziehen.
Klar ist sie im eröffnenden Spiel eine Bank und torgefährlich zudem, aber gerade in der Abwehr, wo sie ja eigentlich Zuhause sein sollte, läuft sie halt gerne auch mal nur nebenher oder gar hinterher, was besonders in der Nationalmannschaft schon viele vermeidbare Gegentore zur Folge hatte.
Allerdings ist da mit 25 natürlich auch noch viel Entwicklung möglich.