Ann-Katrin Berger, in einem schwarzen Hoodie mit der Aufschrift "Germany" (mittig), dem Logo für "Team Deutschland" bei den Olympischen Spielen rechts oben und dem Adidas-Logo links, die Hände in den Hosentaschen, die Bronzemedaille um den Hals. Sie strahlt. Hinter ihr sind ihre Teamkolleginnen zu sehen, von links nach rechts: Lea Schüller, Bibiane Schulze Solano, Laura Freigang und Elisa Senß. Hinter ihnen eine Leinwand mit Spielszenen, von hinten zu sehen ist Giulia Gwinn, am Rand abermals Freigang. Alle blicken gelöst, einige klatschen. Credit: IMAGO/Eibner

Türchen 15: Ann-Katrin Bergers Realität schlägt alle Märchen

Als zweite Torhüterin überhaupt wird Ann-Katrin Berger in diesem Jahr Deutschlands Fußballerin des Jahres. Bei der Fanwahl zur Nationalspielerin des Jahres landet sie hinter Giulia Gwinn auf Platz 2. Es ist, hochverdient, der späte Triumph einer sehr erfolgreichen Vereinsspielerin auch in der Nationalelf.

Als Silke Rottenberg 1998 vom kicker zur Fußballerin des Jahres gekrönt wird, ist Ann-Katrin Berger acht Jahre alt und spielt bei der KSG Eislingen. Seit 1996 zeichnet das Sportmagazin neben dem Fußballer des Jahres auch die Fußballerin aus, Rottenberg ist die erste Keeperin, der die Ehre zuteilwird. Und bleibt damit für 26 Jahre auch die Einzige – bis Berger in diesem Jahr die Trophäe holt.

Ann-Katrin Berger in Teamware der Nationalelf, auf dem Rasen eines Stadions, hinter ihr die Flutlichte rund in der Unschärfe die Ränge. Ihr gegenüber steht kicker-Redakteur Frank Lußem in hellem Wollmantel, der ist von hinten zu sehen und überreicht ihr die Trophäe als Fußballerin des Jahres. Beide schütteln einander die Hände. IMAGO/Beautiful Sports
Die Krönung eines in der Nationalelf so erfolgreichen Jahres 2024: Ann-Katrin Berger ist Fußballerin des Jahres. (Foto: IMAGO/Beautiful Sports)

In Paris die Bronzemedaille festgehalten

Die in Göppingen geborene Torhüterin ist spätestens nach dem Olympischen Turnier im Sommer, bei dem sie die Bronzemedaille für ihr Team festhält – oder den Elfmeterschuss, der den Traum ins Wanken gebracht hätte – die logische Wahl. Und das, obwohl derartige Auszeichnungen deutlich seltener an Torleute gehen.

Bis zu diesem Triumph im Nationalteam ist es ein langer Weg für Berger. Und einer, von dem sie selbst vor knapp zehn Jahren weder annimmt, noch hofft, er würde sie ins deutsche Tor führen. Als Deutschland bei der WM 2015 in Kanada antritt, erklärt die Keeperin auf Heimaturlaub im Interview: „Nationalspielerin zu sein, wäre nicht mein Ding. Man wäre als Spielerin dann ja ständig unterwegs und hätte noch viel weniger Freizeit als ein Vereinsprofi.“

Damals träumt Berger nach der ersten Saison in Frankreich davon, bei Paris Saint-Germain unumstrittene Nummer 1 zu werden. Eine Position, um die sie zuvor auch in Potsdam hatte kämpfen müssen. Es sind Jahre, die Berger rückblickend vorbereitet haben auf ihre Rolle als Herausforderin ums Nationaltor. Dort kommt sie im Dezember 2020 unter Martina Voss-Tecklenburg gegen Irland als viertälteste Debütantin zu ihrem ersten Spiel. Bis dahin hat die Keeperin lediglich einen Einsatz in der deutschen U19 auf dem Konto.

Ann-Katrin Berger im gelben Torhüterinnen-Trikot von Paris Saint-Germain (2014), die Haare mit einem Band aus dem Gesicht gehalten und am Hinterkopf zum Dutt, die Nase kraus. Hinter ihr in Unschärfe gründe Landschaft. Credit: IMAGO/Lackovic
Paris Saint-Germain war Bergers erste Station im Ausland. (Foto: IMAGO/Lackovic)

Spätes DFB-Debüt und Titel im Vereinsfußball

Im Verein hat ihr Weg von Paris über Birmingham City LFC zu den Chelsea FC Women geführt, wo sie nach dem Weggang von Hedvig Lindahl Stammtorhüterin wird. Mit den Chelsea Women holt die Deutsche ab 2020 viermal in Folge die Meisterinnenschaft, einen Titel, den sie bereits mit Turbine in der Bundesliga auf ihr Konto gepackt hatte. Ihre Qualitäten als Elfmeterkillerin stellt sie bei den Londonerinnen ebenfalls erneut unter Beweis. Zudem wird sie bei der Wahl zur FIFA-Welttorhüterin des Jahres 2021 und 2022 Dritte.

Doch in der Saison 2023/24 steht Berger in England nicht mehr regelmäßig zwischen den Pfosten. Inzwischen ist Horst Hrubesch zum zweiten Mal Interimstrainer der DFB-Frauen und erzählt bei der Kader-PK für die Qualifikation zur EM 2025 in der Schweiz von Schwierigkeiten zwischen der Keeperin und Trainerin Emma Hayes. Deren Loblieder auf ihre Torhüterin und speziell Bergers Paraden in Sachen Elfmetern erklingen bereits seit dem Winter 2023 nicht mehr.

Bruch mit Hayes? Abschied von Chelsea!

Als Hayes sich zudem kritisch über Liebesbeziehungen zwischen Spielerinnen äußert, scheint das Fass übergelaufen. Eigentlich war die Trainerin aus aktuellem Anlass angesprochen worden auf problematische Beziehungen zwischen Coaches und Spielerinnen, hatte es aber von sich aus auf Sportlerinnen innerhalb eines Teams ausgeweitet. Später rudert Hayes teilweise zurück, Berger und ihre damalige Freundin und mittlerweile Verlobte Jessica Carter, die seinerzeit beide für die Blues spielen, hatte sie spätestens da aber offensichtlich verloren.

Ann-Katrin Berger im orange-farbenen Trikot mit passender Hose, an der Seite zu sehen das Logo des FC Chelsea und das der UEFA Women's Champions League, sie hat die Haare am Hinterkopf zusammengebunden, in ihrer rechten Hand hält sie ein Eispack. Ihr gegenüber in schwarzer Hose mit gelbem Streifen und Nike-Logo, heller Sportjacke und schwarzer Weste mit dem Chelsea-Logo Trainerin Emma Hayes. Credit: IMAGO/Sportimage
Beziehung mit zunehmenden Hindernissen: Ann-Katrin Berger und Emma Hayes. (Foto: IMAGO/Sportimage)

Im April wechselt Berger zu NJ/NY Gotham FC, wird Stammtorhüterin und eine der stärksten Keeperinnen der Liga. Im Sommer folgt Carter ins NWSL-Team. Während des Olympischen Fußballturniers feiert die englische Nationalspielerin ihre Verlobte extrem berührend über die Sozialen Netzwerke. Denn Berger ist unter Hrubesch, der auf ihre Erfahrung und ihre ruhige Ausstrahlung setzt, inzwischen zur späten Nummer 1 avanciert.

Für viele Fußballinteressierte, die sich vor allem mit der Bundesliga beschäftigen, kommt das einer Schockwelle gleich. Wer Merle Frohms seit Jahren jedes Wochenende spielen sieht, mag an der Entscheidung des Trainers zu knabbern haben, aber Bergers Nominierung ist hochverdient: Sie ist zum damaligen Zeitpunkt die beste Keeperin sowie im Gesamtpaket die beste Wahl. Und wird im Turnierverlauf zur Heldin.

Elfmeterheldin beim Olympischen Turnier

Im Viertelfinale gegen Kanada pariert Berger im Elfmeterschießen zweimal stark und verwandelt danach den letzten deutschen Elfmeter selbst. Damit nicht genug, behält sie im Spiel um Platz 3 gegen Spanien bis zur letzten Sekunde die Nerven und hält in der 9. Minute der Nachspielzeit einen Strafstoß – und damit eben die Bronzemedaille für ihr Team fest. Was zurückführt zum Beginn dieses Textes: Ann-Katrin Berger ist die logische und hochverdiente Fußballerin des Jahres.

Ann-Katrin Berger im schwarzen Torhüterinnen-Trikot der Nationalelf, umarmt Horst Hrubesch in schwarzer Olympia-Teamware mit dem schwarz-rot-goldenen "D" für "Team Deutschland auf dem Rücken" – und wird von im umarmt. Die beiden lächeln einander an. Credit: IMAGO/ActionPictures
Vertrauen geschenkt, Vertrauen zurückgegeben: Ann-Katrin Berger und Horst Hrubesch, der die Keeperin zur deutschen Nummer 1 machte. (Foto: IMAGO/Action Pictures)

Der späte Triumph im Nationalteam wird seither gern als Märchen betitelt, aber eigentlich ist er etwas viel Schöneres als das, nämlich hart erkämpfte Realität. Berger hat als Feldspielerin angefangen und sich quasi über den Platz bis hinter ins Tor bewegt mit den Jahren, sie hat das Nationalteam lange gerne beobachtet, ohne sich damit zu beschäftigen, Teil davon sein zu wollen. Und sie hat es letztlich bis zur Nummer 1 und dieser Medaille geschafft.

Offener Umgang mit Schilddrüsenkrebs

Das alles hat einen besonderen Wert auch durch die Krankenakte der 34-Jährigen, bei der während ihrer Zeit bei den Birmingham City Ladies im November 2017 Schilddrüsenkrebs diagnostiziert wird. Die Torhüterin wird operiert und sagt später über jene Zeit, in der ihr das Gefühl rund um die Narbe am Hals fehlt: „Du weißt, dass ein Kopf dran ist, aber du weißt nicht, ob er abfällt oder nicht.“ Nach einer Radiojodtherapie kehrt sie 2018 auf den Platz zurück. Bei den regelmäßigen Kontrollen stellen die Ärzt*innen 2022 fest: Der Krebs ist zurück.

Es läuft die sensationelle EM in England, Berger bleibt beim Team und weiht lediglich ihre Trainerin ein. Nur fünf Wochen nach der abermaligen Radiojodtherapie kehrt sie ins Training zurück. Über den Krebs sagt die Keeperin, sie sei diesen Kampf wie ein Spiel angegangen, das sie gewinnen wolle, und habe sich an die Behandlungsregeln wie an einen Trainingsplan gehalten. Der Sport gibt ihr Leitplanken in dieser komplizierten Zeit – und privat wird sie aufgefangen.

Ann-Katrin Berger in hellem Keeperinnen-Outfit des Chelsea FC, auf dem Rücken die Nummer 30 und ihr Name, geht leicht in die Knie, um Jessica Carter aufzufangen. Carter, im blauen Chelsea-Outfit, springt ihrer Freundin mit freudigem Gesichtsausdruck in die Arme. Im Hintergrund in der Unschärfe die Kurve. Credit: IMAGO/NurPhoto
Geteilte Freude ist doppelte Freude: Berger und ihre Verlobte Jessica Carter als Spielerinnen in Chelsea. (Foto: IMAGO/NurPhoto)

Zugleich entscheidet sie sich, offen mit der Situation umzugehen, auch, um anderen in einer solchen Situation Mut zu machen. Das kann man der Keeperin nicht hoch genug anrechnen. Die Krankheit ist ein Teil ihrer Geschichte. Aber sie definiert Berger nicht – und auch nicht ihren Erfolg als Spielerin.

Schlagzeilen wie „Von der Krebspatientin zur Medaillensiegerin“ mögen zwar in Sachen Klickzahlen reizvoll erscheinen, ein weniger sensationsheischender Umgang mit dem Thema wäre aber wünschenswert. Bergers Weg hat zudem ausreichend sportliche Meilensteine, die viel zu oft unter den Tisch fallen. Sie sind es wert, erzählt zu werden.

Beitragsbild: IMAGO/Eibner

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Mara Pfeiffer begleitet als Journalistin seit vielen Jahren den 1. FSV Mainz 05 mit Analysen und Kolumnen. In TV- & Radio ist sie als Expertin rund um Fußballthemen auf und neben dem Platz zu Gast. Sie gehört zur Crew von „FRÜF – Frauen reden über Fußball“. Für Sport1 spricht Pfeiffer im Podcast „Flutlicht an!“ mit Menschen über Fußball, die zu wenig im Rampenlicht stehen. In ihrer web.de-Kolumne schreibt sie über gesellschaftliche Schieflagen und wie diese sich im Fußball wiederspiegeln. Sie ist Mitglied der Deutschen Akademie für Fußball-Kultur und Autorin von neun Büchern, darunter Sachbücher und Krimis rund um Mainz 05, sowie die Biografie von Wolfgang Frank. Das Medium Magazin wählte Pfeiffer bei den Journalist*innen des Jahres im Sport 2022 auf Platz 3.

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