Sofie Junge Pedersen im blau-schwarz gestreiften Trikot von Inter Mailand in der Laufbewegung, sie schaut zum linken Bildrand. Im Hintergrund ist Mitspielerin Lina Magull unscharf zu erkennen.

Türchen 14: Spielerinnen gegen Aramco und FIFA

Über 130 Spielerinnen richteten sich via eines offenen Briefs angesichts des Sponsorings des saudi-arabischen Erdölkonzerns Aramco im vergangenen Oktober an Gianni Infantino. Nach kurzem Aufflammen geriet diese Nachricht schnell wieder in Vergessenheit – warum eigentlich? Und wer sind die Spielerinnen, die ihn unterschrieben haben?

Ende April 2024 verkündete die FIFA eine Partnerschaft mit Aramco bis Ende 2027. Die Vereinbarung macht Aramco zu einem weltweiten Hauptpartner der FIFA, das Unternehmen wird also bei Veranstaltungen wie der WM der Männer 2026 und der WM der Frauen 2027 sehr präsent sein. Aramco ist der größte Ölkonzern der Welt und gehört zu über 90 Prozent direkt dem saudi-arabischen Staat. Dementsprechend kritisiert der offene Brief der Spielerinnen sowohl das Unternehmen Aramco als auch die Regierung Saudi-Arabiens.

Was steht in dem Brief

Der Brief greift nach den jüngsten Erfolgen und Hoffnungen des internationalen Fußballs der Frauen zunächst mehrere konkrete Fälle von Strafen gegen saudi-arabische Frauen auf, die der Staat gegen diese verhängt hat. Und es wird auch eine Verbindung gezogen, zwischen der LGBTQIA*-Feindlichkeit der Gesetzgebung im Land und der Tatsache, dass Queerness im internationalen Spitzen-Fußball der Frauen eine gelebte, öffentlich bekannte Tatsache ist. Das Belegen zum Beispiel die Unterschriften und Biografien einer Vivianne Miedema, Pernille Harder oder Magdalena Eriksson, aber auch vieler anderer auf der Liste.  

Vivianne Miedema winkt ins Publikum, sie trägt die Trainingsjacke des niederländischen Nationalteams.
Vivianne Miedema beim EM-Qualifikationsspiel der Niederlande gegen Italien Mitte Juli 2024. Foto: IMAGO/BSR Agency

Ein weiteres wichtiges Argument ist die Gefahr von fossilen Brennstoffen und der „Lobbyarbeit“ Aramcos für das Klima und somit die gesamte Menschheit: „Der Breitenfußball auf der ganzen Welt wird durch extreme Hitze, Dürre, Brände und Überschwemmungen zerstört, aber während wir alle die Folgen bezahlen, scheffelt Saudi-Arabien seine Gewinne, mit der FIFA als Cheerleader.“

Die Spielerinnen wurden für die -Kampagne von der Organisation Athletes of the World unterstützt, die Sportler*innen zusammenbringen möchte, um sich für Themen wie Klimawandel und Armut einzusetzen. Auf der Website der Organisation ist der offene Brief an Infantino im Original in voller Länge zu lesen. Darunter auch diese sehr deutliche Passage:

„Ein Unternehmen, das eine eklatante Verantwortung für die Klimakrise trägt und einem Staat gehört, der LBGTQ+-Personen kriminalisiert und Frauen systematisch unterdrückt, hat keinen Platz als Sponsor unseres schönen Spiels. Wir möchten, dass alle Menschen in Saudi-Arabien, einschließlich Frauen und Mädchen, Zugang zum Sport haben und diesen genießen können, sei es als Teilnehmende oder als Fans. Wir ergreifen das Wort, weil wir an der Seite der Bürger*innen Saudi-Arabiens stehen, deren Menschenrechte verletzt werden. Wir wollen nicht dazu beitragen, diese Verstöße zu vertuschen.“

Der Brief endet mit den Forderungen, das Sponsoring zu überdenken und eine Kommission einzurichten, die es Spielerinnen ermöglicht, die ethischen Auswirkungen potenzieller Sponsorings zu bewerten, bevor diese abgeschlossen werden.

Die FIFA reagierte darauf, indem durch einen Sprecher betont wurde, dass man den Deal mit Aramco „schätze“ und das Geld als Investition in den Fußball der Frauen auf allen Ebenen nutzen wolle. Außerdem wurde die geforderte Kommission laut FIFA im Mai eingeführt, allerdings sei diese „a work in progress“ und seit dem öffentlichen Brief war davon nichts mehr zu hören. Teil der Kampagne ist auch eine Petition, die Fans unterschreiben können. Diese steht aktuell (Stand 14.12.) gerade mal bei 884 Unterschriften.

Wer sind die Spielerinnen, die ihn unterschrieben haben?

Der Brief wurde ursprünglich von über 100 Spielerinnen aus 24 verschiedenen Ländern unterzeichnet, aktuell sind es 135 Unterschriften, die Liste ist nach wie vor offen. Medial herausgegriffen wurden die internationalen Star-Nationalspielerinnen wie Vivianne Miedema oder Becky Sauerbrunn.

Paulina Krumbiegel lachend im Aufwärmshirt von Juventus Turin.

Dazu Spielerinnen aus den Ländern des jeweiligen berichtenden Mediums, in Deutschland also zum Beispiel die junge deutsche Nationalspielerin Paulina Krumbiegel (Juventus Turin), die unregelmäßig nominiert wird. Sie war zunächst die einzige Deutsche, inzwischen sind ihr die ehemalige Nationalspielerin Tabea Kemme sowie die ehemaligen Bundesligaspielerinnen Judith Steinert und Dina Orschmann (beide aktuell Union Berlin) gefolgt.

In der Länderspielpause kurz nach Veröffentlichung des Briefes sagte Deutschlands Innenverteidigerin Sara Doorsoun auf Nachfrage zum Protest gegen den Sponsorenvertrag, dieser sei „aktuell in unserem Kreis kein Thema“.

Andererseits wurde die Niederländerin Vivianne Miedema gegenüber der BBC als Mitunterzeichnerin sehr deutlich: „Ich denke, man hat in den letzten Jahren gesehen, dass Teams von Fußballerinnen sich nicht scheuen, für ihre Überzeugungen einzustehen. Es gab in letzter Zeit Boykotte von zahlreichen Teams, wie beim amerikanischen und kanadischen Team, alle sind sehr offen und bereit, ihre Meinung zu sagen. Das zeigt, dass es in Zukunft viel Aufmerksamkeit geben wird, und es werden definitiv Dinge rund um die Weltmeisterschaft passieren.“

Altersstruktur

Mit-Initiatorin der Kampagne ist die ehemalige dänische Nationalspielerin Sofie Junge Pedersen (Inter Mailand), die sich bereits in der Vergangenheit immer wieder für ökologische Nachhaltigkeit im Fußball eingesetzt hat. Sie ist auch diejenige, die in den sozialen Medien nach wie vor am aktivsten rund um das Thema ist. Weil sie und andere Spielerinnen mit vielen Länderspielen als Service für bequeme Medienvertreter*innen weit oben auf der Unterschriftenliste stehen, könnte der Eindruck entstehen, dass den Brief vor allem ältere oder ehemalige Spielerinnen unterschrieben haben, die „sowieso nichts mehr zu verlieren“ haben. Das ist allerdings nicht ganz richtig.

Von den 135 Spielerinnen sind 37 der Unterzeichnerinnen 30 Jahre oder älter, das sind 27,41%. Weitere 45 Spielerinnen sind 25 bis 29 Jahre alt, das sind 33,33%. In der Altersgruppe 20 bis 24 Jahre gibt es 44 Unterschriften, also 32,59%. Und schlussendlich sind neun Spielerinnen oder 6,67% jünger als 20. Einige dieser sehr jungen Spielerinnen sind U-Nationalspielerinnen kurz vor oder mitten in ihrem Sprung in die Erwachsenenkarriere. Wie wir an der kürzlichen Vergabe der Weltmeisterschaften der Männer gesehen haben, gehen bis auf die Norwegerinnen alle anderen zumindest indirekt auch in einen Konflikt mit ihren eigenen Nationalverbänden.

Warum ist das wichtig?

Kurz gesagt verdienen Fußballerinnen sehr viel schlechter als Fußballer und können bis heute vielfach nicht vom Fußball allein leben, sie sind also auf persönliche Sponsoringverträge (im besten Fall) und/oder Nebenverdienste aus anderer Arbeit und Ausbildung angewiesen. Das trifft im abgeschwächten Fall selbst auf die internationalen Stars zu, weil diese zwar von ihrem Gehalt gut leben, aber in der Regel trotzdem nicht viel beiseitelegen können.

Die Spielerinnen gehen also mit „unbequemen“ politischen Äußerungen, Forderungen und Protesten ein viel höheres Risiko ein als Fußballer, bei denen rein nach der Summe der Verlust im Zweifel zwar größer wäre, die aber häufig auch schon ab dem Teenager-Alter ein finanzielles Polster anlegen können, von dem viele Fußballerinnen nur träumen.

Es ist wichtig, das zu berücksichtigen, wenn es darum geht, wer von den Unterzeichnerinnen auf welcher Ebene des Fußballs unterwegs ist und wer fehlt. Letztendlich ist diese Kampagne bisher mehr als Fußballer jemals zustande gebracht haben. Umso merkwürdiger, dass die Kampagne so schnell wieder aus dem allgemeinen Bewusstsein gerutscht ist. Die geschickt gewählte Überschrift des Briefes „Aramco Sponsoring ist ein Mittelfinger für den Fußball der Frauen“ sorgte für sehr viel Aufmerksamkeit, weil sich das so schön in verschiedenen Abwandlungen als Artikelüberschrift oder Social Media Kachel zitieren ließ.

Öffentlichkeitswirksame Folge-Interviews gab es in meiner Wahrnehmung nicht. Das kann auch an der Bereitschaft der Unterzeichnerinnen liegen, zu sprechen. Aber selbst wenn das so ist, wären die skandalösen WM-Vergaben in dieser Woche mehr als genug Anlass gewesen, dieses Thema medial mit zurück nach vorn zu holen, denn auch wenn sich der Brief nicht direkt dagegen wendet, liegt beides offensichtlich sehr nah beieinander.

Breite Unterstützung Fehlanzeige

Die einzige Referenz, die mir untergekommen ist, kommt von einem Fußballer. David Wheeler, der in der drittklassigen EFL League One für die Wycombe Wanderers spielt, forderte in einem Kommentar im Guardian andere Fußballer dazu auf, die Spielerinnen als Vorbild zu nehmen und ihnen zu folgen.

Fußballerinnen sind es seit Jahrzehnten gewohnt, für sich selbst, ihre Interessen als Spielerinnen, als Menschen sowie ihren Sport an sich einstehen zu müssen, oft ohne Unterstützung der großen internationalen wie nationalen Fanorganisationen, die noch immer sehr am Fußball der Männer orientiert sind. Selbst der offene Brief stieß nicht auf ein so breites Interesse, wie man denken würde.

Überspitzt gesagt scheint die unbewusste Haltung vielfach zu sein, dass der Fußball der Frauen nur dann interessant ist, wenn man die wachsende Kommerzialisierung kritisieren kann, weil man das von den Männern kennt. Dass die spezifischen Hintergründe anders sind und welche Kämpfe um Bedingungen und Ressourcen ausgetragen werden, ist noch immer vielen nicht bekannt. Ich denke, es läge sehr viel Wert darin zu hinterfragen, warum das so ist und woher diese Haltung kommt. Es gibt im Fußball und Sport insgesamt leider nicht so besonders viele glaubwürdige potenzielle Verbündete, wenn es um Dinge wie Menschenrechte oder den drohenden Klimakollaps geht.

Beitragsbild: IMAGO/Sportimage, Paulina Krumbiegel: IMAGO/Eibner, Miedema: IMAGO/BSR Agency

Written by 

Annika Becker berichtet als Journalistin unter anderem für OneFootball und sportschau.de über die Bundesliga der Frauen. In ihren Kolumnen für web.de beleuchtet sie die strukturellen Themen im Fußball. Seit 2022 gehört sie zur Jury des Guardian für die Wahl der „100 Best Female Footballers In The World“. Becker ist Teil der Crew von „FRÜF – Frauen reden über Fußball“, ansonsten podcastet sie bei der „Halbfeldflanke“ und ist als Expertin zum Beispiel im DLF oder bei der BBC zu hören. Für den Rasenfunk war sie bei der WM 2023 in Australien. An den Wochenenden findet man sie auch privat meist im Stadion, denn Beckers Fußball-Herz schlägt für zwei Ruhrgebietsvereine: den FC Schalke 04 und die SGS Essen.

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