HSV Fans auf der Nordtribüne zeigen ein Banner mit der Aufschrift: Solidarität mit dem Fanprojekt Karlsruhe

Türchen 13: Bündnis Zeugnisverweigerungsrecht – Zum Schutz der Sozialen Arbeit

Hinter dem Türchen 13 verbirgt sich das „Bündnis Zeugnisverweigerungsrecht (ZVR)“. Es setzt sich dafür ein, das Vertrauensverhältnis innerhalb der Sozialen Arbeit gesetzlich zu schützen. Dies ist auch ein wichtiger Baustein in der Arbeit der Fußball-Fanprojekte. Wir haben mit Georg Grohmann vom ZVR gesprochen.

Worum geht’s?

Fanprojekt Karlsruhe: Die drei (damaligen) Mitarbeiter*innen des Fanprojektes verweigerten in diversen Gerichtsprozessen gegen Anhänger des Karlsruher Sport-Clubs ihre Aussage als Zeug*innen. Damit gerieten sie selbst ins Visier der Staatsanwaltschaft – und standen als Angeklagte plötzlich selbst vor Gericht. 

Was ist passiert?

Bei einem Fußballspiel von Karlsruhe im Wildpark gegen St. Pauli wurde Pyrotechnik im Fanblock von Karlsruhe gezündet. Im Anschluss wurde den Fanprojektmitarbeitenden vorgeworfen, dass sie einerseits beteiligt waren und andererseits, dass sie keine Aussagen über den Vorfall treffen wollten, sogenannte „Strafvereitelung“

Georg Grohmann, Vorsitzender BAG Streetwork/ Mobile Jugendarbeit und einer der Sprecher des Bündnisses für ein Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit sagt hierzu: „[es ist] mitunter für die Strafverfolgungsbehörden nur zu bequem, in Ermittlungsverfahren die Sozialarbeitenden vorzuladen, denn ‚die kennen die doch‘ und ‚die waren doch dabei‘.“

Und weiter: „Es ist unschwer nachzuvollziehen, in welch falscher Rolle Soziale Arbeit da gesehen wird und was das für das notwendige Vertrauensverhältnis zu Klient*innen bedeutet. Wer würde sich denn anvertrauen, wenn er*sie nicht sicher sein kann, dass Gesagtes vertraulich bleibt? Wer würde sich öffnen, um Hilfe und Unterstützung zu bekommen, wenn genau dies dazu führt, dass Informationen bei Strafverfolgungsbehörden landen können?“

Eben das ist in Karlsruhe passiert und sie haben die Aussage verweigert. (Wer hierzu mehr hören will von den Mitarbeitenden selbst: Sie haben dem Fußballfrequenz-Podcast ein Interview gegeben).

Das Problem

Das Problem dahinter: Die Grundlage der Arbeit der Fanprojekte basiert auf dem Vertrauensverhältnis. Die Arbeit der Fanprojekte zielt darauf ab, diskriminierendes und gewalttätiges Verhalten zu reduzieren. Die Methode hierfür ist u.a. Begleitung und Beziehungsarbeit, um ein grund­le­gen­des Vertrauen zwischen dem Fanprojekt und den Fans herzustellen.

Wenn deine Kontaktperson von der Staatsanwaltschaft gezwungen werden kann, gegen dich auszusagen: vertraust du der Person dann noch? Das Fanprojekt Karlsruhe hat also im Sinne der Fanprojekte und deren Selbstverständnis innerhalb der Sozialen Arbeit gehandelt. Aufgrund ihrer Verweigerung der Aussage sind sie dieses Jahr zu Geldstrafen verurteilt worden.

Die Gefahr für ihre Arbeit durch das Fehlen des Zeugnisverweigerungsrechts ist den Fanprojekten bekannt. Daher hatte sich im Jahr 2020 das „Bündnis Zeugnisverweigerungsrecht“ (Bündnis ZVR) gegründet. Sie sagen zum Urteil: „[…] schon in den letzten Jahren haben Kolleg*innen in verschiedenen Fanprojekten bundesweit Dinge tun müssen, um eben nicht in genauso eine Situation zu kommen. Zug- und Busfahrten der Fanszene werden teilweise schon seit Jahren nicht mehr begleitet und das, obwohl gerade bei den langen Auswärtstouren Beziehungsarbeit geleistet werden kann. Kolleg*innen halten sich abseits bei Fanmärschen oder auch in den Stadien, um nicht unfreiwillig Zeug*in zu werden.“

Die Fanprojekte in Deutschland nehmen eine immanent wichtige Rolle bei der Gewaltprävention ein, das Urteil zerstört hier viel: „Das Urteil führt auch dazu, dass die Fanszenen ihrerseits den Kontakt verringern. Ein System professioneller Sozialer Arbeit im Fußball, das über Jahrzehnte aufgebaut wurde, das hoch anerkannt ist und um das Deutschland europaweit beneidet wird, wird so sukzessive demontiert.“

Es geht nicht nur um Fußball

Das Bündnis bezieht sich bewusst auf den Überbegriff „Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit“, denn die Fanprojekte sind hier nicht allein in der Komplexität ihrer Rolle und Arbeit. Die Liste ist lang und Georg Grohmann vom Bündnis ZVR macht deutlich:

„Überall wo Menschen beraten und unterstützt werden, wo im Gespräch strafrechtlich relevantes Verhalten, eigenes und das von Dritten, thematisiert wird oder Anlass des Aufsuchens der Sozialarbeitenden ist, ist das Fehlen des Zeugnisverweigerungsrechts evident. In den Beratungsstellen für Opfer von rassistischer, antisemitischer oder Gewalt aus anderen menschenverachtenden Gründen, den Frauenhäusern und -notrufen, den Beratungsstellen bei sexualisierter Gewalt, den Ausstiegs- und Distanzierungsberatungen, der Täterarbeit, im Streetwork, der Jugendarbeit, der psychosozialen Prozessbegleitung, die Liste ist lang. Unterm Strich müssen die Mitarbeitenden in diesen Bereichen vor jedem Erstgespräch und regelmäßig die Klient*innen darauf hinweisen, dass sie Inhalte offenbaren müssen, sollte es zu Ermittlungen gegen die Person oder auch gegen Dritte, wie ein*n Täter*in, kommen.“

Die Soziale Arbeit ist dort, wo Menschen Support und Hilfe benötigen, Beratung und auch manchmal Schutz suchen. All das sind Themen, bei denen Vertrauen wichtig ist.

„Das macht eine auf Vertrauen basierende, professionelle Soziale Arbeit, die die Herstellung von Gerechtigkeit nicht auf einen Urteilsspruch vor Gericht reduziert, sondern nachhaltig und im Interesse der betroffenen Person mit Verantwortungsübernahme und in Veränderungsprozessen aktiv begleitend herzustellen unterstützt, unmöglich.“

Entsprechend ist das Bündnis ZVR in verschiedenen Bereichen aktiv: „Da ein ausgeweitetes Zeugnisverweigerungsrecht nur durch eine bundesgesetzliche Reform des entsprechenden § 53 der Strafprozessordnung zu erreichen ist, sind wir sehr aktiv in der Kommunikation mit Politikerinnen und Politikern auf allen Ebenen, von der kommunalen, hin zu Landespolitik und im Bundestag und Bundesrat. Hier ist uns vor allem wichtig, dass wir in die inhaltliche Diskussion der konkreten Ausgestaltung gelangen und nicht mehr darüber diskutieren, ob es ein Zeugnisverweigerungsrecht für die Soziale Arbeit benötigt.“

Es wird auch der Kontakt zu den Wohlfahrtverbänden, aber auch zu Hochschulen gesucht. Hier sitzen die Menschen, die es in Anwendung und Ausbildung schließlich auch betrifft. Um diese wichtige Arbeit zu ermöglichen und die Verunsicherung zu bekämpfen, die es auch unter den Personen gibt, die in diesen Bereichen arbeiten, gibt es das Bündnis.

Wie geht’s weiter?

Bei dem Verfahren und dem Urteil für das Fanprojekt Karlsruhe wird es in die Revision gehen. Damit die Arbeit fortgesetzt werden kann, gibt es vom Bündnis auch einen Spendenaufruf. Aber neben Berufung und der Begleitung des Verfahrens braucht es mehr, um eine Änderung zu erreichen.

Auch in Bezug auf den Regierungswechsel und die Option, dass die neue Regierung inhaltlich nicht unbedingt unterstützender wird, ist die kontinuierliche Bündnisarbeit wichtig.

Wir sagen Danke an das Bündnis für das Engagement und die Zeit, die sie sich für das Interview genommen haben. Die letzte Frage war „Wie kann man euch unterstützen?“ und so lassen wir sie auch selbst antworten:

„In erster Linie, in dem unsere Anliegen und Inhalte geteilt und verbreitet werden! Ein Like, Share und ein Follow generieren Reichweite, die uns hilft, weiter auf das Problem des Fehlens des Zeugnisverweigerungsrechts aufmerksam zu machen. Als Träger Sozialer Arbeit kann man bei uns Mitglied werden und so das Anliegen sichtbar unterstützen. Man kann sich gern an uns für die Unterstützung von Veranstaltungen mit Expertise und der Teilnahme von Referent*innen wenden, wir versuchen vieles personell möglich zu machen.“

Wenn ihr euch inhaltlich noch tiefergehend informieren wollt, sind euch die Verlinkungen im Text empfohlen, sowie dieser Artikel

Beitragsbild: IMAGO/Oliver Ruhnke

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Franziska Blendin ist leidenschaftliche Fan des FSV Frankfurt, aber hadert auch mit der schlechten historischen Aufarbeitung des Vereins, wenn es um die Frauenfußball-Abteilung geht. Das ist einer der Gründe, warum sie sich vor allem mit der Geschichte des Fußballs der Frauen beschäftigt. Zur Vereinshistorie hat sie die „FSV Frankfurt Fußballfibel“ veröffentlicht. Durch die gemeinsame Recherche mit Sascha Düerkop zum falsch reklamierten 1. Bundesliga Tor des DFB ist der Podcast „Legende Verloren“ entstanden. Dieser ist mittlerweile ein Raum für vielfältige Geschichten und Interviews. Gemeinsam mit Sascha und vielen weiteren ist sie Teil des internationalen Geschichtsblogs „Forgotten Heroines“. Im eigentlichen Leben neben dem Fußball ist sie Maschinenbau-Ingenieurin bei der Deutschen Bahn und zeichnet Comics, wenn mal Zeit übrig ist.

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