Türchen 11: Sexismus ist kein Herrengedeck
Hinter Türchen Nummer 11 stehen zwei Frauen, die in diesem Jahr offen über Sexismus und sexualisierte Übergriffe im Fußball gesprochen haben: Leandra Flury und Imke Wübbenhorst.
Über sexistische Herabwürdigungen und Beleidigungen im Fußball zu schreiben, bedeutet für mich immer, dass auch eigene Erfahrungen wieder hochkommen. Eine davon die Männer, die kurz nach der Gründung von „FRÜF – Frauen reden über Fußball“ in ihrem eigenen Podcast unsere Fuckability anhand der Fotos auf der Homepage diskutierten – und die mich gerne „in einer Turnhalle wegzimmern“ wollten. Ich bezweifle, dass sie daran in den vergangenen Jahren mal gedacht haben, bei mir hat der Satz sich in seiner Übergriffigkeit tief eingebrannt.
Fußball: Übergriffige Vorfälle klar benannt
Menschen – zumeist sind es Frauen –, die im Fußball in der Öffentlichkeit stehen und derartige Vorfälle klar benennen, sind wichtig, um gesellschaftliche Veränderungen anzuschieben. Gleichzeitig kann es keine Erwartungshaltung sein, dass Betroffene ihre Erlebnisse immer wieder ausbreiten und dabei erneut durchleben. Deswegen hat es einen enormen Wert, wenn sie sich dazu entscheiden, das auf sich zu nehmen.
Zwei, die in diesem Jahr auf sich aufmerksam gemacht haben mit ihrem offenen Umgang, sind Leandra Flury und Imke Wübbenhorst. Flury, Verteidigerin beim Grasshopper Club Zürich, musste als Einwechselspielerin beim Aufwärmen im Pokal gegen den FC Basel übelste sexualisierte Herabwürdigungen über sich ergehen lassen. Zwei Männer im Publikum kommentieren ihren Hintern, stöhnen im Takt ihrer Bewegungen und lassen sich abwertend über ihre Figur aus. Weil das Stadion recht leer ist, hört und versteht Flury die beiden, deren sexistisches Theater rund 20 Minuten geht, ohne, dass jemand einschreitet.
Leandra Flury: Herabwürdigungen und Belehrungen
Flury geht mit dem Vorfall an die Öffentlichkeit. Sie will zeigen, dass diese Dinge Alltag sind, nicht nur für viele Spielerinnen, sondern Frauen ganz allgemein. Zu diesem Alltag gehört auch, was sie teilweise im Anschluss erlebt: Menschen, die ihr erklären, sie solle sich nicht so haben. Aber die Spielerin, die Soziale Arbeit studiert, erfährt daneben viel Zuspruch, die Schweizer Medien greifen das Thema auf und Flury wird vom Beobachter für den „Prix de Courage“ nominiert (den im November Chantal Britt für ihren Einsatz gegen Long Covid gewinnt).
Ob es an der Sensibilisierung durch Flurys Beispiel liegt, dass im Oktober im Schweizer Fernsehen im Format „Kehrseite“ ein ausführlicher Beitrag zu Imke Wübbenhorst deren Erfahrungen mit dem Thema aufgreift? Es sind jedenfalls 21 sehenswerte Minuten mit der deutschen Trainerin, die nach mehreren Stationen im Fußball der Männer in Deutschland aktuell die YB-Frauen in der Schweiz trainiert. Wübbenhorst spricht über strukturellen Sexismus, wie Aussagen, ihr Engagement sei ein Fehler gewesen, einfach, weil sie eine Frau ist.
Imke Wübbenhorst: Struktureller Sexismus
Daneben erzählt sie von übergriffigen Erlebnissen, wie Fans, die vorgeben, auf sie zu ejakulieren. Wübbenhorst, die gerade erstmals Mutter geworden ist, betont in dem Gespräch – wie schon in der Vergangenheit –, sie komme mit dem Erlebten klar. Gleichzeitig sagt sie, ihren Wechsel in den Fußball der Frauen genieße sie auch deshalb, weil sie neben dem Platz nicht mehr auf diese Art kämpfen müsse. Sie habe solche Bemerkungen irgendwann nicht mehr weglächeln können. Die emotionale Belastung äußerte sich an einem Zeitpunkt sogar körperlich. Die Eltern – Mutter Kerstin ist im zweiten Teil des Gesprächs dabei – sind seinerzeit voller Sorge um die Tochter.
Wübbenhorst ist Pionierin wider Willen, auch das betont sie immer wieder. Ihre Rolle als Vorbild hat sie erst mit der Zeit angenommen, dass sie es getan hat, ist eine gute Nachricht für andere Frauen im Fußball. Denn sie eint der Wunsch, einfach ihren Job machen zu können, ohne dabei ständig Hindernisse in den Weg geschmissen zu bekommen, während Verantwortliche im Fußball gemeinsam mit den Thekengünthers dieser Welt das Märchen weiterspinnen, Gleichberechtigung sei Realität und Qualität setze sich durch.
Beide, Flury und Wübbenhorst, sind nicht nur in ihren Jobs, sondern zudem mit ihrer Offenheit und ihrem Mut Vorbilder. Dass es diesen Mut überhaupt braucht, ist ein gesamtgesellschaftliches Problem.
Beitragsbild: IMAGO/Just Pictures