Mainz 05-Frauen: Ausgeschieden und doch Geschichte geschrieben
Die Sensation der 05erinnen gegen Wolfsburg mag im Ergebnis ausgeblieben sein. Das Spiel darf trotzdem als solche bezeichnet werden – und wird nachwirken. Ein Blick auf die Entwicklung.
Als die Verantwortlichen des 1. FSV Mainz 05 und des TSV SCHOTT Mainz im April 2022 den Beginn ihrer Kooperation ab Sommer bekanntgaben, war Mainz 05 der letzte Bundesligist jener Saison, der in den Fußball der Frauen einstieg. Dabei hatte es zuvor schon immer mal wieder Annäherungen zwischen beiden Vereinen gegeben, doch letztlich mangelte es an den entscheidenden Stellen lange an Überzeugung.
Was seinerzeit deutlich wurde: Das in Verband, Öffentlichkeit und letztlich auch den Clubs heiß diskutierte Thema, was der Wegfall reiner oder etablierter Frauenfußballverein für die Entwicklung nahelegt, ist für viele Spielerinnen nachrangig. Bedeutsamer als die Frage nach jener Historie ist für sie die emotionale Heimat in einem Verein. Und dort spielen zu können, wo sie womöglich von Kindesbeinen an Fußball erlebt haben, zumindest aber im großen Verein ihrer Stadt, das hat für etliche von ihnen einen Wert, der letztlich in diesen Diskussionen auch eine Rolle spielen sollte.
Integration in Raketengeschwindigkeit
Die ehemaligen SCHOTT-Spielerinnen waren denn emotional auch in Raketengeschwindigkeit bei 05 angekommen. Sogar ganz ohne dass der Verein sich dafür ein sprichwörtliches Bein ausreißen musste. Das hat mehrere Gründe. Einer ist die sportliche Leiterin Nadine Kreß, die mitgewechselt ist zu 05 und seit der laufenden Saison auch ein Büro am Bruchweg hat.
Der zweite und dritte Grund hängen eng mit ihr zusammen: Trainer Takashi Yamashita, in der ersten Saison der Kooperation nach der frühen Trennung von Nicolai König als Coup verpflichtet, ist fachlich und menschlich ein Gewinn für Team und Verein. Mit Alexander Ulbrich (Co) und Daniel Grieb (Athletik) sind Zwei im Staff verblieben, die Liga und Umfeld schon aus SCHOTT-Zeiten kennen, Yuya Okuda war bereits beim FC Basara Co-Trainer von Yamashita und dessen vertrauter Partner.
Ganz bewusst wurde zudem der erfahrene Elvir Smajlovic als Torwarttrainer verpflichtet. Seit der letzten Saison betreut mit Sandra Kärger auch eine Mentaltrainerin das Team, zu dessen Staff daneben drei Physios gehören. Damit ist die Regionalligatruppe gut aufgestellt.
Guter Mix im Kader dank Nadine Kreß
Der Kader, in einem Mix von Spielerinnen aus dem eigenen Nachwuchs, Spielerinnen aus der Region, internationalen Fußballerinnen und einer punktuellen Verstärkung in der Spitze, hat seither in jeder Saison gut funktioniert. Nicht nur sportlich, sondern auch menschlich, was eine besondere Bedeutung hat für die Spielerinnen, die sich dem Fußball zwar komplett verschrieben haben, ihn aber nur als Nebenjob ausüben können.
In der vergangenen Serie wurde zudem auf erneutes Verletzungspech in der Winterpause gut reagiert. Zur aktuellen sind sichtbar vor allem Lehren aus den Aufstiegsspielen gegen Bochum eingeflossen, von deren starkem Kader die 05erinnen die hohe Dichte an Erstligaerfahrungen als Learning mitgenommen haben.
Ein weiterer Grund für die enge Anbindung der Spielerinnen an den Gesamtverein ist ihr ehrliches Interesse an dessen Wohl und Weh. Von magischen Youth-League-Nächten zu Handball- und Tischtennis-Abstechern bis hin zur leidenschaftlichen Unterstützung der Profifußballer im Abstiegskampf sind die Frauen und Mädchen überall zu finden. Häufig tragen sie dabei voller Stolz die Farben des Vereins, den sie so lange gar nicht als eine realistische sportliche Heimat für sich selbst auf dem Radar haben konnten.
Begeisterung vom Rasen auf die Ränge
Man darf deswegen schon festhalten, dass in Mainz die Begeisterung vom Rasen auf die Ränge übergesprungen ist. In der vergangenen Saison hat sich eine verschworene kleine Gemeinschaft gebildet, die inzwischen zum Teil im Fanlub „Die Capriolen“ organisiert sind und mit den Fußballerinnen auch jede Auswärtsfahrt bestreiten. Die Heimspiele finden einen wachsenden Anklang, wobei der Umzug zum Kunstrasenplatz am Bruchweg einen kleinen Schub gegeben hat.
Das Bruchwegstadion selbst steht nur für sogenannte Highlight-Spiele zur Verfügung; bisher hieß das: DFB-Pokal. Natürlich gehört zur Wahrheit, dass bei einer Partie wie bzb dem Achtelfinale gegen den VfL Wolfsburg auch die Gegnerinnen, in diesem Fall sicher mitentscheidend die langjährige DFB-Kapitänin Alexandra Popp, Publikum zieht. Abstreiten lässt sich zugleich nicht, dass überdachte Plätze für viele Fans Minimalanforderung sind, manche Fans auf Sitzplätze angewiesen – und regelmäßige Spiele im Stadion das Wachstumspotential erheblich verbessern würden.
Das Herz komplett auf dem Platz gelassen
Knapp 2.500 Fans, etwas unter 300 aus der Autostadt, wurden am Samstag Zeug*innen einer Beinahe-Sensation. Wobei fairerweise festgehalten werden muss, dass gegen die Dauer-Titelträgerinnen bereits die 1:0-Führung, von Kara Bathmann in der 29. Minute erzielt, eine kleine Sensation war. Nicht, weil den von Yamashita perfekt eingestellten 05erinnen kein Tor zuzutrauen gewesen wäre, sondern, weil das Team die Führung bis zur 82. Minute verteidigen konnte – und dabei gegen den Sturmlauf der Wolfsburgerinnen auch selbst erneut zu Chancen kam.
Bathmann, vom Absteiger MSV Duisburg gekommen, stand letzte Saison im Achtelfinale noch gegen die Mainzerinnen auf dem Platz. Sie gehört, wie auch Vorlagengeberin Chiara Bouziane und Vital Kats, zu jenen Verstärkungen in der Spitze, die dem Team diese Saison definitiv anzumerken sind. Erstligaspiele, internationale und Nationalteam-Erfahrungen helfen in einer solchen Begegnung zweifelsohne und sind Beleg für den Aufstiegshunger.
Aber die Leistung auf die Neuzugänge zu reduzieren, wäre eben ein Fehler, denn in der Partie haben alle 05erinnen ihr Herz auf dem Platz gelassen. Wie Ur-Mainzerin Nadine Anstatt Bälle erobert und verteilt hat, Jana Löber in ihrer aktuellen Rolle als Kapitänin das Team geführt oder Laura Schmahl an der Seitenlinie Kilometer gefressen, war eine Freude mitanzusehen und wurde von den Fans begeistert gefeiert. Beeindruckend auch, wie Maren Michelchen, letzte Saison in der Zweiten Mannschaft, sich ins Team zurückgekämpft hat. Und auf der Tribüne verstärkten die Verletzten ihr Team ebenso emotional wie die Fans, angefangen mit einer Choreo bis zur lautstarken Feier jeder gelungenen Aktion.
Besondere Nähe zwischen zu den Fans
Das hatte etwas von alten Bruchwegzeiten nach dem ersten Aufstieg in die 1. Liga: Plötzlich gegen die Großen spielen und denen zu ihrer eigenen Überraschung eine lange Nase drehen. Und doch soll es bei diesem Vergleich keinesfalls bleiben, denn das Publikum ist anders, gemischter, bunter – das gilt auch für die Stimmung: In einer guten und schützenswerten Art und Weise.
Es herrscht eine besondere Nähe zwischen den Spielerinnen und ihrem Anhang, und das war auch in der Schrecksekunde des Spiels knisternd spürbar, als nämlich Torhüterin Mamiko Matsumoto mit Gelb-Rot vom Feld gestellt wurde. Es gehörte wohl zu den Überraschungen der Sommerpause, dass sich der Verein gerade im Tor veränderte, aber Matsumoto hat in der Liga bereits gezeigt, was es bedeutet, wenn eine Torfrau nicht nur sehr gut ist, sondern in jeder Partie das Zeug zur Unterschiedsspielerin hat. Gegen den VfL hielt sie sensationell.
Die gelbe Karte wegen Zeitspiels von der nicht immer sicheren Schiedsrichterin Naemi Breier in der 81. Minute wirkte deutlich überzogen, direkt im Anschluss kassierte Matsumoto den Ausgleichstreffer – und nur wenige Minuten darauf das 2:1. Weil die Wolfsburgerinnen das mit Ball bejubelten, die 05-Keeperin sich diesen zurückzuholen versuchte und im Gerangel erst Popp, dann die Matsumoto selbst zu Boden gingen, schickte die Schiri sie vom Platz.
Es gab im Stadion in diesem Moment ausschließlich liebevolle Unterstützung für die U23-Nationalspielerin. Der Wunsch, sie von den Rängen aufzubauen, war überdeutlich spürbar. Zugleich war vielen im Stadion bewusst, dass etwas absolut Magisches passierte: Ann-Christin Schäfer, SCHOTT-Urgestein, als Torwarttrainerin eine absolute Bereicherung für ihre Clubs, Keeperin mit unfassbarer Vereinsidentifikation, die seinerzeit noch bei SCHOTT in der Regionalliga in einem komplett dezimierten Kader auch schon als Feldspielerin ausgeholfen und sogar ein Tor geschossen hat, wurde fürs Tor eingewechselt.
Zwei absolute Identifikationsfiguren
Und mit ihr Heiðrún Sigurðardóttir, die ihr Team als Kapitänin in die Kooperation geführt und sich seither Verletzung um Verletzung zurückgekämpft hat. Wieder flogen da Herzen, als die #8 und Schäfer, in dieser Saison der Zweiten Mannschaft zugeteilt, aber durch Verletzungen in den Kader gerückt, aufs Feld kamen – und Letztere sich aufmachte ins Tor.
Was für eine Geschichte! Und die schrieb sich anschließend wie von selbst weiter. Zwar konnte die Keeperin das dritte und vierte Gegentor nicht verhindern, wohl aber, dass die Partie auf dem Papier in eine Tordifferenz abglitt, die sich unfair angefühlt hätte: In der 96. Minute hielt sie den Elfmeter von Fenna Kalma. Das Stadion explodierte, als wäre der Siegtreffer gefallen, denn beinahe so fühlte sich Schäfers Rettungstat in diesem Moment an.
Danach war es vorbei, jubelten die Rekordtitelträgerinnen und liefen die Mainzerinnen ein wenig ungläubig über den Rasen. So lange geführt und dann doch deutlich verloren zu haben, die unterschiedlichen Gefühle dieser beiden Extreme lagen zu weit auseinander, um sich sofort einen Reim daraus zu machen. Das Publikum aber kannte nur ein Gefühl: Stolz auf dieses Team. Das an dem Abend, auch wenn das pathetisch klingen mag, so viel mehr gewonnen hat, als ein Spiel – und Mainz mit einem Ausrufezeichen auf die Landkarte für den Fußball der Frauen gesetzt. Dieser Moment birgt sehr viel Potential. Hoffentlich wissen die Verantwortlichen es zu nutzen.
Beitragsbild: IMAGO/Beautiful Sports