In einem vollbesetzten Fußballstadion zeigt Schiedsrichterin Tori Penso an, dass sie nach einem Video Review ihre vorherige Entscheidung im Finalspiel der WM 2023 revidieren wird.

Fußballregeln & VAR – Quo vadis 2025?

Ständig werden Fußballregeln geändert. Mal ein bisschen, mal ganz schön viel. Und irgendwie passt es nie allen. Nun steht auch der VAR wieder im Fokus. Sollte man ihn abschaffen?

Ich erinnere mich noch an meinen ersten Besuch im DFB-Archiv. Damals recherchierte ich für meine Biografie zu Simon Rosenberger unter anderem in den alten Schiedsrichter-Magazinen. Und ich erinnere mich insbesondere an den Moment als ich die älteste dieser Ausgabe aufschlug und auf der Titelseite ging es darum,…. ob die Abseitsregeln Sinn ergeben und wieso man ständig über sie diskutieren muss. Gibt es denn keine Lösung, fragte man sich damals und heute.

Unpopular opinion: Nein, gibt es nicht. Und zudem ist es auch völlig falsch, wenn man glaubt, dass eine Regel irgendwann perfekt ist und nicht mehr geändert werden braucht.

Es gibt keinen perfekten Fußballregeln

Das Fußballspiel bestimmt die Regeln. Und die Regeln bestimmen das Spiel.

Ein Beispiel, auf das wir im nächsten Jahr noch häufiger zu sprechen kommen: 1925 wurde in der Abseitsregel ein Wort geändert: Aus „drei“ wurde „zwei“. Nämlich Spieler*innen des gegnerischen Teams, die zwischen Ball und Tor sein müssen, damit keine mögliche Abseitsstellung vorliegt. 

Der Grund: Man hatte die Abseitsfalle satt. Sie zerstöre den Spielfluss und sei gänzlich unfair. Man teste verschiedene Änderungen und entschied sich für diese Lösung.

Die Folge: Für ein paar Jahre gab es tatsächlich kaum noch Abseitsfallen. Es gab aber auch für manche Teams 100 Tore mehr – mal erzielt, mal gefangen. Und kurze Zeit später entwickelte sich mit der WM-Taktik (2-3-3-2) eine völlig neue, offensive Taktik, die ohne Regeländerung nicht möglich gewesen wäre.

Es gibt keinen perfekten Regeltext und keine perfekte Regelauslegung. Und selbst wenn er mal perfekt sein sollte, wird er nach wenigen Jahren, vielleicht schon nach wenigen Monaten nicht mehr perfekt sein.

VAR abschaffen oder nur die Umsetzung ändern?

Das ist auch meine unpopular opinion zum VAR: Nicht das „Was“ (VAR), sondern das „Wie“ (Umsetzung) ist das, was viele stört. Daher sollte eigentlich nicht das Amt des VAR in Frage gestellt werden, sondern an der Umsetzung gefeilt werden. Ich prognostiziere aber mal: Das wird eine never-ending story wie beim Abseits oder auch der Handspielregel.

Letztendlich ist das Amt des VAR – des Video Assistant Referee – einfach eine* Assistent für den*die Schiedsrichter*in. Natürlich durch Einsatz der Medien mit entscheidenderem Einfluss als jene an der Seitenlinie.

Ich glaube, der VAR wäre viel akzeptierter, wenn die Unterbrechung nicht so lange wäre. Dieses verzögerte Jubeln insbesondere. Wenn man das irgendwie ändern (automatisieren?) könnte, würde das schon einiges an der Akzeptanz ändern. 

Ausblick auf Regeländerungen 2025

Aber wird das möglich sein? Die FIFA überarbeitet ja seit einigen Monaten das VAR protocol und wir alle sind gespannt, was das Ergebnis sein wird.

A propos VAR: Das war auch eins der Themen bei einer jüngsten Gremiensitzung im IFAB. Genau genommen wurde der laufende Test mit „öffentlichen Bekanntmachungen nach [VAR-]Überprüfungen und langwierigen Kontrollen unter Einbeziehung von Video-Schiedsrichterassistenten“ besprochen. Vor zwei Wochen trafen zwei Gremien des IFAB zu ihrer jährlichen Sitzung, um mögliche Regeländerungen für 2025 zu sondieren. Diese beiden Gremien heißen: FAP und TAP. FAP steht für Football Advisory Panel und besteht aus Trainer*innen und ehemaligen Spieler*innen. TAP steht für Technical Advisory Panel und besteht aus Schiedsrichter*innen, je einer Person pro Konföderation. (Auf der Seite des IFAB könnt ihr sehen, wer Mitglied ist.)

Die Empfehlungen werden dann Anfang Dezember im BoD, dem Board of Directors im ABM („Annual Business Meeting“) diskutiert. In diesem Gremium sitzen die fünf Generalsekretäre der vier britischen Verbände plus FIFA. Und deren Ergebnisse und Empfehlungen gehen dann in die Jahreshauptversammlung (AGM = „Annual General Meeting“), an dem unter anderem die vier britischen Verbandspräsident*innen und Infantino teilnehmen. (Mehr zum IFAB, AGM und Abstimmung bei Regeländerung könnt ihr hier nachlesen.)

Meine Prognose: Es wird wie in diesem Jahr keine wirklichen Regeländerungen geben. Die Pressemitteilung des IFAB nach der F/TAP-Sitzung zeigt, dass die zahlreichen Experimente, die gerade laufen im Fokus stehen, darunter die für Torhüter*innen, den Ball acht Sekunden zu halten – das sind zwei mehr wie bislang, dafür soll aber die Einhaltung genauer kontrolliert werden. Derzeit sind es ja gerne mal 15 Sekunden. Oder der Einsatz von BodyCams für Schiedsrichter*innen.

Die kommende ABM wird am 2. Dezember in London stattfinden, die AGM Anfang März in Belfast.

Foto: IMAGO/Sports Press Photo

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Petra Tabarelli ist Fußballhistorikerin und -journalistin. Die Spezialistin für die Entwicklung der Fußballregeln schreibt für die DFB-Schiedsrichter-Zeitung, ist als Expertin im Deutschlandfunk zu hören und hat als Beraterin fürs IFAB gearbeitet. Tabarelli ist Mitglied des prämierten Kollektivs „FRÜF“ und setzt sich in der web.de-Kolumne für eine stärkere Präsenz und Förderung von Schiedsrichterinnen im Fußball der Männer ein. 2023 wurde sie zum Mitglied der Deutschen Akademie für Fußball-Kultur ernannt. Zudem hat die Expertin die erste Biografie über den zu Lebzeiten sehr bekannten Simon Rosenberger geschrieben, einen jüdischen Fußball-Pionier und Begründer der DFB-Schiedsrichter-Zeitung, der zuvor aus der Geschichte getilgt worden war.

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