„Wir wollten nicht nachgeben. Was wäre die Konsequenz gewesen?“ Rebecca Knaak im Interview
Tore, Verletzungen, Titel, Drohungen: Rebecca Knaaks drei Jahre in beim FC Rosengård in Schweden als wechselhaft zu bezeichnen wäre eine Untertreibung. Im Interview erzählt Knaak, wie sie diese Zeit erlebt hat.
Rebecca Knaak gewann mit dem FC Rosengård die Damallsvenskan 2024 und war mit 12 Toren entscheidend beteiligt eine unruhige Saison zu vergolden. Die Innenverteidigerin erzielte am 22. Spieltag Anfang Oktober gegen Kristianstads DFF sogar die beiden Treffer, durch die der Titelgewinn vorzeitig feststand. Möglich wurden so ungewöhnlich viele Tore für eine Innenverteidigerin unter anderem durch ein taktisches Mittel in dieser Saison, wie sie im Interview erklärt, sie wurde als Verteidigerin des Jahres ausgezeichnet.
Rosengård gewann im Jahr 2024 in der Liga 23 Spiele in Folge und stellte damit einen neuen Rekord auf, nur eine einzige Niederlage am drittletzten Spieltag gegen Hammarby sorgte dafür, dass der Verein nicht die gesamte Saison über ungeschlagen war.
Knaak wechselte im Januar 2022 vom SC Freiburg zum FC Rosengård in die schwedische Liga, neben dem Fußball studierte sie zuerst Psychologie und dann Sportwissenschaften. Ihr Vertrag bei den schwedischen Rekordmeisterinnen aus Malmö läuft nun nach drei Jahren aus, die 28-jährige ist in dieser Zeit zweifache schwedische Meisterin geworden, im Jahr 2022 kam außerdem noch der Pokal hinzu. Ausgebremst wurde sie immer wieder durch Verletzungen, speziell durch eine langwierige Zehenverletzung aus dem Champions-League-Rückspiel gegen Bayern München im Oktober 2022. Das Comeback erfolgte erst ein Jahr später – nach drei Operationen.
In der Saison 2024 beschäftigte den gesamten Verein dann plötzlich noch ein ganz anderes Thema, denn eine Spielerin des FC Rosengård wurde ab Mai wiederholt anonym bedroht, Rosengård erstatte Anzeige gegen unbekannt, die Trainings fanden unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen statt. Die Drohungen in den sozialen Medien und an Vereins-Mailadressen weiteten sich im Verlauf des Jahres auf die gesamte Liga aus, von mehreren Vereinen waren jeweils einzelne Spielerinnen betroffen.
Die schwedische Polizei hat inzwischen IP-Adressen ermittelt und geht von einer tatverdächtigen Person aus, ermittelt werden konnte diese aber noch nicht. Selbstredend ist das Thema in Schweden ein großer Skandal, für die Spielerinnen bestand und besteht ein Konflikt aus Sicherheitsbedürfnis, dem oder den Täter*innen nicht die gewünschte Genugtuung und Aufmerksamkeit zu geben und eine Debatte über dringend nötige Sicherheitskonzepte zu führen.
FC Rosengård im Flow
Annika: Herzlichen Glückwunsch zum Titelgewinn mit dem FC Rosengård in der Damallsvenskan! Wie hast du denn die vergangene Saison so erlebt?
Rebecca Knaak: Es war eine der besten Saisons, die ich je erlebt habe. Ich war Anfang des Jahres noch verletzt, das war noch nicht so schön für mich persönlich, aber für die Mannschaft lief es schnell ziemlich gut. Ab dem Sommer konnte ich dann alles auf dem Platz miterleben. Uns fragen immer alle, warum es so gut gelaufen ist. Das wissen wir selbst nicht so genau, wir hatten so einen richtigen Flow, es hat unglaublich viel Spaß gemacht.
Ich hätte auch als nächstes gefragt, was aus deiner Sicht ausschlaggebend war, denn in der Saison davor lief es ja für die Ansprüche von Rosengård nicht so gut, ihr habt die Saison 2023 auf dem siebten Platz beendet.
Im Jahr 2023 ging fast alles schief. Wir hatten sehr viele Verletzungen, einen Trainerwechsel, viel Pech, haben auch schlecht gespielt. Das hat sich so durchgezogen. Wir haben dann mit Momoko Tanikawa eine super Spielerin dazu bekommen, die einen Unterschied macht.
Danach sind wir größtenteils zusammengeblieben, auch unser Trainer Joel Kjetselberg. Wir haben das Spielsystem geändert, das hat schnell für alle funktioniert. Wir hatten viel mehr Kontinuität und trotz Verletzungen und Rotation immer diese Grundstruktur, auf der wir aufbauen konnten.
Wir waren nicht mehr zu bremsen, hatten Selbstbewusstsein und haben nie aufgehört, das war auch so ein Schlüssel, dass wir wirklich vor jedem Spiel gesagt haben: ‚Alles, was uns stark gemacht hat, bringt uns nichts, wenn wir das jetzt nicht mehr machen‘.
Du hast gerade gesagt, ihr habt das System verändert. Kannst du ein bisschen dazu und zu deiner eigenen Rolle sagen?
Vorher haben wir mit Viererkette gespielt, in der Regel 4-3-3 oder 4-2-3-1. Seit diesem Jahr haben wir kontinuierlich 3-5-2 gespielt. Ich habe vorher sowohl auf der Sechs als auch in der Innenverteidigung gespielt. Im neuen System war ich die halblinke Innenverteidigerin in der Dreierkette.
Meine Rolle hat sich vielleicht in dem Sinne verändert, dass wir als taktisches Mittel oft Innenverteidigerinnen aus der Dreierkette nach vorne in den Strafraum gebracht haben. Das ist auch der Hauptgrund, warum ich mehr Tore gemacht habe als üblich. Wir hatten viele tief stehende Gegner, konnten aber aus der Dreierkette nach vorn schieben. Wir haben das in Deutschland selten angewendet, also war es für mich erst etwas anderes. Aber es war sehr gut auf uns abgestimmt.
Verletzung und Drohungen gegen Mitspielerin
Du hast vorhin schon eine Verletzung angesprochen, du bist zwischendurch lange ausgefallen, vor allem mit einer Verletzung am Zeh, musstest mehrfach operiert werden. Wie hast du diese Zeit erlebt, konntest du daraus für dich auch etwas mitnehmen?
Es ist schon komisch, wir sagen immer, das Gehirn ist so gut, weil es so schnell alles verdrängt, das schlecht war. Inzwischen könnte ich schon drauf zurückblicken und sagen ‚Oh, wie schön und positiv, was ich daraus mitnehmen konnte‘. Aber in dem Moment war es wirklich schlimm. Mir ging es nicht gut. Ich habe dem Ganzen noch ein halbes Jahr, maximal ein Jahr gegeben, ‚wenn es dann nicht gut ist, höre ich auf‘. Das habe ich mir immer gesagt, aber ich weiß nicht, ob ich es wirklich gemacht hätte. Zum Glück kam es nie zu diesem Punkt.
Jetzt würde ich sagen, dass ich einerseits auf der mentalen Ebene gelernt habe, weil ich mich ja auch oft mit sportpsychologischen Themen beschäftige und andererseits physisch dazugelernt habe. Was man im Fitnessstudio erarbeitet in der Zeit, das ist in einer normalen Saison fast unmöglich. Ich habe versucht, die Perspektive zu wechseln. Es ist unmöglich zu sagen, dass es nicht schlimm ist, weil es das in der Situation selbst ist. Ich habe mitgenommen, mich Freunden oder Familie gegenüber mehr zu öffnen, weil ich sonst Dinge eher mit mir selbst ausmache. Ich höre lieber anderen bei ihren Problemen zu, anstatt über meine zu reden. Das zu ändern, war gut und ich bin auch sehr dankbar für alle, die mir geholfen haben.
Es war nicht nur eine ruhige Saison. Es gab Drohungen gegen eine Spielerin von Rosengård und später gegen Spielerinnen in der gesamten Liga. Wie seid ihr als Team damit umgegangen? Habt ihr euch gut unterstützt gefühlt?
Anfangs war es ein sehr, sehr großer Schock, weil das etwas ist, womit man absolut nicht rechnet. Ich fand es gruselig, aber man hat sich am Platz sicher gefühlt, weil es erhöhte Sicherheitsmaßnahmen gab. Alle sind gut damit umgegangen, aber vor allem die betroffene Spielerin, die da im Fokus war, davor habe ich sehr großen Respekt. Uns, ihr vor allem, wurde die Möglichkeit gegeben, nicht zu spielen. Wir wollten aber ‚die‘ nicht gewinnen lassen, wer auch immer sie sind, wir wissen es leider ja nicht.
Wir wollten nicht nachgeben. Was wäre die Konsequenz gewesen? Wenn wir das Spiel nicht spielen, darf ich theoretisch morgen auch nicht mehr zum Einkaufen gehen. Dann kann ich nie wieder rausgehen. Das wollten wir nicht. Es war für die betroffene Spielerin und das enge Umfeld extrem, die ersten Spiele waren echt heftig. Aber wir haben es irgendwie geschafft, uns zusammen zu finden und uns gegenseitig zu helfen.
Rückkehr nach Deutschland?
Wie siehst du allgemein das Umfeld und die Fanszene im Vergleich zu Deutschland?
Ich würde sagen, es ist hier jetzt so wie vor drei Jahren in Deutschland, als ich hierher gekommen bin. Es gibt vereinzelte Topspiele, in Hammarby zum Beispiel hat man mal über 10.000 oder 20.000 Leute. Wir haben einen Schnitt von 1400 Leuten pro Spiel. Rosengård ist im Gegensatz zu Hammarby, Häcken und anderen nicht aus dem Männerfußball, bei den Vereinen sind mehr Fans im Stadion. Es gibt aber schon viele Spiele, wo man dann irgendwo im Norden vor 500 Leuten spielt.
Dein Vertrag läuft ja nun aus. Weißt du schon, wie es für dich weitergeht? Bleibst du vielleicht doch noch?
Ich weiß es tatsächlich noch nicht, es ist noch nichts entschieden. Es war eine bewusste Entscheidung, nicht zu verlängern und zu schauen, welche Türen sich öffnen und gerade gibt es einige Möglichkeiten. Es besteht theoretisch auch noch die Möglichkeit, dass ich bleibe, der Club hat sich sehr um mich bemüht. Ich fühle mich in Schweden super wohl und liebe auch alle Menschen und alles hier, aber es ist für mich der richtige Zeitpunkt, um sportlich den nächsten Schritt zu gehen. Wenn es diese Möglichkeit gibt, würde ich sie gerne nutzen. Aber es kann aktuell in alle Richtungen gehen.
Wäre eine Rückkehr nach Deutschland auch denkbar?
Ja, absolut. Damit habe ich mich im Sommer schon mal beschäftigt. Ich war froh, den Schritt hierher getan zu haben, weil es mir viel gegeben hat, von dem ich sicher bin, dass ich es sonst niemals erlebt hätte. Auch nicht solche Menschen kennengelernt hätte, wie ich es hier habe. Aber natürlich möchte auf jeden Fall gerne noch mal in der deutschen Liga spielen.
Wie ist es denn damals eigentlich zum Wechsel zum FC Rosengård gekommen? Und als Nebenfrage, du sprichst sehr gut Schwedisch sprichst. Konntest du die Sprache vorher schon?
Nein, vorher nicht. Mittlerweile schon, das macht mir auch Spaß! Ich habe hier ganz viele schwedische Freunde und bin irgendwie immer direkt im Umfeld von Schweden gelandet. Dadurch wollte ich immer lernen und das ging bei mir zum Glück relativ schnell.
Und der Wechsel, ich wollte mal etwas anderes machen und auch gerne ins Ausland. Ich war damals in Freiburg gerade fertig mit meinem Studium und habe mit meinem Berater gesprochen, der auch Anja Mittag beraten hatte. Dadurch gab es schon eine Verbindung zu Rosengård und der damaligen Sportdirektorin Therese Sjögran. Ich habe die Möglichkeit gesehen, Titel zu gewinnen und in der Champions League zu spielen. Schweden fand ich auch direkt sympathisch, das hat sich auch alles bestätigt. Es hat direkt gepasst und ich bin dankbar für die Zeit hier. Auch wenn es sowohl sehr positive als auch sehr schwierige Zeiten waren.
Besondere Momente und Vergleich zur Bundesliga
Was sind Momente oder Erlebnisse, die du nicht missen wollen würdest?
Das Spiel gegen Häcken aus meiner ersten Saison, da ist Caroline Seger ausgefallen und ich musste auf der Sechs spielen, obwohl ich das ewig nicht mehr hatte. Da habe ich für mich in dem Moment das wichtigste Tor für den Verein gemacht. Dann natürlich das Comeback nach der Zehenverletzung beim Champions-League-Quali-Spiel gegen ŽFK Subotica.
Jetzt aus dieser Saison gibt es einige Highlights, das Häcken-Spiel direkt nach der Sommerpause, wo beim Tor Innenverteidigerin zu Innenverteidigerin geköpft hat. Das war besonders und auch ein gutes Spiel. Und natürlich das ‚Goldspiel‘ mit den zwei Toren, durch die der Titel sicher war.
Wie siehst du den Fußball in der Damallsvenskan im Vergleich zur Bundesliga?
Als ich vor drei Jahren hierher kam, war es noch ähnlich zur deutschen Liga. Inzwischen finde ich schon, dass das Niveau hier sehr gesunken ist, in Deutschland geht der Trend wieder eher nach oben, nach langer Stagnation. Es macht sich bemerkbar, dass in den letzten Jahren viele Schwedinnen nach England und Italien gegangen sind. Bei uns sind fast nur Nationalspielerinnen und die Top-drei-Vereine wären auch in Deutschland gut dabei. Aber darunter ist es oft kein schöner Fußball, viel Kampf und sehr defensiv. Es fehlen einfach die Mittel. Man sieht es auch an den Platzierungen, Schweden gehört nicht mehr zu den europäischen Top-fünf-Ligen.
Wie viel bekommst du als Spielerin davon mit, wie diese Themen diskutiert werden? Wie es mit dem schwedischen oder skandinavischen Fußball im europäischen Vergleich weitergehen könnte?
Da bin ich ehrlicherweise nicht so involviert. Es wird diskutiert und ich weiß, dass zum Beispiel Caroline Seger und andere sehr engagiert sind. Es ist ein harter, langsamer Kampf und es sind leider ähnliche Probleme, wie wir sie lange aus Deutschland kennen, dass Geld in die falschen Dinge gesteckt wird oder eben einfach gar nicht. Viele männliche Chefs, die vielleicht noch nicht so den Blick für den Frauenfußball haben und ganz viele Vereine, denen die finanziellen Mittel fehlen. Es ist schwierig. Es wird aber auf jeden Fall etwas versucht und es soll mehr Geld investiert werden. Wie schnell das geht, muss man sehen. Aber das Bewusstsein ist definitiv da.
Wie hast du den deutschen Fußball denn aus der Entfernung so verfolgt und wahrgenommen?
Ich schaue so viele Spiele wie ich kann, natürlich nicht alle, aber die Champions League und meine alten Vereine, Freiburg besonders. Es ist für mich kein Riesenunterschied im Vergleich zu vor drei Jahren. Ich finde sehr cool, dass diese Highlight-Spiele mehr geworden sind.
Vom Fußball her finde ich auffällig, dass extrem viele junge Spielerinnen und junge Teams in der Bundesliga sind, was man dann auch im Spiel sieht, weil die Konstanz oft fehlt. In der deutschen Liga gibt es viele Vereine, die alles zwischen Vierter und Achter oder Neunter werden können. Die Top-drei oben haben eine balanciertere Kaderstruktur. Das ist ein großer Unterschied zu anderen Ländern, dass gerade mehr junge oder weniger erfahrene Spielerinnen in Deutschland sind.
Beitragsbild: IMAGO/Bildbyran