Alex Popp im DFB-Dress der Olympischen Spiele auf dem Rasen in Lyon. Sie liegt leicht nach hinten in der Luft und spielt mit dem linken Fuß den Ball. Hinter ihr in der Unschärfe das Tor und die Hintertortribüne. Credit: IMAGO/Action Pictures

Abschied der DFB-Kapitänin Alexandra Popp: Am Ende märchenhaft

Das Länderspiel der DFB-Frauen am Montag gegen Australien markiert eine Zäsur: Alex Popp spielt ihr 145. und letztes Länderspiel – an einem bedeutsamen Ort. In Duisburg hat nicht nur viel zitiert alles begonnen, auch das für sie bewegende erste DFB-Spiel nach dem Tod ihres Vaters wurde hier ausgetragen. Ihre letzte Partie dort ist das märchenhafte Ende einer beispiellosen Karriere im Nationalteam.

Es gibt diesen einen Satz, den Alexandra Popp immer wieder sagt, wenn sie in Interviews von ihrem Leben mit dem Fußball erzählt: „Ich bin quasi am Mittelkreis geboren.“ Dann lacht sie, gerade so, als wäre er ihr in diesem Moment zum ersten Mal eingefallen.

Alex Popp auf dem Fußballplatz des FC Schwarz-Weiß Silschede, einen Ball in der Hand, sie trägt eine schwarze Daunenweste und einen schwarzen Loop-Schal, schaut in die Kamera. Hinter ihr das Tor. Credit: IMAGO/Schwörer Pressefoto
Alexandra Popp 2012 beim Shooting auf dem Gelände des FC Schwarz-Weiß Silschede 1926. (Foto: IMAGO/Schwörer Pressefoto)

Ihr Bild erzählt von der Leichtigkeit: Fußball war in Popps Leben immer da, hat immer gepasst. Fußball war nichts, in das sie erst hineinwachsen musste. Es hat sich immer richtig angefühlt mit ihr und dem Ball. Das Spiel ist zu ihr gekommen – und sie ist darin aufgegangen. Aber Fußball ist mehr als nur ein Spiel. Und in diese Tatsache musste Popp immer wieder aufs Neue hineinwachsen. Zum ersten Mal, als die Teenagerin nicht mehr mit „ihren“ Jungs spielen darf. „Dann höre ich eben auf“, erklärt sie ihrem Trainer Horst Westermann damals voller Frust. Er ist der erste Horst, dem in ihrem fußballerischen Leben eine große Bedeutung zukommt. Mit den Mädchen zu kicken? Keine Option. „Es ist schon verrückt, aber ich dachte, die können alle nicht spielen“, erinnert sie sich lachend. Wieso sonst sollte sie bei den Jungs sein? Schließlich gibt die Teenagerin der Sache eine Chance. Verwundert stellt sie fest, die anderen Mädchen spielen einen richtig guten Fußball. Und sie selbst fühlt sich tatsächlich wohl damit, eine unter Gleichen zu sein. Die Erfahrung ist damals völlig neu für sie.

Eine ohne Vorbilder wird zum Vorbild

Heute ist Popp 33 Jahre alt. Der damalige Blick auf den Fußball und die kickenden Frauen ist nicht ungewöhnlich für Spielerinnen ihrer Generation. Sie gehört aber zu den letzten ihrer Art: Während sie als Mädchen nichts von einer Nationalelf der Frauen wusste, ist das heute undenkbar. Junge Spielerinnen erleben von klein auf Vorbilder für ihre Träume.

Die Kapitänin des Nationalteams ist eines dieser Vorbilder. Herangewachsen als Spielerin beim FC Schwarz-Weiß Silschede 1926 und dem 1. FFC Recklinghausen, gereift beim FCR Duisburg und auf Titeljagd gegangen mit dem Vfl Wolfsburg, steht sie heute auch mit Spielerinnen auf dem Platz, die damit großgeworden sind, ihr bei den ersten Versuchen in der Nationalelf sowie den Reifeprüfungen in ihren Vereinen zuzuschauen. Schon 2011 bei der Heim-WM darf Popp als frisch gebackene U20-Weltmeisterin auch fürs Nationalteam ihre Schuhe schnüren. Und muss hinterher mit dem Rucksack klarkommen, den Trainerin Silvia Neid ihr aufsetzt, als sie nach dem frühen Turnier-Aus sagt, von der jungen Stürmerin habe sie sich mehr erwartet.

Ariane Hingst, Birgit Prinz und Alexandra Popp stehen vor der Auswechselbank, alle tragen lilafarbene Leibchen mit dem Aufdruck FIFA und schauen aus dem Bild heraus. Credit: IMAGO/Jan Hübner
Große Vorbilder, großer Rucksack: Alex Popp bei der Heim-WM 2011 mit Birgit Prinz und Ariane Hingst. (Foto: IMAGO/Jan Hübner)

Das Thema Erwartungshaltung ist eines, in das die
 Spielerin sich hineinboxen, und das sie sich gleichzeitig mit entsprechender Deckung vom Leib halten 
muss. Wer früh als Superstar gelabelt wird, muss abwägen: Welchen dieser Schuhe ziehe ich mir an? Worauf lasse ich mich ein? Und was halte ich ganz bewusst auf Distanz? In diesem Wachstumsprozess hilft
 Popp ein enges und stabiles soziales Netz, das sie auch außerhalb ihrer Kernfamilie spinnt.

Freundinnenschaften nehmen einen besonderen Raum ein im Leben der Fußballerin, die in der eigenen Familie durch die Insolvenz ihrer Eltern sehr früh erwachsen werden muss – und das auch deshalb kann, weil Menschen außerhalb sie auffangen, tragen und begleiten. Ihre beste Freundin Kim, Kindheitskumpel Ali, Mitbewohnerin und -spielerin Lulle, sie alle sind Rückhalt, Bezugspersonen und Popps Familie über die heimischen Bande hinaus. Neben diesen Bindungen gewinnen im Heranwachsen auch Beziehungen zu ihren Mitspielerinnen an Bedeutung. Mit denen feiert sie Feste, wie sie fallen: Auf Reisen mit den U-Nationalteams sind Feierlichkeiten erst beendet, wenn Popp und Almuth Schult die Tür hinter sich zu ziehen, weil die beiden am längsten durchhalten.

Schult und Popp: Die Letzten machen das Licht aus

Der Mix aus einer großen privaten Verantwortung – Popp unterstützt ihre Familie auch finanziell – und dem Privileg, sich im Fußball sehr aufs Spiel an sich zu konzentrieren, funktioniert einige Zeit. Doch die Phase ist endlich, denn mit zunehmendem Alter und Erfahrung verändern sich ihr Spiel und die Rolle, die Popp in ihren Teams zukommt. Schult gehört zu den Mitspielerinnen, an denen sich die Stürmerin beim Einfühlen in die ungewohnte Rolle orientieren, an deren Vorbild sie wachsen kann. Beide kennen sich seit dem U15-Länderpokal. „Poppi hat schon als junge Spielerin viel mit allen gesprochen, das war eine Stärke“, erinnert sich die langjährige Nationalkeeperin. Und die Geschichte, dass beide nach Partys das Licht ausmachen, ist erst auserzählt damit, dass sie auch nach Spielen oft am längsten in der Kabine waren, um noch aufzuräumen. „So sind wir einfach großgeworden.“

Almuth Schult und Alex Popp im Dress des VfL Wolfsburg stecken grinsend die Köpfe zusammen. Credit: IMAGO/Beautiful Sports
Zwei, die zusammen feiern, spielen und den Laden in Ordnung halten: Almuth Schult und Alex Popp. (Foto: IMAGO/Beautiful Sports)

Menschen, die Alex Popp in ihrem sportlichen Leben schon früh begleitet haben, geben unisono zu Protokoll, es sei nicht absehbar gewesen, wie sie mit Verantwortung umgehen würde, wenn man ihr diese überträgt. Ralf Kellermann, der sie einst nach Wolfsburg lotste, erzählt das ebenso wie ihre langjährige Co-Trainerin beim VfL und bei der Nationalelf, Britta Carlson, oder eben Mitspielerin und Freundin Almuth Schult. „Sie ist in die Rolle dann auf ihre ganz eigene Art reingewachsen und erstaunt sich heute vielleicht manchmal selbst damit, wie gut sie passt“, resümiert Schult. Auch in dieser Bewertung sind sich in Popps Umfeld alle einig.

Horst 2: Back To The Roots mit Hrubesch

Fürs Nationalteam ist es Martina Voss-Tecklenburg, die bei ihrem Amtsantritt 2019 beschließt, die Binde als Kapitänin der Spielerin zu geben, die sie schon in Duisburg gecoacht hat. Hinter dem Team liegen da wechselvolle Zeiten, der Abschied von Trainerin Steffi Jones und die erste Zeit mit Horst Hrubesch, dem zweiten Horst, dem für Popps fußballerische Lebenslinie große Bedeutung zukommt. Die Zeit mit dem Coach hat Popp geprägt und im gesamten Team Spuren hinterlassen. „Aber anfangs haben wir uns gefühlt wie bei der U15“, sagt sie lachend. Hrubesch trichtert dem verunsicherten Team die Basics neu ein. „Dieses Back To The Roots war notwendig. Das war einerseits traurig, andererseits hat es funktioniert – und wir haben den Spaß am Spielen wiedergefunden.“ Spaß, Leichtigkeit und Fußball nur um seiner selbst willen, damit bringt das Kopfballungeheuer von einst die Frauen zurück in die Erfolgsspur.

Für Popp ist es nicht die erste Begegnung mit dem Trainer, der vom DFB immer da eingesetzt wird, wo es besonders heiß brennt. Rund um die Olympischen Spielen in Brasilien 2016 sind die beiden sich bereits begegnet. Hrubesch trainiert damals die U21, zwischen dem Nachwuchs und den Frauen gibt es erste Begegnungen vor dem Turnier, an dessen Ende sie im Olympischen Dorf zusammenkommen. „Alle schwärmen immer von Olympia und wir wollten unbedingt da hin“, erzählt Popp. „Aber die Spiele vorm Finale waren im Land verstreut. Erst für das Endspiel sind wir nach Rio. Das war dann einfach der Hammer, sowas vergisst du nie.“

Alex Popp und Annike Krahn in einer hellgrauen Sportjacke mit dem Aufdruck GERMANY, sie halten hinter sich die Deutschlandfahne und in den Händen ihre Goldmedaillen, in die sie beide reinbeißen. Credit: IMAGO/Eibner
Kraftvoll zubeißen: Alex Popp und Annike Krahn mit den Goldmedaillen 2016 in Rio. (Foto: IMAGO/Eibner)

Die Frauen holen sich das Olympische Gold. Die Stürmerin stellt fest, die Medaillen sind nicht bissfest: Als sie ihre im Überschwang anknabbert, wie sie es von den Fotos anderer Sportler und Sportlerinnen kennt, hinterlassen ihre Zähne Abdrücke im Gold.

Die ohnehin schon ausschweifende Fete verlängert Popp mit Sara Däbritz und Leonie Maier an der Copacabana. Die U21 unterliegt am nächsten Tag zwar im Finale, doch anschließend feiern die Goldfrauen und Silberjungs gemeinsam. Diese erste Verbindung zwischen Hrubesch und Popp überdauert die Zeit. „Ich fand einfach direkt, er ist ein cooler Typ.“

Neu sortieren nach der erfolglosen WM 2023

Als der Trainer im Herbst 2023 erneut als Nothelfer das Nationalteam der Frauen übernimmt, löst das in ihr gemischte Gefühle aus. Sie habe sich – wie viele andere – gefreut, noch mal mit ihm zu arbeiten. „Aber eine Interimslösung war eigentlich nicht das, was wir uns idealerweise gewünscht hätten.“ Mit der erfolglosen WM im Rücken, muss die Stürmerin sich zunächst neu sortieren. Zumal sie in dieser Zeit mit voller Härte zu spüren bekommen hat, die gewachsene Aufmerksamkeit für den Fußball der Frauen hat auch sehr deutliche Schattenseiten.

„Ich wusste vorab, das was kommt“, erzählt sie von Schlagzeilen des Boulevards, die während der WM ihr Privatleben sezieren. Das gibt ihr zumindest die Möglichkeiten, mit Menschen, die von den Indiskretionen betroffen sind, noch zu reden. Das Schlimmste? Nicht zu wissen, wer das Vertrauen missbraucht hat, mit dem sie ohnehin sparsam verfährt. Die Konsequenz? „Mein Privatleben ist absolut tabu“, sagt Popp. Im Herbst verordnet sie sich eine mediale Auszeit. „Ich konnte mich auch selbst nicht mehr sehen und hören, jedes Wort wurde aufgeblasen.“

Derweil wirft Hrubesch, im besten Sinne ein Menschenfänger, mit dem ihm typischen breiten Lächeln sein Netz aus. „Er hat gesagt: Hier, dir ist schon klar, das nehmen wir beide noch mit.“ Gemeint ist das Olympische Fußballturnier 2024 in Paris, für das sich die Nationalelf zu diesem Zeitpunkt überhaupt erstmal über die Nations League qualifizieren muss. „Da konnte ich ja nun schlecht nein sagen“, stellt Popp mit einem Grinsen fest.

Horst Hrubesch umarmt Alex Popp, sie ist lediglich von hinten zu sehen mit der 11 auf ihrem Trikot, er drückt lächelnd sein Gesicht an ihren Kopf. Credit: IMAGO/Action Pictures
Der letzte gemeinsame Tanz: Bronze für Popp und Hrubesch bei den Olympischen Spielen 2024. (Foto: IMAGO/Action Pictures)

Der Start in die Qualifikation verläuft holprig, doch die Frauen kämpfen sich rein. Motor und Kraftquelle ist neben Hrubesch auch immer wieder die Kapitänin, die ihr Team antreibt und in intensiven Gesprächen die Bedeutung von Olympia unterstreicht. Und nicht nur das. „Nach der krassen EM und dem Vorrundenaus der WM war das schon auch eine Art Standortbestimmung für den Frauenfußball in Deutschland“, erklärt Popp. Wie die Nationalelf spiele und sich die Bundesliga-Teams im internationalen Bereich schlagen, spielt aus ihrer Sicht eine große Rolle für die Wahrnehmung des Frauenfußballs und das Interesse auch an Ligaspielen. „Diese Verantwortung haben wir schon gespürt und der wollten wir gerecht werden.“

Popp: Der Verantwortung immer gerecht geworden

Das gelingt im doppelten Sinne. Die Frauen qualifiziert sich nicht nur fürs Turnier, sondern holt dort auch im Spiel um Platz drei die Bronzemedaille. Das bedeutet neben dem sportlichen Erfolg auch den Besuch im Olympischen Dorf in Paris, über den Popp vor den Spielen gesagt hatte: „Das ist es definitiv, worauf ich mich schon am meisten freue, auch wenn ich natürlich weiß, wir haben das noch nicht erreicht.“ Der Fußball des Teams schwankt zwischen pragmatischen und mitreißenden Momenten. Wie viele der Spielerinnen, die im Nachgang ihren Abschied von der Nationalelf verkünden, ahnen ihren eigenen Entschluss da bereits voraus? Schwierig zu sagen.

Die Kapitänin zumindest hat vor Paris noch nicht gewusst, wohin die Reise nach dem Turnier gehen wird. Sie war nie eine, die für ihre Karriere mehrere Schritte vorausgeplant hat. Sie ist Stück für Stück hineingewachsen in ihr ganz persönliches Spiel. Ihre Verantwortung. Ihren Weg. Auf dem hat sie denn auch in den Wochen nach dem Medaillengewinn gespürt, dass ihre Zeit für den DFB vorbei ist. Aber nicht ohne ein letztes Spiel im Nationaldress.

Und so breitet sich der Rasen an diesem Montagabend in Duisburg noch einmal vor ihr aus wie ein Versprechen. Dort, auf dem Spielfeld, sind es in den besten Momenten noch immer nur Popp und der Ball. Und dort fühlt es sich immer wieder richtig an, weil einfach alles passt.

Beitragsfoto: IMAGO/Action Pictures

Dieser Text ist zuerst erschienen im OLYMPIA-Magazin PARIS.24 vor den Olympischen Spielen in Frankreich. Für die Veröffentlichung auf der Bolztribüne wurde er teilweise angepasst. Das ganze, sehr lesenswerte Magazin kann hier bestellt werden.

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Mara Pfeiffer begleitet als Journalistin seit vielen Jahren den 1. FSV Mainz 05 mit Analysen und Kolumnen. In TV- & Radio ist sie als Expertin rund um Fußballthemen auf und neben dem Platz zu Gast. Sie gehört zur Crew von „FRÜF – Frauen reden über Fußball“. Für Sport1 spricht Pfeiffer im Podcast „Flutlicht an!“ mit Menschen über Fußball, die zu wenig im Rampenlicht stehen. In ihrer web.de-Kolumne schreibt sie über gesellschaftliche Schieflagen und wie diese sich im Fußball wiederspiegeln. Sie ist Mitglied der Deutschen Akademie für Fußball-Kultur und Autorin von neun Büchern, darunter Sachbücher und Krimis rund um Mainz 05, sowie die Biografie von Wolfgang Frank. Das Medium Magazin wählte Pfeiffer bei den Journalist*innen des Jahres im Sport 2022 auf Platz 3.

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