TuS Wörrstadt: 50 Jahre erste Deutsche Meisterinnen. Interview mit Bärbel Petzold.
An diesem Sonntag, den 8. September 2024, gibt es ein großes Jubiläum. Denn genau vor 50 Jahren wurde 1974 das erste Finale um die Deutsche Fußballmeisterschaft ausgespielt. Von der Partie erzählt im Telefongespräch Bärbel Petzold, eine der ersten deutschen Meisterinnen.
Deutsche Fußballmeisterschaft, so hieß der Vorläufer der Bundesliga der Frauen, nachdem der DFB das verbandsinterne Verbot des Fußballs der Frauen 1970 gelüftet hatte. Für die Endrunde waren die 16 besten Vereine aus den fünf Regionalverbänden Nord, West, Süd, Südwest und Berlin teilnahmeberechtigt. Sie wurden auf vier Gruppen aufgeteilt, danach folgten ein Halbfinale zwischen den Gruppen-Ersten und ein Spiel um Platz Drei sowie das Finale um den Titel.
Das Endspiel von 1974 wurde auf neutralem Boden im Mainzer Bruchwegstadion ausgetragen, die TuS Wörrstadt traf auf die DJK Eintracht Erle aus Gelsenkirchen, Schiedsrichter war Walter Eschweiler. Die Wörrstädterinnen gingen damals mit einem klaren 4:0-Sieg als die ersten offiziellen deutschen Meisterinnen vom Platz. Eine, die damals unter ihrem Geburtsnamen Jung mittendrin auf dem Rasen stand, ist Bärbel Petzold (72). Die frühere Abwehrspielerin arbeitete später lange Jahre im Präsidium des Südwestdeutschen Fußballverbandes und im DFB-Ausschuss für Frauen- und Mädchenfußball.
Vorgezogenes Finale gegen den Bonner SC
Sie erinnert sich, dass die größere Hürde eigentlich das Halbfinale gewesen sei: „Für uns war das Halbfinale gegen den Bonner SC das vorweggenommene Finale. Da waren die Schwestern Christa und Charlotte Nüsser, von denen wir wussten, dass sie gut sind. Sie hatten insgesamt eine richtig gute Mannschaft. Deswegen haben wir das Spiel eigentlich ernster genommen als nachher das Finale.“
Die Halbfinalspiele zwischen dem Bonner SC und der TuS Wörrstadt (1:3) sowie der SV Bubach-Calmesweiler und der DJK Eintracht Erle (ebenfalls 1:3) wurden nur einen Tag vor den Endspielen am 7. September 1974 in Bingen ausgetragen. Kaum Zeit also für Regeneration. Vollständige Spielberichte dieser Partien findet man heute nicht.
Wörrstadts Torjägerin Uschi Demler ging angeschlagen in die Partie. Für die Treffer sorgte an dem Tag eine andere: „Unser Trainer Erwin Hartmann hatte uns ein bisschen auf Erle eingestellt. Hat geguckt, wie stark die sind, wer auf welcher Position spielt. Und dann hatten wir eigentlich nicht so Schiss. Wir waren uns relativ sicher, dass wir das schaffen. Aber schlecht für uns war, dass unsere Mittelstürmerin Uschi Demler angeschlagen war und zur Pause verletzt raus musste. Dafür ist unser Youngster Regine Israel mit ihren Toren für sie in die Bresche gesprungen. Sie hat drei Tore erzielt. Sie war damals erst 15! Das war schon eine Sensation.“
Regine Israels Tore machen die TuS Wörrstadt 1974 zu den allerersten Meisterinnen
Regine Israel traf in der 25. und 36. Minute zum 1:0 und 2:0. Schon vor der Pause erhöhte Bärbel Wohlleben auf 3:0 und nach Wiederanpfiff erhöhte abermals Israel dann in der 48. Minute auf 4:0. Die Partie hätte sogar höher ausgehen können, denn Anne Trabant-Haarbach (damals noch Haarbach) verschoss in der 55. Minute einen Elfmeter.
Regine Israel wurde später auch zur Nationalspielerin, etwas mehr als zehn Jahre nach ihrem Dreierpack im Finale wurde sie im November 1984 in einem Freundschaftsspiel gegen die Niederlande eingewechselt. Für sie vom Platz ging die spätere Bundestrainerin Silvia Neid. Danach ist für Israel nur noch ein Länderspiel aus dem Jahr 1985 gegen Dänemark dokumentiert.
Bärbel Wohllebens 3:0 wurde später der erste Treffer einer Frau, der für das „Tor des Monats“ der Sportschau nominiert wurde – und die Wahl prompt gewann. Sie schoss einen Klärungsversuch Erles als flachen Volley ins lange Eck. Den Treffer kann man sich hier anschauen.
Anne Trabant-Haarbach wechselte nach dem Finale von 1974 zum Bonner SC und war dort gleichzeitig Spielerin wie Trainerin und holte 1975 die Deutsche Fußballmeisterschaft nach Bonn. Weitere Titel in Doppelfunktion folgten mit der SSG 09 Bergisch Gladbach, die sie ebenfalls als spielende Trainerin zur inoffiziellen WM 1981 in Taiwan zum Titel für Deutschland führte.
„Wir hatten viele, die gut kicken konnten“
Nicht erst durch das Jubiläum finden die Wörrstädter Meisterinnen von 1974 zusammen: „Bis auf Karin Pätzold, unsere damalige Libero oder Libera, leben alle noch. Wir feiern jetzt gerade natürlich ununterbrochen, haben aber auch sonst eine Gruppe, mit der wir zusammen essen gehen oder uns einfach so mal treffen. Das Schöne am Mannschaftssport ist, dass wir das zusammen erleben und alle in Erinnerung haben, dass wir das geschafft haben. Nicht als Einzelsportler, sondern als Team“, erzählt Bärbel Petzold.
Der Verein veranstaltete Mitte August eine Feier zu ehren der Spielerinnen und der DFB lud im Mai zum Pokal-Finale ein. Noch ausgiebiger gefeiert wurde 1974: „Es gab einen Empfang im Hilton, das war schon toll. Und das Schönste war, dass wir von der Gemeinde Wörrstadt empfangen wurden und durch das ganze Ort gelaufen sind. Wir wurden von den Leuten bejubelt, das war schön und bleibt in Erinnerung. Man muss das natürlich auch gefeiert haben und nicht nur einen Tag oder Abend, sondern schon ein bisschen länger“, so Petzold.
Die Überlegenheit Wörrstadts in der Saison 1974 erklärt sich Bärbel Petzold damit, dass mehrere Dinge zusammenkamen: „Viele von uns kamen aus anderen Sportarten, ein Großteil vom Handball, einige von der Leichtathletik. Ein paar haben in Mainz Sport studiert. Fast alle Frauen, die ’73 und später dabei waren, kamen vom Leistungssport. Dadurch hatten wir viele, die gut kicken konnten. Plus einen guten Trainer mit Erwin Hartmann, plus einen Mann, der sich um alles drum herum gekümmert hat. Das war unser Vorteil. Viele andere hatten vielleicht mal zwei oder drei ganz gute Spielerinnen und der Rest ist so mitgelaufen. Das war schon ein Unterschied.“
Manager Philip „Fips“ Scheidt schaut bis heute manchmal zu
Der Mann für das Drumherum war Philip Scheidt: „Heute würde man wahrscheinlich Manager dazu sagen. Er hat uns relativ viel ermöglicht und ist auch ständig beim DFB vorstellig geworden, sodass der so nach und nach wach wurde.“
Damit meint Petzold zum Beispiel, dass Scheidt sich vehement dafür einsetzte, dass es überhaupt einen ersten bundesweiten Wettbewerb gab, immerhin waren seit der Aufhebung des Spielverbots für Frauen innerhalb des DFB schon ein paar Jahre vergangen. Scheidt organisierte einen eigenen Wettbewerb mit den Meisterinnen der Landesverbände, der 1973 als Goldpokal gespielt wurde, nachdem der DFB sich dagegen gewehrt hatte, das Turnier Deutschlandpokal zu nennen. Der inzwischen 98-jährige schaut bis heute bei einigen Spielen der Wörrstädterinnen zu.
Von Frauen gespielten Fußball gab es bei der TuS bereits kurze Zeit bevor der DFB sein verbandsinternes Verbot aufhob. Die Fußballabteilung der Frauen wurde von Wörrstadt 1969 gegründet. Bärbel Petzold erzählt, wie sie selbst zum Verein gekommen ist:
„Wir waren drei, meine Schwester und die Uschi Demler. Wir haben zusammen Handball gespielt und die Wörrstädter Frauen haben ’69 anlässlich irgendeines Feuerwehrfests ein Frauenspiel gemacht. Uschi Demler hat das mitgekriegt und wollte sich das angucken. Als sie zurückkam, hat sie gesagt: ‚Gehst du bitte mal mit, die Frauen, die da dabei waren, bleiben nicht lange dabei. Wenn wir weiterkommen wollen, müssen auch ein paar ein bisschen sportlich sein.‘ Und dann bin ich 1970 eben dazugekommen.“
Trainingsbedingungen und TuS Wörrstadt international
Training gab es in der Anfangszeit zweimal die Woche für anderthalb Stunden, vor wichtigen Spielen gegen starke Konkurrenz aus Niederkirchen oder vom 1. FC Kaiserslautern auch mal mehr. „Wir hatten den ganzen Platz für uns. Der war natürlich so durchwachsen, halb Hartplatz, halb Grasplatz. Da unsere Männer in Wörrstadt nur Kreisliga C gespielt haben, war aber keine Frage, dass wir das Aushängeschild waren, das sind wir eigentlich bis jetzt. Da hatten wir keine Probleme, dass uns der Platz zur Verfügung stand.“
Weil die meisten Spiele im regionalen Ligabetrieb für die Wörrstädterinnen nicht sehr fordernd sind, organisiert Philip Scheidt immer wieder Reisen zu Turnieren bei der starken nationalen Konkurrenz von Bad Neuenahr – oder auch im Ausland. Offizielle europäische Vereins-Wettbewerbe für Frauen gibt es in dieser Zeit nicht, deswegen entstehen an manchen Orten regelmäßige Einladungsturniere. Zum Beispiel das Tournoi de Menton in Südfrankreich.
„Wir sind relativ viel auf Turniere gefahren nach Bad Neuenahr, ins Ausland, nach Frankreich oder in die Schweiz, um einfach mal zu gucken, was läuft da? Wie trainieren die anderen? Und uns dann zu messen. In Südfrankreich gab es ein großes internationales Turnier. Da wurden immer die europäischen Landesmeister oder starke Vereine eingeladen, wir waren auch ein paar Jahre dort“, erinnert sich Bärbel Petzold.
Internationaler Austausch – und vereinzelte Wechsel
„Zur damaligen Zeit waren die Skandinavierinnen führend, Schweden, Dänemark. Die waren athletisch waren gut und konnten Fußball spielen. Das waren für uns schon so ein bisschen die Vorbilder. Die Französinnen waren technisch ganz gut, aber ziemlich faul. Die Schweizerinnen, hatten in den 70er-Jahren und Anfang 80er relativ gute Mädels und eine gute Nationalmannschaft. Das waren unsere Hauptgegner, ab und zu mal Vereine aus Italien, Österreich auch.“
Die Frauen tauschen sich bei diesen Turnieren auch mit ihren internationalen Kolleginnen aus und zum Teil ergeben sich daraus sogar Transfers über Landesgrenzen hinweg, was mit den finanziellen Gegebenheiten der Zeit noch ein viel größerer Schritt gewesen sei muss als heute. „Da waren auch Spielerinnen da, die dann in Wörrstadt gelandet sind“ sagt Petzold, „Schweizerinnen hauptsächlich, Französinnen oder eine österreichische Nationalspielerin.“
Zum Beispiel zieht es die Schweizer Nationaltürhüterin Mirella Cina 1978 zur TuS Wörrstadt, später trainiert sie die Frauen in der Bundesliga und wird Abteilungsleiterin, ihre aktive Karriere beendete sie 1988.
Bärbel Petzolds Arbeit im Verband gegen Widerstände
Auch für Bärbel Petzold geht es abseits des Rasens mit dem Fußball weiter, 1980 schlägt ihr Onkel sie einem Spielausschussvorsitzenden für die Arbeit im Verband vor. Dabei stieß Petzold auf Widerstände: „Ich war relativ jung, Ende 20, und hatte lauter uralte Männer vor mir, die mich beäugt haben und wohl dachten, ich hätte keine Ahnung vom Fußball und sie könnten mir sagen wo’s langgeht. Es war am Anfang schon sehr mühsam zu etablieren, dass die mich einigermaßen akzeptiert haben. So ganz haben das die Alten natürlich nie, das ging erst später ein bisschen besser. In der Anfangszeit war es schwierig, kleinere Dinge auf den Weg zu bringen.“
Dabei stößt Petzold über die Jahre Veränderungen an, die eigentlich selbstverständlich sein sollten: „Dass es Pokale gibt, die Spielzeiten sich ändern, wir mal Auswahlspiele machen, auch in der Halle spielen dürfen, dass die Mädels eigene Trikots haben und nicht die von den Männern oder Jungs anziehen müssen. Kleinigkeiten, wo man heute drüber lachen würde. Dass die Frauen genug Trainingszeiten bekommen, es Lehrgänge gibt und die Frauen gescheite Trainer kriegen. Nicht nur welche, die früher mal den Ball irgendwo getroffen haben.“
Auch wenn einiges davon eigentlich wirklich verlachenswerte Kleinigkeiten sind, ziehen sich manche der Themen bis heute durch. Eine von Petzolds Aufgaben wird die Einführung verschiedener Spielklassen, denn in der Anfangszeit ist das Leistungsgefälle riesig („Zweistellige Ergebnisse waren an der Tagesordnung, von 11:0 bis 29:0 war alles dabei“).
„Nach fast 60 Jahren ist auch mal gut“
Bärbel Petzold wird im Verlauf ihrer Karriere Spielleiterin der Regionalliga Südwest (f) und Teil des DFB-Ausschuss für Frauen- und Mädchenfußball bis zum DFB-Bundestag im Jahr 2022 und reist als Delegationsleitung mit den U-19 und U20-Teams „durch die halbe Welt“. Inzwischen lässt sie es etwas ruhiger angehen, aber ganz ohne Fußball geht es nicht:
„Ich gucke Spiele in der Regionalliga oder Verbandsliga in der näheren Umgebung, um zu gucken, wie in den unteren Leistungsklassen gekickt wird und sich das entwickelt. Mehr Mädchen-Fußball, weil sich der mehr entwickelt und weil sie auch noch mehr Unterstützung brauchen. Aber ich bin nicht mehr ganz so viel auf allen Sportplätzen unterwegs. Ist ja auch dann nach fast 60 Jahren auch mal gut.“
Wenn ihr noch mehr über die Anfangszeit des Fußballs der Frauen innerhalb des DFB aus der Perspektive einer ehemaligen Spielerin wissen möchtet, solltet ihr unbedingt diese Folge von Legende Verloren mit Hannelore Ratzeburg anhören.
Beitragsbild: IMAGO/WEREK. Regine Israel und Handshake: IMAGO/Horstmüller.
@news Oh, cool. Ich habe in der Jugend mal gegen Wörrstadt gespielt und wusste das gar nicht.
Ouh, cool! 🙂