Filmplakat im Querformat. Im Hintergrund ein Fußballfeld im Dunkeln, in der Ferne Flutlicht, ein Ball liegt auf dem Rasen. Links die Schrift: "Marinette – Kämpferin. Fußballerin. Legende". Rechts Garance Marillier als Marinette Pichon im Trikot der französischen Nationalelf, hinter ihr weitere Spielerinnen in der Unschärfe. (Credit: Atlas Film)

Marinette Pichon: Ein Fußball-Leben im Zeitraffer

Stürmerin Marinette Pichon hat für die französische Nationalelf zwischen 1994 und 2006 in 112 Länderspielen 81 Tore geschossen. Ihr Privatleben als junges Mädchen war auch geprägt von einem gewaltsamen Elternhaus. Die filmische Biografie „Marinette“ ist jetzt auf Deutsch erschienen.

Als die amerikanische Band American Music Club 1994 den Song „What Holds The World Together“ veröffentlicht, ist Garance Marillier vier Jahre alt. „The world is held together by the wind that blows through Gena Rowlands’ hair“, heißt die berühmteste Zeile des Songs. Die Frau, deren Magie Mark Eitzel da besingt, ist am 14. August gestorben. Was bleibt sind ihre Filme, die sie allein mit ihrer Präsenz zusammenhalten konnte – und mit ihrem Blick.

Garance Marillier als Minette Pichon, sie trägt ein Stirnband und eine dunkle Sportjacke, der Bildausschnitt geht bis kurz über ihrer Brust, im Hintergrund und vor ihr in Anschnitt und Unschärfe weitere Spielerinnen. (Credit: Atlas Film)
Garance Marillier erzählt mit ihrem Gesicht Geschichten. (Foto: Atlas Film)

Marillier steht noch am Anfang ihrer Karriere und womöglich sind da Vergleiche mit derart großen Namen gar nicht angenehm. Aber es ist ihr Blick, es sind die kleinen Bewegungen in ihrem Gesicht, die das Biopic „Marinette“ zusammenhalten. Auch und besonders da, wo es sonst Schwachstellen offenbart, trägt Marilliers Präsenz die Geschichte.

Fußballerinnen: Kampf um Sichtbarkeit

Der Film widmet sich dem Leben der französischen Nationalspielerin Marinette Pichon. Regisseurin Virginie Verrier hat dafür viele Gespräche mit der ehemaligen Stürmerin geführt und hält sich zudem eng an deren 2018 erschienene Autobiografie „Ne jamais rien lâcher“ („Niemals aufgeben“). Dass diese bis heute nur auf Französisch vorliegt, erzählt bereits einen Teil des Dilemmas, dem sich der Film widmet: Die Karriere selbst erfolgreicher Sportlerinnen lässt sich nicht erzählen ohne deren Kämpfe neben dem Platz – und lesen lässt sie sich auch selten. Die Geschichte Zinédine Zidanes beispielsweise, ein Jahr älter als Pichon und quasi zeitgleich mit ihr in der Nationalelf, lässt sich problemlos in zig Sprachen erwerben.

„Was ist los Jungs, noch nie ein Mädchen gesehen?“ Mit diesen Worten etabliert der Trainer die kleine Marinette im Team. Sie habe zwei Beine wie alle anderen, so einfach ist das. Ihren eigenen schüchternen Einwand, als Mädchen dürfe sie nicht Fußball spielen, wischt er weg – und wird damit neben ihrer Mutter zum wichtigsten Komplizen des Kindes.

June Benard als junge Marinette. Das Mädchen trägt einen dunklen Anorak, die Innenseite der Kapuze ist rot. Sie sitzt in der Natur, zu ihrer rechten eine Art Busch, ihr Blick geht aus dem Bild. (Credit: Atlas Film)
Sehnsuchtsvoller Blick: Marinette will Fußball spielen – von Anfang an. (Foto: Atlas Film)

So sehr die Mutter die jüngere ihrer beiden Töchter beim Traum vom Fußball unterstützt, so wenig kann sie die Mädchen vor ihrem gewalttätigen Vater schützen. Der größtenteils linear erzählte Film kehrt zu dieser Gewalt nicht nur durch die Besuche Marinettes zuhause immer wieder zurück, sondern auch durch zahlreiche Rückblenden. Die Notwendigkeit dieser stetig wiederkehrenden, sehr expliziten Darstellung körperlicher, später auch sexualisierter Gewalt erschließt sich nicht. Die Not der Frauen wird dadurch nicht deutlicher. Mindestens eine eindeutige Inhaltswarnung wäre da nötig gewesen.

Das Ende der Spielzeit „unter Jungs“

Mit 16 Jahren erlebt Marinette das, was für Spielerinnen ihrer Generation noch traurige Selbstverständlichkeit ist: Sie fliegt aus ihrem Team, weil die Sondergenehmigung als „Mädchen unter Jungs“ ausläuft. Sexistische Kommentare der Gegner hatten mit der Pubertät ohnehin schon begonnen. Die fehlenden Strukturen für Frauen im Fußball erzählt der Film allzu vertraut, wie viele dieser Hürden 30 Jahre später fortbestehen, trägt die Wut Pichons ins Hier und Jetzt. Im Film ist es ihr alter Trainer, der sie aus ihrer Lethargie reißt, als er ein Probetraining bei einem Frauenteam organisiert.

So beginnt eine beispiellose Karriere. Pichon stürmt für Olympique Saint-Memmie, wo sie mit ihren Mitspielerinnen zudem neben dem Platz eine neuartige Gemeinschaft erlebt, nun als Eine unter Gleichen. Ganz anders geht es ihr zunächst im Nationalteam. Zwar erfüllt die Berufung die junge Frau mit Stolz, aber mit den Rivalitäten der Spielerinnen untereinander hat sie extrem zu kämpfen. Immer wieder bricht zudem der familiäre Konflikt in ihren Weg als Fußballerin. Daneben erzählt der Film auch von romantischen Erlebnissen und behandelt erste Küsse mit Männern und Frauen zunächst gleichermaßen beiläufig.

Garance Marillier als Marinette im roten Trikot von Philadelphia Charge in einer Jubeltraube mit ihren Mitspielerinnen. (Credit: Atlas Film)
In den USA eröffnet sich für Marinette eine neue Welt. (Foto: Atlas Film)

Pichon wechselt 2002 als erste französische Fußballerin (w/m) in die USA, wo sie unter Mark Krikorian und Pia Sundhage bei Philadelphia Charge in der Profiliga WUSA eine andere Welt im Fußball erlebt. Aus der Ferne wird sie zur offenen Kritikerin der mangelnden Investitionen im französischen Frauenfußball. Diese deutliche Haltung behält Pichon bei, als die WUSA nach nur drei Saisons eingestellt wird und sie in ihre Heimat zurückkehrt.

Lichtspiele als heimliche Hauptfigur

Privat gelingt der Fußballerin in der Zeit in Philadelphia die Befreiung aus der Beziehung mit einer gewaltvollen Partnerin. Die Darstellung dieser Verbindung schon in den noch positiven Anfängen ist allerdings eine Schwachstelle des Films, zwischen den Darstellerinnen kommt keine Chemie auf. Die Szene, in der Pichon abgeschirmt von ihren Teamkolleginnen die Frau verlässt, die ihre Grenzen brutal überschritten hat, gelingt dagegen eindrucksvoll.

Verfilmungen und filmische Biografien arbeiten immer mit Auslassungen. Bei Verrier werden die zahlreichen Stationen im Leben Pichons allesamt aufgeblättert, teils geschieht das in nur wenigen Momenten. Der Film schafft es aber durch seine klare Bildsprache, den sehr guten Cast (herausragend auch June Benard als junge Marinette) und Sequenzen voller Ruhe, stets untermalt von der passenden Musik, dass dabei keine Hektik entsteht.

Vielmehr leuchtet die Regisseurin kleine Lichtpunkte auf wichtige Stationen und Augenblicke eines prallgefüllten Lebens und arbeitet dabei tatsächlich auch intensiv mit Licht. Wie dessen Strahlen durch sonst dunkle Räume tanzen, Gesichter, Hallenböden, Kissen streicheln und Hoffnung in eigentlich aussichtslose Momente tragen, macht es neben Marillier zu einer heimlichen Hauptdarstellerin. Zugleich betont es die Zärtlichkeit, mit der die Regisseurin ihre Figuren behandelt. „Marinette“ erzählt ein Leben im Zeitraffer, kommt seiner Heldin dabei aber doch nah. Der Film funktioniert wie ein Kaleidoskop, in dessen bunten Lichtwürfeln wir uns verlieren.

Originaltitel: Marinette
Frankreich 2023
Laufzeit: 95 Minuten
Regie: Virginie Verrier
VÖ 22. August (Stream) | 5. September (DVD)

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Mara Pfeiffer begleitet als Journalistin seit vielen Jahren den 1. FSV Mainz 05 mit Analysen und Kolumnen. In TV- & Radio ist sie als Expertin rund um Fußballthemen auf und neben dem Platz zu Gast. Sie gehört zur Crew von „FRÜF – Frauen reden über Fußball“. Für Sport1 spricht Pfeiffer im Podcast „Flutlicht an!“ mit Menschen über Fußball, die zu wenig im Rampenlicht stehen. In ihrer web.de-Kolumne schreibt sie über gesellschaftliche Schieflagen und wie diese sich im Fußball wiederspiegeln. Sie ist Mitglied der Deutschen Akademie für Fußball-Kultur und Autorin von neun Büchern, darunter Sachbücher und Krimis rund um Mainz 05, sowie die Biografie von Wolfgang Frank. Das Medium Magazin wählte Pfeiffer bei den Journalist*innen des Jahres im Sport 2022 auf Platz 3.

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