Das Stade de Lyon von außen im Abendsonnenschein mit großer Paris 2024 Plakette an der Stadionwand. Vereinzelte Fans sind auf dem Weg zum Stadion.

Publikumszahlen bei den Fußballturnieren der Olympischen Spiele

Während der Olympischen Spiele von Paris 2024 wurde in Bezug auf die Fußballturniere viel über die Publikumszahlen und die nicht ausverkauften Stadien gesprochen. Ich habe mich gefragt, wie groß der Unterschied zwischen den Spielen in Paris selbst und an den anderen Spielorten ist.

Denn dass es diesen Unterschied gibt, ist nicht von der Hand zu weisen. Es blieb aber nicht bei dieser einen Frage: Gibt es bei den Relationen Unterschiede zwischen dem Turnier der Frauen und dem der Männer? War der Unterschied zwischen Hauptstadt und anderen Spielorten bei vergangenen Olympischen Spielen etwa gleich groß? Wie groß ist jeweils der Anteil der Zuschauer*innen in der olympischen Hauptstadt an der Gesamtzahl?

Nun gibt es zwar in den offiziellen Berichten – den Technical Reports der FIFA – Besuchszahlen der früheren Turniere. Aber wenn man diese von 1996, ab der ersten Teilnahme der Frauen, vergleichbar machen möchte, reicht es nicht, auf die absoluten Zahlen zu gucken.

Stadionauslastung als Versuch, Vergleichbarkeit zu schaffen

Wie gut besucht ein einzelnes Fußballspiel ist, hängt von vielen Faktoren ab, die nicht unbedingt mit dem Sport selbst zu tun haben: Wie groß ist die Bevölkerung an einem Standort? Wie groß ist davon der Anteil derer, die sich überhaupt für Fußball interessieren? Wie groß ist das Einzugsgebiet der jeweiligen Stadt für Besucher*innen, die speziell für Fußball-Events anreisen würden? Wie viel Tourismus gibt es allgemein in den verschiedenen Städten und wie viel davon ist international? Wie gut sind sie also darauf ausgelegt, Besucher*innen aus verschiedenen Ländern zu empfangen? Und so weiter und so fort.

Ich bin keine Mathematikerin, ich werde also keine Aufgabe stellen à la „Das Stadion in Saint-Étienne ist innen grün, Paris hat rund 2,2 Millionen Einwohner und Croissants kosten 1,30€ und jeder Tourist ist drei Stück – wie viele Croissants waren beim Finale?“

Mein Weg war stattdessen, auf die Stadionauslastung zu gucken. Aus dem einfachen Grund, dass sich für einen Stadion(aus)bau irgendwann mal Menschen über viele der Fragen oben Gedanken gemacht haben sollten und die Größe des jeweiligen Stadions darauf ausgerichtet haben. Das ist als Weg wahrscheinlich nicht perfekt, weil sich diese Planung auf einen bestimmten Fußball- oder anderen Sport-Verein bezogen hat, aber es verrät doch ein bisschen über einen Standort, ob das größte Stadion dort 50.000 hat oder 30.000 Plätze hat (unabhängig davon, dass die Kapazität nichts über Fankultur oder Stimmung im Alltag aussagen muss).

Beispiel Athen 2004

Ein gutes Beispiel dafür, warum die absoluten Besuchszahlen allein nicht ausreichen, zeigen die Olympischen Spiele 2004 in Athen. Wenn man nur auf die Gesamtzahl der Stadionbesucher*innen im Vergleich zu anderen Spielen schaut, würde man denken, die beiden Fußballturniere wären extrem schlecht besucht gewesen.

Zu beiden zusammen kamen knapp 609.000 Menschen. Das ist nicht einmal die Hälfte der Zuschauer*innen von Paris und nicht einmal ein Drittel der fast 2,2 Millionen Menschen, die während der Olympischen Spiele von London 2012 zum Fußball gingen. Schaut man stattdessen auf die Stadionauslastung, sind die Unterschiede zu anderen Spielen nur bedingt vorhanden.

Es ist immer noch erkennbar, dass vor allem das Turnier der Männer mit rund 45 Prozent Stadionauslastung im Vergleich ein Ausreißer nach unten war, die Werte liegen ansonsten zwischen rund 52 und 74 Prozent. Der Unterschied zwischen 45 und 52 Prozent ist aber nicht so gewaltig, wie der reine Blick auf die absoluten Zahlen suggeriert – die Stadien für Athen 2004 waren einfach nicht so groß.

Bedeutet also: Für eine Antwort auf meine Fragen muss ich die Stadionauslastungen von Paris 2024 und vorherigen olympischen Fußballturnieren ausrechnen. Nicht für jede einzelne Partie, ganz so weit übertreiben muss ich ja nun auch nicht. Aber sechs Durchschnittswerte der Stadionauslastung je Olympische Spiele: Turnier der Männer insgesamt, Turnier der Frauen insgesamt, jeweils die Spiele in der olympischen Hauptstadt, sowie alle anderen Standorte außer der Hauptstadt. Dafür brauche die offiziellen Stadionkapazitäten zum Turnier-Zeitpunkt und eben die Besucher*innen-Statistiken.

Wichtig für den Kontext

Bevor ich auf die Ergebnisse eingehe, letzte Vorbemerkungen. Erstens ist es offensichtlich, dass es nicht sinnvoll ist, die Spiele von Tokio zu betrachten, weil wegen der Covid-19-Maßnahmen außer den Verbands-Delegationen, Fernseh- und Orga-Teams niemand im Stadion war. Dadurch, dass so viele Partien in der Metropolregion Tokio stattfanden, wäre es aus statistischer Sicht spannend geworden, weil es unter anderen Umständen womöglich die Fußballturniere mit der besten durchschnittlichen Auslastung hätten sein können.

Zweitens ist es natürlich so, dass vor allem die Endspiele und zum Teil Halbfinal-Spiele in den Hauptstädten ausgetragen wurden und es ist klar, dass diese Partien durch ihre Wichtigkeit mehr Leute ins Stadion locken als eine Gruppenpartie. Wobei man an den Spielen von Paris auch sieht, dass es keinen so großen Einfluss haben muss:  Bei den Männern waren die Partien in Paris an zwei der drei Gruppenspieltage die einzigen, die neben den Spielen der Franzosen die 30.000er-Marke geknackt haben. Am zweiten Gruppenspieltag der Frauen sahen in Paris zudem fast 41.000 Menschen im Parc des Princes Brasilien gegen Japan.  

Die einzigen anderen Spiele, die geschlechterübergreifend während der Gruppenphase besser besucht waren, waren eben die zwei Partien der französischen Männer in Marseille am ersten und dritten Spieltag. Bei den beiden Heim-Teams Frankreichs gab es jeweils wenig überraschend einen eindeutigen Bonus unabhängig vom Spielort. Weil das alles verkomplizieren würde, habe ich das hier nicht getrennt betrachtet. Man könnte aber genauso gut auch darauf schauen, welchen Unterschied die Teilnahme der Gastgeber*innen an den jeweiligen Turnieren gemacht hat.

Auch vor dem Hintergrund, dass 2024 Frankreichs Männer bis ins Finale gekommen sind. Sie hatten zwei Spiele mehr, um den Publikumsschnitt nach oben zu drücken. Die Frauen hingegen schieden im Viertelfinale aus.

Stadionauslastung Hauptstädte vs. andere Spielorte

Bei den Frauen fällt für die Partien während der Olympischen Spiele von Paris 2024 als allererstes auf, dass es noch nie zuvor so einen großen Unterschied gemacht hat, ob die Spiele in der Hauptstadt stattfinden, oder woanders. Ich nenne diesen Unterschied der Einfachheit halber „Hauptstadt-Effekt“. Bei den Partien in Paris (Spiel um Gold, ein Viertelfinale, ein Gruppenspiel) gab es eine durchschnittliche Stadionauslastung von 88,84 Prozent – alle anderen Spielorte zusammen kommen auf einen Durchschnitt von 23,54 Prozent.

Das Spiel aus der Gruppenphase fällt dabei wie weiter oben erwähnt im Vergleich zu den beiden anderen Partien kaum ab. Es steht also die Frage im Raum, wie es die Gesamtzahlen verändert hätte, wenn das Turnier der Frauen häufiger in Paris ausgetragen worden wäre. Zumal die Gesamtauslastung noch nie so niedrig war, die in der Hauptstadt aber auch noch nie so hoch. Das zeigt, dass trotz negativem Ausreißer bei der Gesamtauslastung das Interesse potenziell da gewesen wäre – das Publikum war nur eben auf einen Ort fokussiert. Dazu später mehr.

Stadionauslastung bei den Fußballturnieren der Männer

Im Vergleich zu den Männern fällt auf, dass es auch hier einen deutlichen „Hauptstadt-Effekt“ gibt. Der Unterschied ist im Durchschnitt geringer als bei den Frauen und die Besuchszahlen sind auf einem höheren Grundniveau. Positiver Ausreißer waren bei den Männern die Spiele 2012, besonders verwunderlich ist das bei Partien, die quer über das extrem fußballaffine Großbritannien verteilt sind, nicht.

Danach gab es in Rio 2016 ein Absinken. Paris 2024 ist zahlenmäßig Rio sehr ähnlich. Auch wenn man nur auf dieses einzelne Turnier schaut, ist hier der Unterschied zwischen Hauptstadt und anderen Spielorten nicht so riesig wie bei den Frauen 2024. Einen vergleichbaren Moment hatte das Turnier der Männer am ehesten 1996 in Atlanta – dem ersten und nach Auslastung bisher besten Jahr für die Frauen.

Anteil der Partien in der olympischen Hauptstadt an der Gesamtanzahl von Partien

Nachdem deutlich ist, dass es einen „Hauptstadt-Effekt“ gibt, stellt sich die Frage, wie die Partien in der jeweiligen olympischen Hauptstadt eigentlich zwischen den beiden Turnieren verteilt sind. Schon deshalb, weil die Anzhal der Spiele verschieden ist: bei den Männern sind es im betrachteten Zeitraum konstant 32 Spiele je Turnier, bei den Frauen ist die Zahl im Laufe der Zeit gestiegen und liegt seit 2008 bei 26.

Für Paris 2024 fällt zwischen dem Turnier der Frauen und dem der Männer eine verhältnismäßig große Diskrepanz auf. Die Männer spielten siebenmal in Paris, das sind 21,88 Prozent der insgesamt 32 Partien. Die Frauen kamen auf drei Spiele in Paris, das sind nur 11,54 Prozent der 26 Partien.

Dennoch machten beim Turnier der Frauen die Besucher*innen der Partien in Paris knapp über 32 Prozent vom Gesamtpublikum des Turniers aus – wie weiter oben bereits zu sehen war, waren sie extrem gut besucht. Würde man den Anteil der Spiele in der Haupstadt dem bei den Männern in etwa angleichen wollen, läge man mit einer Verdoppelung auf 6 Spiele am nächsten und käme auf 23,08 Prozent. Je nachdem, wie großzügig man sein möchte, könnte man auf 45.000 bis 120.000 Zuschauer*innen mehr für das Turnier der Frauen spekulieren.

* Anmerkungen zu den Besucher*innenzahlen der Spiele in der Hauptstadt bei Athen und Atlanta: Bei diesen beiden Olympischen Spielen wurden bei den Frauen die Bronze- und die Final-Partie als Double Header ausgetragen. Also am selben Tag, im selben Stadion, mit etwas Puffer, falls es beim Spiel um Bronze zu einer Verlängerung mit Elfmeterschießen gekommen wäre. In den Technical Reports der FIFA wird in beiden Fällen für das Bronze- und für das Finalspiel die selbe Publikumszahl angegeben. Für mich war es nicht eindeutig nachzuvollziehen, aber ich vermute, dass Tickets für beide Spiele zusammen verkauft wurden und man diese Zahl dann einfach doppelt gerechnet hat. Dadurch ist die Statistik nicht richtig sauber, denn anhand aller anderen Turniere muss man davon ausgehen, dass die Bronzespiele in Wirklichkeit schlechter besucht waren. Das beste Beispiel dafür ist Sydney 2000, wo ebenfalls beide Partien am selben Tag im selben Stadion stattfanden, aber getrennt mit unterschiedlichen Besucher*innenzahlen ausgewiesen sind. Der Report zu Athen 2004 ist generell sehr fehlerhaft.

Einen solchen Unterschied zwischen den Geschlechtern beim Anteil der in der Hauptstadt gespielten Partien zwischen dem Turnier der Frauen und dem der Männer gab es schon lange nicht mehr. Genauer gesagt zuletzt bei den Spielen in Sydney 2000 und Atlanta 1996, vermutlich weil man sich damals daran orientierte, die absoluten Zahlen zwischen den Geschlechterkategorien in etwa gleich zu halten. Wohingegen in den Jahren danach eher auf eine ungefähre anteilige Gleichbehandlung geschaut wurde. Ob der Anteil beim Turnier der Frauen oder dem der Männer größer war, wechselte dabei im Laufe der Zeit. Paris 2024 steht dem vergleichsweise krass entgegen.

* Anmerkung zu Spielen in der Haupstadt Atlanta 1996, Männer- und Frauen-Turnier: In Atlanta selbst fand kein einziges Fußballspiel statt. Die Halbfinal- und Finalspiele fanden in Athens statt, dass zur Metropolregion Atlanta gehört und von allen Austragungsorten am nächsten an der Stadt liegt.

Was anfangen mit dem „Hauptstadt-Effekt“?

Es lässt sich also festhalten: Es gibt einen eindeutigen „Hauptstadt-Effekt“, weil die Partien dort besser besucht sind. Wie deutlich das ausfällt, ist von Land zu Land verschieden. Zu Paris 2024 war es bei den Frauen besonders stark ausgeprägt und 1996 in Atlanta bei den Männern. Aufgrund der unausgeglichenen Turnierplanung sind den Frauen gegenüber den Männer sehr wahrscheinlich einige potenzielle Stadion-Besucher*innen entgangen.

Es wäre wichtig, dass beide Turniere anteilig etwa gleichermaßen vom „Hauptstadt-Effekt“ profitieren könnten, es wäre aber utopisch zu verlangen, dass möglichst viele Spiele dort ausgetragen werden sollen, nur damit die Stadien im Fernsehen nicht so (halb-)leer aussehen. Das wäre praktisch nicht umsetzbar.

Ansonsten lässt sich aus all dem vielleicht das Fazit ziehen, mit Publikumszahlen der Fußballturniere bei den Olympischen Spielen einfach etwas entspannter umzugehen. Und eine Kompromiss-Haltung zu finden daraus, dass Fußball bei den Olympischen Spielen im Hintergrund steht, ja. Und die Stadien vielleicht nicht so voll sind, wie man es aus der Männerbundesliga gewohnt ist, auch ja. Aber der sportliche Wert dadurch nicht geringer wird, die Bedeutung für die Spieler*innen dadurch nicht geringer wird, es also aus journalistischer Sicht trotzdem wichtig wäre, hinzuschauen, und die beiden ersten Feststellungen einfach mal anzuhnehmen, ohne deswegen weirdly persönlich beleidigt zu sein.

Quellen Besuchszahlen und Stadionkapazitäten: FIFA Technical Reports der jeweiligen Turniere
für 2000: Official report of the XXVII Olympiad;
für 1996: Official report of the Centennial Olympic Games

Beitragsbild: IMAGO/ActionPictures

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Annika Becker berichtet als Journalistin unter anderem für OneFootball und sportschau.de über die Bundesliga der Frauen. In ihren Kolumnen für web.de beleuchtet sie die strukturellen Themen im Fußball. Seit 2022 gehört sie zur Jury des Guardian für die Wahl der „100 Best Female Footballers In The World“. Becker ist Teil der Crew von „FRÜF – Frauen reden über Fußball“, ansonsten podcastet sie bei der „Halbfeldflanke“ und ist als Expertin zum Beispiel im DLF oder bei der BBC zu hören. Für den Rasenfunk war sie bei der WM 2023 in Australien. An den Wochenenden findet man sie auch privat meist im Stadion, denn Beckers Fußball-Herz schlägt für zwei Ruhrgebietsvereine: den FC Schalke 04 und die SGS Essen.

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