Trainerinnen im Männerfußball: Sichtbarkeit als Schlüssel
Neulich habe ich mich mit einem Kollegen unterhalten, der meinte, Journalist*innen dürften sich nicht mit einer Sache gemein machen, keine Aktivist*innen sein. Es war ein toller, lieber Kollege, den ich total schätze – und ich weiß, viele in der Branche teilen seine Ansicht. Ich habe seit dem Abend trotzdem viel über die These nachgedacht. Dazu kam ein Podcast, in dem Gloria Steinem über ihren Aktivismus reflektiert hat, witzigerweise, nachdem ich mit der US-Serie „Loudermilk“ angefangen habe, in der Loudermilk in der ersten Folge eine junge Frau im Coffeeshop fragt, ob ihr denn Steinem nichts sage. (Sie verneint. WTF.)
Was definiert Gesellschaft als Agenda?
Ich erzähle das deshalb, weil ich, während ich Steinem zugehört habe, so dachte: Wie kann es eigentlich sein, dass Leute, die finden, mit der Welt sei alles in Ordnung, gemeinhin beschrieben werden als Menschen ohne Agenda oder aktivistische Einstellung – und jene, die finden, diese Welt müsse sich ändern, gelten als Aktivist*innen? Es ist derselbe Trugschluss, der zugrunde liegt, wenn Leute sagen, Fußball dürfe nicht politisch sein. Denn auch der Entschluss, gewisse Themen bewusst aus dem Fußball herauszuhalten, ist ein politischer.
Mir geht es in der Konsequenz manchmal so, dass ich bei bestimmten Terminen sitze und den Eindruck nicht loswerde, der eine oder die andere im Raum denkt sich, ach, da ist ja die Pfeiffer wieder mit ihrer Agenda. Und ich frage mich dann, wie es als Agenda gelten kann, sagen wir, der Meinung zu sein, dass Gleichberechtigung schon eine gute Sache ist.
Am Mittwoch war beispielsweise ein Termin am DFB-Campus. Ich bin dabei nicht nur ungeplant zum ersten Mal seit Beginn des Turniers richtig mit der EM in Kontakt gekommen, weil alles voll war mit Fans, die zum 18-Uhr-Spiel gepilgert sind. Ich war außerdem eine von nicht mal zehn Journalist*innen, die der Einladung zum ersten UEFA-Trainerinnen-Karriereforum gefolgt ist, das der DFB und die UEFA gemeinsam auf die Beine gestellt haben. Ziel ist die Vernetzung von Trainerinnen untereinander und mit Verantwortlichen im Fußball der Männer.
Wie Andreas Rettig fast einen Punkt macht
Klar kann man am Termin kritteln und sagen: Wieso veranstalten die sowas genau während der EM? Man kann aber auch richtigerweise feststellen, dass die eingeladenen Trainerinnen nun mal kurz vorm Start in die Saison stehen, die Vertreter*innen der UEFA außerdem gerade vor Ort sind – und bei einem Spiel um 18 Uhr in Frankfurt ein Termin am DFB-Campus ab 13 Uhr schon irgendwie machbar wäre.
Offen für die Presse waren bei dem zweitägigen Event die beiden Podiumsdiskussionen zu Beginn des ersten Tages. Bei der ersten saßen Andreas Rettig, DFB-Geschäftsführer, Dietmar Beiersdorfer, Geschäftsführer beim FC Ingolstadt, und Nadine Keßler, UEFA-Frauenfußball-Direktorin, auf dem Podium. Die Moderatorin erklärte einleitend, Frauen im Fußball müssten sich alles hart erarbeiten. Der erste Satz von Andreas Rettig war dann, er wisse, damit mache er sich jetzt wieder unbeliebt, aber: Männer auch.
Ich sitze in so einem Moment im Plenum und denke mir: so close. Ich meine, es ist nicht so, als würde ich nicht mitbekommen, wie Rettig sich in seiner neuen Rolle auf eine Art bemüht. Aber so ein Satz zeigt eben trotzdem auf, wie wenig Verständnis für Strukturen da herrscht. Und ich meine nicht allein Strukturen im Fußball, sondern ganz generell. Unsere Gesellschaft ist, ich nehme da gerne nochmal Gloria Steinem mit ins Boot, eine patriarchale.
Sie ist von Männern für Männer gedacht, und dass Andreas Rettig an so einem Tag sagt, er habe in 30 Jahren im „Herrenfußball“ den „Frauenmarkt“ nicht durchdrungen, zeigt das auf, ohne, dass ihm bewusst ist, was seine Aussage eben deutlich macht. Dietmar Beiersdorfer springt ihm direkt zur Seite, indem er betont, „Frauen und Mädels“ habe man gar nicht „vorgefunden“.
Stipendien sind wertlos ohne Jobchancen
Während die beiden reden wandert die Augenbraue von Nadine Keßler einmal über ihre Stirn und den Hinterkopf zurück in ihr Gesicht und die Frauen, mit denen ich nach diesen Podien kurz sprechen konnte, betonen, wie sehr sie ihre Contenance bewundern in solchen Situationen. Dem kann ich mich nur anschließen.
„Was machen wir am Ende des Tages? Wo steht der Job für Trainerinnen in Aussicht?“
Nadine Keßler über Förderung von Frauen
Keßler hat denn auch unterstrichen, es liege ihrer Meinung nach nicht am fehlenden Mut der Frauen, auf den ihre Kollegen immer wieder verwiesen, dass nicht mehr von ihnen im Fußball der Männer in Verantwortung sind. Unterstrichen hat sie außerdem, dass alle Stipendien der Welt für angehende Trainerinnen nichts nutzen, wenn die hinterher keine Jobs finden, weil neben den Jobs im Männerfußball, die ohnehin die Kollegen besetzten, auch immer mehr Jobs im Frauenfußball an Männer gehen, weil sie gerade lukrativer werden. Sprich, wir müssen an die Strukturen. Ist es schon Aktivismus, zu ihren Worten zustimmend zu nicken?
Die Gemeinheit ist aber letztlich, was Frauen passiert, die sich in diesem Bereich gegen alle Widerstände durchsetzen. So, wie das zuletzt Marie-Louise Eta und Sabrina Wittmann getan haben. Die werden nämlich zwangsläufig zu Vorbildern hochgejazzt, was natürlich dem gerecht wird, was sie leisten, ihnen selbst aber vielleicht gar nicht in den Kram passt, weil sie einfach ihre Arbeit machen möchten: Wie die männlichen Kollegen auch.
Es war Eta und Wittmann, die in einer zweiten Podiumsrunde gemeinsam mit Nadine Nurasyid, der ersten Chef-Trainerin in der American-Football-Bundesliga, auf der Bühne saßen, anzumerken, wie sehr ihnen ihre Rolle mittlerweile bewusst ist. Ihre Sichtbarkeit kann anderen Frauen helfen, in diese Bereiche hineinzuwachsen, zugleich werden sie als Personen an eine Fallhöhe gebunden.
„Wir haben sie gesehen, gespürt, gefühlt.“
Dietmar Beiersdorfer über Sabrina Wittmann
So betonten die männlichen Verantwortlichen, man drücke Wittmann die Daumen, dass sie zeigen wird: Sie kann das. Denn, das wusste schon Schiedsrichterin Riem Hussein: Wenn ein Mann im Fußball Mist baut, ist es sein Mist. Wenn eine Frau im Fußball Mist baut, fällt das zurück auf alle Frauen. Wie sollen die mit Freude und Leidenschaft ihren Job ausüben unter dieser besonderen Beobachtung? (Und wie viel Mist haben eigentlich sehr viele Männer im Fußball schon gebaut – und doch bekommen sie Chance nach Chance nach Chance …)
Wer setzt sein Geld auf die Trainerinnen?
Und wer sind „die“ überhaupt? Eingeladen zu dem Forum waren Trainerinnen ab der Lizenz B+. Zur Wahrheit gehört dabei übrigens, dass der DFB mit 4.000 Frauen verbandsweit mehr Trainerinnen in seinen Reihen hat, als jeder andere Verband. Allerdings haben seit 2015 nur neun von ihnen die Pro-Lizenz erworben:
Jana Menzel 2015
Inka Grings & Katja Greulich 2016
Ailien Poese 2017
Theresa Merk 2019
Imke Wübbenhorst 2020
Sabrina Eckhoff & Kim Kulig 2021
Marie-Louise Eta 2023
Das ist beschämend wenig. Und es liegt eben nicht daran, dass keine Frauen da sind oder das Interesse haben, was ja schön zu beobachten ist daran, dass mittlerweile bekannt ist, Sabrina Wittmann hatte sich für den aktuellen Jahrgang beworben. Es gehört aber auch zur Wahrheit, dass seit der Neustrukturierung der Lehrgänge 2022 ohne Unterkunft und Verpflegung 19.000 Euro zu berappen sind für die Ausbildung, deren Teilnehmer*innenfeld von 25 auf 16 zusammengestrichen wurde. In einer männlich dominierten Fußballwelt, wer setzt für diese Summe auf Trainerinnen?
Sich durch die Ergebnisse der letzten Jahrgänge zu wühlen ist irgendwie qualvoll, weil immer eine Neuigkeit ist, dass eine Frau, zwei Frauen oder keine Frau daran teilgenommen haben. Wie soll so Selbstverständlichkeit entstehen?
Der DFB muss in die Tiefen seiner Strukturen absteigen, und dort Themen ganz neu denken. Dabei darf auch eine Quote kein Tabu sein, weil es eben nicht stimmt, zu sagen, die lenke ab von Qualität. Das tun die bestehenden Männerbünde, wie den Aussagen von Rettig und Beiersdorfer unfreiwillig deutlich zu entnehmen ist. Der Blick muss endlich über das hinaus gehen, was bislang als selbstverständlich gilt.
Titelfoto: IMAGO/Foto: IMAGO/Everett Collection
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