Die Spielerinnen der SGS Essen verabschieden sich nach dem 21. Spieltag der Saison 2023/24 lächelnd und klatschend von ihrem Heimpublikum (nicht im Bild).

Die SGS Essen gliedert Bundesligistinnen aus

Das Bundesligateam der SGS Essen ist in eine GmbH & Co KGaA ausgegliedert worden. Details und Eindrücke von der heutigen Bekanntgabe in der Medienrunde auf der Geschäftsstelle.

Inmitten einer hübsch renovierten Bergbausiedlung im grünen Essener Westen, fast schon über die Stadtgrenze zu Mülheim, liegen die Bezirkssportanlage an der Ardelhütte und die Geschäftsstelle der SG Essen-Schönebeck 19/68 e.V. Bis zum Stadion an der Hafenstraße, seit 2012 Spielstätte der Bundesligistinnen, sind es immerhin knapp sechs Kilometer. Während rund ums Stadion Beton, Verkehr und Industrie den Eindruck dominieren, geht es im Stadtteil Schönebeck zwischen mehreren Bach-Tälern um einiges beschaulicher zu.

Am Dienstagmorgen ist eine Sportgruppe auf der Anlage, der Verein bietet neben Bundesliga-Fußball eben auch viel Breitensport und Kurse an und ist mit über 3000 Mitgliedern der drittgrößte Sportverein Essens. Der Parkplatz und die Straße Ardelhütte sind mal wieder recht voll mit parkenden Wagen, ein Streitthema in der Nachbarschaft. Weitere Medienvertreter*innen sehe ich auf meinem Weg zur Geschäftsstelle aber keine und bin kurz irritiert. Habe ich mich mit irgendwas geirrt?

Aber nein. Am 17. Juni hatte die SGS über den Presseverteiler zu einer digitalen Medienrunde zur Ausgliederung eingeladen, mit Bitte um Nicht-Veröffentlichung bis dahin. Einige Tage darauf folgte eine weitere Mail: Man könne natürlich auch vor Ort dabei sein. Außer mir – und natürlich den Vereinsvertreter*innen – hat aber niemand den Weg zur Geschäftsstelle gefunden, eine Handvoll Kolleg*innen war noch digital zugeschaltet. Kaffee und belegte Brötchen ließen darauf schließen, dass nicht nur ich das etwas anders erwartet hatte.

Ausgliederung ohne öffentliche Diskussion – gab’s das schon mal?

Stell dir vor, du gibst als Fußballverein die vielleicht größte Entscheidung deiner Klubgeschichte bekannt, aber fast niemand kommt. Sicher, es ist gerade EM und viele Kolleg*innen und Redaktionen sind überlastet. Aber ob es ohne das Turnier so viel anders ausgesehen hätte?

Relevant ist das deshalb, weil es deutlich macht, warum der Verein überraschen konnte. Denn im Gegensatz zu allen anderen Ausgliederungen, die ich im Fußball der Männer mitbekommen habe, gibt es hier nichts mehr zu diskutieren – der gesamte Prozess ist bereits abgeschlossen und wurde bewusst erst jetzt öffentlich gemacht. Bei Erstligistinnen, die in der abgelaufenen Saison als einziger Nicht-Lizenzverein in der Bundesliga der Frauen Vierte geworden sind, um das nochmal zu betonen.

Das Thema so lange aus der Öffentlichkeit zu halten, mag aus Sicht des Vereins perfekt gelaufen sein, macht aber eigentlich ein Problem überdeutlich: Während es im Fußball der Männer teilweise problemlos ein Dutzend Reporter*innen schaffen, von der Berichterstattung über mehr oder weniger einen einzigen Verein zu leben, ist das im Fußball der Frauen in Deutschland noch immer keine Option. Stattdessen geht es wegen irgendwelcher Klickzahlen oft um die immergleichen Namen, wenn man für seine Arbeit bezahlt werden möchte. Das kann so eigentlich nicht weitergehen. Trotzdem fasse ich mir da natürlich auch an die eigene Nase.

Die Gründe für die Ausgliederung

Aber kommen wir zu den Inhalten der Pressekonferenz, auf der die Vorstandsvorsitzende Helga Sander, der Aufsichtsratsvorsitzende Dirk Rehage und der Geschäftsführer Florian Zeutschler saßen. Bei der neu gewählten Rechtsform handelt es sich um eine GmbH & Co KGaA. Bei den Planungen für die nächsten zwei bis drei Saisons im Sommer 2023 habe sich die Idee laut Rehage als nächster Schritt herauskristallisiert. Bis zum 23. November 2023 sei man weit genug mit den Vorbereitungen mit einer im Thema erfahrenen Kanzlei, dem Finanzamt und Steuerberater*innen gewesen, um einen Aufsichtsratsbeschluss fassen zu können.

Von links nach rechts Helga Sander, Jacqueline Meißner und Florian Zeutschler. Sander, Frau mit braun lockigem schulterlangem Haar, Brille lächelt und hält einen Blumenstrauß, sie trägt einen lila-weißen SGS Essen Schal. Meißner im Trikot der SGS grinst frontal in die Kamera, hält auch den Blumenstrauß und mit der anderen Hand einen Rahmen mit ihrem Trikot und der Rückennummer 250 anlässlich der Ehrung ihres 250. Bundesligaspiels. Rechts neben ihr Florian Zeutschler, lächelnd mit der Zunge zwishcen den Lippen, hält auch den Rahmen mit fest.
v.l.n.r.: Helga Sander (Vorstandsvorsitzende), Jacqueline Meißner, Florian Zeutschler (Geschäftsführer). Ehrung zum 250. Bundesligaspiel von Jaqueline Meißner (gespielt am 24.03.2024), Ehrung am 20. April 2024. Foto: IMAGO/frontalvision.com

Die Mitgliederversammlung für die benötigte Abstimmung mit mindestens Dreiviertel-Mehrheit wurde für den 29. Februar 2024 angesetzt, der Antrag wurde einstimmig angenommen. Nach weiteren Zwischenschritten wurde die Kapitalgesellschaft am 11. Juni 2024 ins Handelsregister eingetragen und am 13. Juni folgte das Okay vom DFB. Der Lizenzantrag für die kommende Bundesliga-Saison war vorher doppelt eingereicht worden: Einmal für das Modell KGaA, einmal als Absicherung für den e.V., falls die Zeit knapp wird.

Die Hauptgründe für den Schritt seien eine weitere Professionalisierung, sowie Risikoabwendung für den Gesamtverein auf der einen und benötigte Flexibilität auf der anderen Seite.

„Der Etat geht auch bei uns nach oben und muss sich auch noch weiterentwickeln, damit wir mithalten können. Und wir wollen mithalten.“, so Helga Sander, „Wir haben das diese Saison bewiesen mit dem vierten Platz. Der Schritt in die Ausgliederung ist ein ganz wesentlicher für unseren Hauptverein, um diesen keinen wirtschaftlichen Risiken auszusetzen.“

Flexibilität – aber auch eine Entmachtung der Mitglieder

Dirk Rehage führte weiter aus: „Wir müssen uns Flexibilität und neue Möglichkeiten geben. Das immer über eine Mitgliederversammlung zu regeln, die alle zwei Jahre stattfindet, nimmt uns das ein Stück weit. Von daher ist der zweite entscheidende Punkt, dass wir bei der Dynamik, die im Frauenfußball entsteht, an Flexibilität gewinnen müssen, so dass wir nicht immer über die Mitgliederversammlung Einzelentscheidungen treffen.“

Das ist aus Sicht der Entscheidungsträger*innen sicherlich so, bedeutet faktisch aber nun mal auch eine Entmachtung der Mitglieder, selbst wenn diese wie bisher auch den Aufsichtsrat wählen, der wiederum den ehrenamtlichen Vorstand – und sich daraus die Gremien der Kapitalgesellschaften entsprechend zusammensetzen.

Ein weiterer Grund für die Ausgliederung sei, die Gemeinnützigkeit des eingetragenen Vereins weiter zu gewährleisten, obwohl die Summen, die in der Profifußballabteilung bewegt werden, steigen. Das ist ein Thema, das bisher nur im Fußball der Männer alle paar Jahre mal diskutiert wird: Sind die (wenigen noch existierenden) eingetragenen Vereine, die natürlich daran interessiert sind, Gewinne zu erwirtschaften, eigentlich mit der im Vereinsrecht festgeschriebenen Gemeinnützigkeit noch konform?

So sieht die neue Struktur aus

Um die neue Struktur aufzubauen, wurden gleich zwei Gesellschaften gegründet: Auf der obersten Ebene steht der Gesamtverein. Diesem gehört komplett die neu als Komplementär gegründete GmbH. Dieser wiederum untergeordnet ist die SGS Essen GmbH & Co KGaA. Da bisher keine Anteile verkauft wurden, gehört auch diese aktuell vollständig dem Verein. Die Einhaltung der 50+1-Regel für den Fall von Anteilsverkäufen wurde berücksichtigt.

So eröffne die Aktiengesellschaft laut Rehage in Zukunft neue Möglichkeiten: „Da kann man jetzt spekulieren, wie konkret sind die? Ich kann Ihnen heute sagen, wir haben da keine konkreten Pläne. Wir sind bisher nicht rausgegangen, obwohl das Thema seit einem halben Jahr läuft. Und von daher haben wir noch überhaupt keine Gespräche in der Richtung geführt. Das ganze Konstrukt ist 100 % im Vereinsbesitz und das wird in der kommenden Saison auch so bleiben.“

Die Frage, wie lange dies darüber hinaus so bleiben wird, stellt sich angesichts der wachsenden Konkurrenz durch Lizenzvereine natürlich trotzdem.

Beitragsbild und Sander, Meißner, Zeutschler: IMAGO/frontalvision.com

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Annika Becker berichtet als Journalistin unter anderem für OneFootball und sportschau.de über die Bundesliga der Frauen. In ihren Kolumnen für web.de beleuchtet sie die strukturellen Themen im Fußball. Seit 2022 gehört sie zur Jury des Guardian für die Wahl der „100 Best Female Footballers In The World“. Becker ist Teil der Crew von „FRÜF – Frauen reden über Fußball“, ansonsten podcastet sie bei der „Halbfeldflanke“ und ist als Expertin zum Beispiel im DLF oder bei der BBC zu hören. Für den Rasenfunk war sie bei der WM 2023 in Australien. An den Wochenenden findet man sie auch privat meist im Stadion, denn Beckers Fußball-Herz schlägt für zwei Ruhrgebietsvereine: den FC Schalke 04 und die SGS Essen.

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