Zu Beginn eines Fußballspiels vor ca. 100 Jahren in Österreich. Die zwei Teamkapitäne begrüßen sich mit Handschlag und Verneigung. Zwei Spieloffizielle beobachten die Szenen. Die Namen wie auch Clubs und Datum nicht nicht überliefert. Credit: Unsplash, Austrian National Library

Zwei Schiris statt VAR?

VARs sind nicht everybody’s darling und scheinen dem*der Schiedsrichter*in die Kompetenz zu stehlen. Warum nicht also zwei Schiris auf dem Platz einsetzen – eine Person pro Hälfte?

Nicht nur Vorteile

Auf den ersten Blick scheint es nur Vorteile zu haben: Die Kompetenz bleibt bei den Schiedsrichter*innen, vier Augen sehen mehr als zwei und auch Personen mit nicht so großer Fitness könnten eingesetzt werden. Tatsächlich hat dieser Vorschlag aber auch einige Nachteile, insbesondere durch die Regelauslegungen. Diese werden zwar größtenteils vom Wettkampfverband vorgegeben, aber trotzdem hat jeder Schiedsrichter*in ihre*seine eigene Art und Weise zu agieren und in Grauzonen zu entscheiden. Man denke nur daran, wie oft wir denken: „Hä? Aber ABC hat in einer ähnlichen Situation anders entschieden!“.

Das führt dann nur dazu, dass es entweder Meinungsverschiedenheiten unter den Schiris gibt oder – bei strikter Trennung der administrativen Bereiche auf den beiden Spielfeldhälften – in einem Bereich manchmal etwas anders bewertet und entschieden wird als im anderen. (Erinnert ein bisschen an die Situation vor 1891, als die häufigere Uneinigkeit der Umpires das Amt des Referees nötig machten. Mehr dazu hier.)

Und das Personalproblem beim derzeitigen Schirimangel macht natürlich auch sein. Wenn für manche Spiele nicht einmal ein Schiedsrichter zur Verfügung steht – wie soll man dann Spiele mit zwei Schiedsrichtern besetzen!

Zwei Schiris, das gab’s schon mal

Die Idee, zwei Schiris einzusetzen, um Diskussionen über ihre Entscheidungen zu reduzieren, ist nicht neu. Vor allem nicht in Deutschland. Im Sommer 1920 berichtete der Berliner Schiedsrichter Johannes Müller in der DFB-Schiri-Zeitung über ein solches Experiment mit zwei Schiedsrichter, aber ohne Assistenten (die damals nur wenige Kompetenzen hatten, u.a. nicht die Beurteilung und Anzeige einer aktiven Abseitsstellung). Die Schiedsrichter teilten sich den Anstoß und den Wiederanpfiff, wobei der Wiederanpfiff nach einem Tor von dem Schiedsrichter ausgeführt wurde, auf dessen Seite das Tor erzielt worden war. In der Halbzeitpause wechselten die Schiedsrichter ebenfalls die Seiten. Müller berichtet weiter, dass alle Skeptiker eines Besseren belehrt wurden und 200% mehr Fouls erkannt und geahndet wurden. Auch die Reaktionen der Leser der Deutschen Schiedsrichter-Zeitung waren überwiegend positiv. Allerdings auch mit den beiden genannten Nachteilen: unterschiedliche Bewertung und Personalmangel.

Einige Jahre später, 1935, fand in Chester, England, ein Testspiel mit den erfahrenen Schiedsrichtern A. W. Barton und E. Wood statt. Wood statt. Auch in England fiel die Bilanz äußerst positiv aus. In der FA sollte die Idee 1937 erneut getestet werden, um dem rohen Spiel Einhalt zu gebieten, aber die Experimente wurden vom IFAB nicht genehmigt. Das Experiment von 1935 hatte auch gezeigt, dass ein zweiter Schiedsrichter natürlich auch doppelte Kosten verursachte.

„They placed themselves in both halfs so that each one of them was always in the immediate vicinity of the ball. The first impressions were quite positive but in spite of it the experiment was cancelled.“ 

[Furrer, Günter:] Football History, Laws of the Game, Referees. A FIFA publication on the occasion of the 100th Anniversary of the International Football Association Board. [Zürich, 1986.] S. 176.

Noch mehr Tests: 1971 und um 2000

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg gab es zwei Versuche, wenn auch nicht in der unmittelbaren Nachkriegszeit: 1971 fand ein einmaliger Test in England statt, im Jahr 2000 in mehreren Profiligen in Italien, Brasilien und drei weiteren Ländern, die im Protokoll der AGM 2001 nicht genannt werden. Auch der französische Fußballverband wurde 1997 ermahnt, bei einem Spiel gegen Schweden zwei Schiedsrichter einzusetzen. (Erst kurz vor dem Spiel, denn sowohl der französische Verband als auch die UEFA hatten zuvor das IFAB um Erlaubnis gefragt. Das Gremium erfuhr jedoch erst kurz vor dem Spiel davon – daher die Verwarnung).

Für das Experiment von 1971 resümierte Sir Stanley Rous, langjähriger FA-Sekretär, 1938 federführend bei der ersten großen Regelreform und in der Nachkriegszeit FIFA-Präsident, in seinem kurz darauf erschienenen Buch „A History of the Laws of Association Game“, das Ergebnis sei nicht schlüssig („inconclusive“) gewesen. Dennoch wurde die Diskussion in den 1970er Jahren weitergeführt – nicht zuletzt durch Sir Stanley selbst, der die Idee 1971 überhaupt erst wiederbelebt hatte. Ein ähnliches Resümee wurde 2001 gezogen: „The experiment has not produced sufficiently positive results and it was agreed to abandon this experiment“.

Beitragsbild: Unsplash, Austrian National Library

Written by 

Petra Tabarelli ist Fußballhistorikerin und -journalistin. Die Spezialistin für die Entwicklung der Fußballregeln schreibt für die DFB-Schiedsrichter-Zeitung, ist als Expertin im Deutschlandfunk zu hören und hat als Beraterin fürs IFAB gearbeitet. Tabarelli ist Mitglied des prämierten Kollektivs „FRÜF“ und setzt sich in der web.de-Kolumne für eine stärkere Präsenz und Förderung von Schiedsrichterinnen im Fußball der Männer ein. 2023 wurde sie zum Mitglied der Deutschen Akademie für Fußball-Kultur ernannt. Zudem hat die Expertin die erste Biografie über den zu Lebzeiten sehr bekannten Simon Rosenberger geschrieben, einen jüdischen Fußball-Pionier und Begründer der DFB-Schiedsrichter-Zeitung, der zuvor aus der Geschichte getilgt worden war.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert