Nach ende des Bundesligaspiels zwischen dem FC Augsburg und dem FC Bayern München, geht Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus-Webb vom Platz. Sie wird begleitet von ihren Assistenten Marcel Unger und Rafael Foltyn. (Credit: IMAGO / Passion2Press)

Akzeptanz und Ablehnung

Seit 1891 agieren Schiedsrichter*innen aktiv und mitten auf dem Spielfeld. (Wie es vorher war, könnt ihr hier nachlesen.) Mit der Verantwortung, die Regeln durchzusetzen, alle strittigen Punkte zu entscheiden und Spieler*innen bei gewalttätigem Verhalten sofort vom Platz zu stellen, war eine der zentralen Figuren des Fußballs geboren. Doch diese Rolle war in den 1890er Jahren ebenso umstritten wie heute die des VAR.

Wer hat die Spielkontrolle?

Es geht um die Philosophie des Spiels. Und diese wird durch die Rolle des Schiedsrichters, der Ankläger und Richter in einer Person ist, ad absurdum geführt. Fußball ist ein Spiel der Fairness, und es war für die Anfänge des Fußballs eine Selbstverständlichkeit, strittige Standpunkte untereinander zu klären. Wenn es sein musste, dann mit Schiedsrichtern an der Seitenlinie, die wie vor 1891 auf Zuruf die Entscheidung unterstützten. Aber nicht direkt auf dem Spielfeld und dann auch noch als Ankläger und Richter in Personalunion! Es ging immer wieder darum, wer die Zügel in der Hand hatte: Der Kapitän oder der Schiedsrichter?

Und diejenigen, die die aktive Rolle des Schiedsrichters brauchten – Spieler, die mit versteckten oder allzu rohen Mitteln um jeden Preis gewinnen wollten – waren natürlich auch nicht begeistert von seiner Einführung. Und so hatte es der Schiedsrichter vor allem in den ersten zehn Jahren besonders schwer, Akzeptanz für seine Rolle und seine Entscheidungen zu finden.

Wenig Akzeptanz

1893, zwei Jahre nach seiner Einführung, wurde in den Laws of the Game schriftlich festgehalten, dass seine Entscheidungen endgültig und seine Urteile unantastbar seien. Weder während noch nach dem Spiel konnten seine Entscheidungen revidiert werden – und jeder musste dies akzeptieren. Und wenn ein wirklich großer, spielentscheidender Fehler passiert ist, dann… nein, auch dann dürfen die Kapitäne nicht entscheiden, sondern nur der nationale Fußballverband.

Bemerkenswert ist, wie man sich mit so profanen Dingen wie der korrekten Befestigung der Tornetze oder unerlaubten Wiederholungen nach Spielbeginn beschäftigte. Oder dass das Spiel so lange läuft, bis der Schiedsrichter abpfeift. Nimmt der Kapitän den Ball vorher in die Hand, weil er das Spiel unterbrechen möchte, begeht er ein Handspiel. Auch wenn das Spiel seiner Meinung nach hätte unterbrochen werden müssen.

Die wiederholte Betonung der umfassenden Macht des Schiedsrichters in den 1890er Jahren in den Laws of the Game sowie alljährlich in den Protokollen der Generalversammlung des International Football Association Board (IFAB) zeugt von der geringen Akzeptanz des neuen Amtes bei den Spielern. Nur langsam konnten sich die Spieloffiziellen, zu denen auch zwei Assistenten gehörten, etablieren. Ab 1898 entschied der Schiedsrichter auch über Nachspielzeiten bei Spielverzögerungen oder Fouls.

Schiris der 1890er = VAR der 2020er?

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde das Amt des Schiedsrichters im IFAB diskutiert, das bis 1913 nur aus den vier britischen Verbänden bestand: England, Schottland, Irland und Wales. Es scheint, dass die Rolle des Schiedsrichters erst mit der Zeit an Akzeptanz gewann. Denn spätere Regeländerungen betrafen weniger die Rolle als vielmehr die Aufgaben. Zum Beispiel 1938, als festgelegt wurde, dass die Schiris die Regeln auch dann anwenden durften, wenn der Ball nicht im Spiel war, und dass sie Disziplinarmaßnahmen verhängen durften, wenn das Spiel bereits wegen eines anderen Vergehens unterbrochen worden war.

1970 kamen mit der gelben und der roten Karte zwei Signale für Verwarnung und Platzverweis hinzu, die seither auf der ganzen Welt unmissverständlich verstanden werden. Und im 21. Jahrhundert gesellte sich zu Block, Uhr, Pfeife und Karten immer mehr technisches Gerät: eine zusätzliche Uhr für die Zeitmessung. Eine Uhr für die Torlinientechnik. Ein Headset, um mit den Assistent*innen verbunden zu sein. Fitnessgeräte. Manchmal eine BodyCam.

Nun werden nicht mehr die Schiris argwöhnisch beobachtet und abgelehnt, sondern ihre neuen Assistent*innen und der VAR. Wird sich die Geschichte wiederholen? Dann muss der VAR sich beeilen, denn in wenigen Jahren ist sein erstes Jahrzehnt vorbei. Wobei das VAR protocol gerade überarbeitet wird und dadurch vielleicht doch etwas mehr Akzeptanz erhält. Let’s stay curious!

Beitragsbild: IMAGO / Passion2Press

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Petra Tabarelli ist Fußballhistorikerin und -journalistin. Die Spezialistin für die Entwicklung der Fußballregeln schreibt für die DFB-Schiedsrichter-Zeitung, ist als Expertin im Deutschlandfunk zu hören und hat als Beraterin fürs IFAB gearbeitet. Tabarelli ist Mitglied des prämierten Kollektivs „FRÜF“ und setzt sich in der web.de-Kolumne für eine stärkere Präsenz und Förderung von Schiedsrichterinnen im Fußball der Männer ein. 2023 wurde sie zum Mitglied der Deutschen Akademie für Fußball-Kultur ernannt. Zudem hat die Expertin die erste Biografie über den zu Lebzeiten sehr bekannten Simon Rosenberger geschrieben, einen jüdischen Fußball-Pionier und Begründer der DFB-Schiedsrichter-Zeitung, der zuvor aus der Geschichte getilgt worden war.

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