Kapitäne als Sprachrohr
Nur die Kapitäne dürften während der EM-Spiele mit den Schiedsrichtern diskutieren. Es ist einer der laufenden Tests des IFAB, um allzu aggressives Verhalten einzudämmen und wurde bereits in der abgelaufenen Saison in der englischen Premier League getestet. Ein Test, der an die Ursprünge der Schiedsrichter*innen erinnert.
Es ist eine Regelung, die so gar nicht zum Fußball passt und auch nicht zum kommunikativen, erklärenden und weniger autoritären Auftreten der Schiedsrichter*innen, das sich in den letzten Jahren immer mehr verbreitet hat. In meiner aktuellen FRÜF-Kolumne auf WebDE erkläre ich, warum ich es für schade, aber auch für notwendig halte, dass diese Regelung mehr und mehr in Wettbewerben erprobt wird. Schade, weil ich es sehr schätze, wenn Schiedsrichter kommunikativ und vermittelnd auftreten. Notwendig, weil ein Anteil der Spieler*innen, ja eigentlich könnte man auch Spieler schreiben, eine solch autoritäre Regelung notwendig macht. Auch als Vorbildfunktion.
Der Anteil dieser aggressiven und tätlichen Übergriffe ist in letzter Zeit etwas zurückgegangen, ist aber immer noch erschreckend hoch. Die meisten sind Wiederholungstäter, die keine Einsicht haben und meinen, alles mit „Emotionen” rechtfertigen zu können – auch Aggressionen. Emotionen gehören zum Fußball, aber noch viel mehr gehört Fairness zum Fußball.
Hier könnt ihr die Kolumne lesen: Kapitäne als Sprachrohr für mehr Fairness und weniger Aggressionen.
Fairness im Wandel – Fußball zwischen Adel und Arbeiterklasse
Aber was hat das nun mit den Ursprüngen der Schiedsrichter*innen zu tun? Nun, Fußball war zunächst ein Sport des Adels – ein Müßiggang, der den Heranwachsenden spielerisch die Ideale des Gentleman vermittelte und den Erwachsenen eine sportliche Freizeitbeschäftigung bot. Fairness war oberstes Gebot und Streitigkeiten wurden direkt auf dem Spielfeld zu Gunsten des Geschädigten beigelegt, denn natürlich wollte man sich nicht blamieren und zeigte Großzügigkeit.
Als der Fußball immer populärer wurde, sprangen Unternehmer auf den Zug auf und boten passende Kleidung, Wettmöglichkeiten und andere Vermarktungsmöglichkeiten an. So konnten auch Menschen Fußball spielen, die den Sport zwar gut und gerne ausübten, bei denen das Geld aber nicht so locker saß wie bei der Oberschicht. Fußballspieler wurden bezahlt – zunächst unter der Hand und oft in Naturalien. Aber sie hatten großen Ehrgeiz: Fußball war für sie kein Müßiggang, keine Freizeitbeschäftigung, sondern konnte im Idealfall den Lebensunterhalt erheblich verbessern. Nicht die Fairness war für sie das höchste Gut, sondern dieser Lebensunterhalt, also die Bezahlung. Diese erhöhte sich bei Siegen und so kam es zu immer größeren Unstimmigkeiten, zu bewussten Fouls.
Wenn sich Kapitäne nicht einigen können
Die beiden Umpires an der Seitenlinie waren ab den 1870er Jahren nötig. Konnten sich die Kapitäne nicht einigen, konnten diese (und nur diese) die Umpires um Hilfe bitten. Das Urteil der Umpires war dann die feste Entscheidung.
Aber die Umpires waren zwei Honoratioren, je einer pro Team und von diesem ernannt worden. Es kam in den 1880er Jahren immer häufiger zu Situationen, in denen sich auch die beiden Umpires nicht einigen konnten. Das machte es nötig, einer weiterer Honoratior an die Seitenlinie zu stellen, der nicht von den Teams ernannt wird, sondern umso unparteiischer ist: Der Referee. Dieser ersetzte jedoch nicht die Umpires, sondern kam ins Spiel, wenn sich weder die Kapitäne noch die Umpires einigen konnten. Eine große Zumutung für viele Gentlemen, dass so etwas notwendig geworden war!
Von der Seitenlinie aufs Spielfeld
Der Referee blieb während der gesamten 1880er Jahre an der Seitenlinie. Nicht ganz, denn ab 1888 gab es den Schiedsrichterball als Spielfortsetzung. Für diesen betrat der Referee dann kurz das Feld, um dann wieder an die Seitenlinie zu gehen und das Spiel passiv zu verfolgen.
Erst 1891 kam dann die große Änderung: Der Schiedsrichter kam nicht nur auf den Platz, sondern er sollte auch das Spielgeschehen aktiv lenken und das Urteil sprechen. Er war nun Ankläger und Richter zugleich. Die beiden Umpires blieben an der Seitenlinie und wurden seine Assistenten, die bestimmte Aufgaben erhielten.
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