Kirchberger, Hanshaw, Dunst: Ein Trio zwischen Austria, AS Rom und SGE
Da war es nur noch eine: Mit dem Wechsel von Virginia Kirchberger zur Austria nach Wien ist Barbara Dunst die letzte Eintrachtspielerin aus dem österreichischen Trio der Vorsaison. Kirchbergers Abschied stand bereits fest, ihr Ziel bislang nicht. Verena Hanshaw hat sich Richtung Rom verabschiedet. Hier lest ihr das Interview mit den Dreien aus dem ballesterer exklusiv in ganzer Länge online.
Das Treffen mit Barbara Dunst, Verena Hanshaw und Virginia Kirchberger findet „Im Herzen von Europa“ statt. So lautet die Adresse ihres Vereins, der Frankfurter Eintracht. Im Sommer 2020 fusionierte der Männer-Bundesligist mit dem 1. FFC Frankfurt, einem der erfolgreichsten Klubs im Fußball der Frauen. Heuer spielten sie unter dem neuen Namen erstmals in der Gruppenphase der Champions League. Das letzte Spiel, ein 5:0-Heimsieg gegen Rosengard aus Malmö liegt beim Interviewtermin erst einige Tage zurück. Die Eintracht steigt als Gruppendritter nicht auf, die Bilanz ist dennoch positiv. „Die Erfahrung hat uns weitergebracht“, sagt Hanshaw.
„Ich freue mich sehr, endlich hier zu sein und wieder nach Hause zu kommen! Ich möchte mit meiner Erfahrung vorangehen, Verantwortung übernehmen und wieder Spaß am Fußballspielen haben.“
Virginia „Gini“ Kirchberger
Mara Pfeiffer: Ihr seid relativ jung nach Deutschland gewechselt. Wie habt ihr das erlebt?
Virginia Kirchberger: Ich bin mit 15 zu Bayern München gegangen. Damals hat es die Akademie in Sankt Pölten noch nicht gegeben, der Frauenfußball in Österreich war nicht professionell. Wenn man auf hohem Niveau spielen wollte, hat man ins Ausland gehen müssen. Bayern war naheliegend, mit Carina Wenninger und Viktoria Schnaderbeck habe ich dort Nationalteamkolleginnen gekannt. Zuerst habe ich in einem Jugendwohnheim gewohnt, mit 16 habe ich eine Vollmacht von meinen Eltern bekommen und bin in eine WG gezogen.
Barbara Dunst: Ich habe in Sankt Pölten das Leistungszentrum besucht und die Handelsschule abgeschlossen, war also früh weg von meinem Zuhause in Graz. Mit 19 bin ich nach Leverkusen gewechselt. Wenn man international mithalten möchte, müssen wir Österreicherinnen den Weg ins Ausland suchen.
Verena Hanshaw: Ich habe mit 16 Jahren die Schule abgebrochen und bin mit Laura Feiersinger nach Deutschland gegangen. Der Schulabbruch ist rückblickend das Einzige, das ich gerne anders gemacht hätte. Damals war der Traum so groß, dass ich alles dafür gegeben hätte.
Wo würdet ihr die Bundesliga im internationalen Vergleich einsortieren?
Kirchberger: Als wir hergekommen sind, war Deutschland mit Abstand die beste Liga. Da hat es nicht viel zu überlegen gegeben, zumal man keine Sprache lernen musste und in vier Stunden zu Hause war. Aber heute muss die Bundesliga aufpassen, in der Champions League ist, wenn auch knapp, kein deutscher Verein aufgestiegen. Die Liga ist immer noch eine der besten der Welt, aber es fehlt das Drumherum, da haben andere aufgeholt.
Dunst: In England investieren die Klubs mehr, auch in Infrastruktur und Marketing. England hat Deutschland überholt. Die Liga wirbt international um Spielerinnen. Erfolg spielt dabei natürlich eine Rolle, das Nationalteam hat zum Boom beigetragen, die großen Vereine integrieren den Frauenfußball. Klar möchten wir von den Männern unabhängiger sein, aber in Frankfurt haben wir mit der Fusion gezeigt, wie es gehen kann. Der Blick der Vereine muss offener werden, gerade in Deutschland und Österreich.
Wie schaut ihr auf die Erfolge der Frauenabteilungen in Männerklubs, aber auch den Niedergang einst erfolgreicher Frauenvereine?
Kirchberger: Das ist einfach der nächste Entwicklungsschritt. Es eröffnet ganz neue Möglichkeiten, wenn man wie wir die Eintracht im Rücken hat. Für Klubs wie Turbine Potsdam, die das nicht haben, ist es trotz der großen Tradition schwierig, Sponsoren zu finden. Das ist schade, weil viel Geschichte drinsteckt, aber es geht eben nur, wenn man sich mitentwickelt.
„Die Champions League war eine Bühne, die wir als Team nicht gekannt haben. Wir haben alle einen richtigen Schritt gemacht. Damit haben wir auch etwas zurückgeben können, es war auch für den Verein wichtig.“
Barbara Dunst, Eintracht Frankfurt
Verena, Barbara, ihr wart schon vor der Fusion beim 1. FFC Frankfurt, Virginia, du bist 2020 dazugekommen. Was hat sich verändert?
Hanshaw: Es hat sich in allen Punkten verbessert. Beim 1. FFC waren die Bedingungen nicht so gut wie jetzt. Wir haben einen riesigen Schritt gemacht, dafür sind wir dankbar. Man sieht an den Zahlen und Erfolgen, dass unsere Leistung gestiegen ist, weil wir bessere Trainingsbedingungen haben, mehr Trainer, mehr Staff, mehr Möglichkeiten. Wir können individuell besser arbeiten und bekommen mehr Aufmerksamkeit. Das genießen wir, gerade die Spielerinnen, die vorher da waren.
Dunst: Für mich ist das Beispiel Leverkusen interessant, mit denen ich ja 2017 abgestiegen bin. Wenn ich die Strukturen damals vergleiche mit denen beim MSV Duisburg und dem FFC später, waren sie infrastrukturell richtig gut. Der FFC als großer Traditionsverein war schlechter aufgestellt. Da frage ich mich: Woran ist es in Leverkusen gescheitert? Es braucht neben Strukturen auch Überzeugung. In Frankfurt erleben wir die, deswegen ist die Erfolgskurve gestiegen.
Was hat die Qualifikation für die Champions League euch bedeutet?
Dunst: Es war eine Bühne, die wir als Team nicht gekannt haben. Die Vorbereitung und die Spiele sind anders als in der Liga. Wir haben alle einen richtigen Schritt gemacht. Damit haben wir auch etwas zurückgeben können, es war auch für den Verein wichtig.
Hanshaw: Die Erfahrungen werden uns beim nächsten Mal helfen. Ich habe von der Champions League geträumt, seit ich zehn Jahre alt bin, und so geht es vielen von uns. Das Besondere ist, dass wir als Team schon lange zusammen sind. Es ist deswegen umso schöner, dass wir das gemeinsam erreicht haben.
Wie nehmt ihr die Entwicklung in Österreich wahr? Der Meistertitel geht seit 2015 an Sankt Pölten, der Cup noch länger.
Kirchberger: Es tut sich einiges in den letzten Jahren, gerade weil Vereine wie die Vienna und die Austria versuchen, Frauenfußball mit guten Leuten zu besetzen. Aber es fehlt an der Breite, auch weil junge Spielerinnen weiterhin früher oder später ins Ausland wechseln. Die Liga muss attraktiver werden: für Talente, für Spielerinnen aus dem Ausland und für Fans.
Dunst: Es ist sehr wichtig, den Frauenfußball in Österreich Personen anzuvertrauen, die ihn geprägt haben, wie Lisa Makas als Sportliche Leiterin bei der Austria und Carina Wenninger bei der Liga. Es braucht die Offenheit, ihnen zu sagen: „Ihr wisst, was zu tun ist, ihr habt die Erfahrung.“ Aber es fehlt an Geld. Befreundete Spielerinnen haben mir erzählt, dass es oft schon im Kleinen scheitert: Außendarstellung, Social Media und so weiter. Das ist aber wichtig. Und die Gehälter sind natürlich zentral. Wenn ich als junge Spielerin die Möglichkeit habe, nach Deutschland zu gehen, dann gehe ich.
„Das hört sich vielleicht schlimm an, aber wir sind mit der Nationalelf immer wieder gezwungen, Erfolge zu haben, damit die Fans dabeibleiben. Für uns ist das mühsam, das ist in unseren Köpfen drin.“
Verena Hanshaw, AS Rom
Wie hat sich die Ausbildung im Vergleich zu eurer Jugend verändert?
Kirchberger: Das kann man kaum noch vergleichen. Ich habe zum Beispiel früher nie professionelles Krafttraining gehabt. Heute haben die jungen Spielerinnen auch alle ein gewisses Niveau im technisch-taktischen Bereich. Wir haben diese Entwicklungsmöglichkeiten damals noch nicht gehabt. Da ist es darum gegangen, 60 Prozent des Potenzials überhaupt erst freizulegen. Heute ist die Aufgabe eher, Rohdiamanten zu schleifen.
Wie wichtig ist es, dass junge Spielerinnen heute mehr Forderungen stellen?
Hanshaw: Den Generationsunterschied merken wir extrem. Wir haben für alles kämpfen, uns für jede Kleinigkeit einsetzen müssen, sogar fürs Trainingsleiberl.
Kirchberger: Oder ein passendes Trainingsleiberl. Wir haben in der U17 nur S gehabt. Ich war schon so groß wie jetzt, was soll ich da mit einem S-Leiberl, das war bauchfrei. Jetzt kommen die Mädels und sagen: „Boah, ich habe nur zwei Leiberl.“ Für sie ist das normal, das ist auch gut so. Und gleichzeitig muss man ein bisschen demütig sein. Spielerinnen wie Verena und ich haben einen Anteil daran, dass die Jungen weniger kämpfen müssen. Jetzt ist es die Aufgabe der jungen Spielerinnen, sich für die nächsten Schritte einzusetzen.
Ihr habt früh im Nationalteam gespielt. War der Übergang aus den Jugendteams schwierig?
Kirchberger: Wenn du im Jugendbereich gut warst, bist du fast zwangsläufig schnell ins A-Team gekommen. Dort hat es an Breite gefehlt. Ich habe ein halbes Jahr parallel in der U17, der U19 und dem A-Team gespielt. Die Breite und die Qualität sind seither viel besser geworden. Es ist wie Tag und Nacht, heute arbeiten wir extrem professionell. Wir sind athletisch auf einem ganz anderen Niveau.
„Wir haben in der U17 nur S-Trainingsleiberl gehabt. Ich war schon so groß wie jetzt, was soll ich da mit einem S-Leiberl, das war bauchfrei.“
Virginia Kirchberger, österreichische Nationalspielerin
2017 ist das Team bei der ersten EM-Teilnahme ins Halbfinale gekommen. Wie hat euch die Arbeit mit Teamchef Dominik Thalhammer geprägt?
Kirchberger: Es war neu, dass jemand aus dem Männerfußball kommt, der ambitionierte Ziele hat. Vorher hat niemand so richtig an eine größere Entwicklung geglaubt. Er hat uns eine Vision gezeigt, auf die wir Stück für Stück hingearbeitet haben. Plötzlich haben wir gemerkt, wenn jede individuell intensiv an sich und wir im Team arbeiten, können wir etwas erreichen. Wir haben nicht mehr das Gefühl gehabt, uns verstecken zu müssen.
Hanshaw: Zuvor haben wir im Nationalteam nie ein Taktiktraining gehabt. Dann ist er gekommen und hat uns extrem viel Neues beigebracht – über das Spiel, über Systeme und was man erreichen kann, wenn alle denselben Plan verfolgen. Das hat er mit uns bis zur Perfektion trainiert. Bei der ersten EM waren wir eher defensiv ausgerichtet, das hat sich von Jahr zu Jahr verändert, bis wir mehr Ballbesitz gehabt haben. Sobald wir eine Sache gut beherrscht haben, wollten wir den nächsten Schritt machen.
Dunst: Ich habe im Internat die ersten drei Jahre unter Herrn Thalhammer gespielt. Er hat eine Art, Spielerinnen fachlich und in anderen Bereichen an ihr Limit zu entwickeln. Er ist sehr fleißig und akribisch. Ich höre seine Stimme heute noch manchmal in meinem Ohr: „Ballmitnahme, richtiger Fuß.“ Unter ihm habe ich prägende Jahre gehabt. Wir haben sehr profitiert von ihm, er hat den Fußball weitergebracht.
Virginia, du hast mit der heutigen Teamchefin Irene Fuhrmann noch gespielt. Wie war das?
Kirchberger: Da war ich erst 14. Sie war ein typischer Zehner, technisch richtig gut, sehr verspielt, eine Kreative. Das versucht sie heute einzubringen, sie lässt uns in der Offensive viele Freiheiten.
Österreich war bei der WM 2023 nicht dabei, in der Nations League ist es gut gelaufen. Nach dem Spiel gegen Frankreich vor über 10.000 Fans im September in Wien hat Fuhrmann gesagt, es habe eine Tür aufgestoßen. Müsst ihr euch immer wieder neu beweisen?
Hanshaw: Wir haben 2017 nach der erfolgreichen EM gedacht, dass wir die gute Stimmung aufrechterhalten können. Das ist aber nur teilweise gelungen. Die EM in England war wieder ein Erfolg, die Entwicklung danach wieder ähnlich. Das hört sich vielleicht schlimm an, aber wir sind immer wieder gezwungen, Erfolge zu haben, damit die Fans dabeibleiben. Für uns ist das mühsam, das ist in unseren Köpfen drin. Die vielen Zuschauer in Wien waren richtig cool, zu anderen Spielen kommen aber leider viel weniger.
Kirchberger: Der Standort Wien hat einen Teil der Attraktivität ausgemacht. Wir spielen oft in Stadien, die schwer erreichbar sind, und zu Uhrzeiten, die Kinder ausschließen. Dazu werden die Partien recht kurzfristig angesetzt, alles ist schwer planbar. Da müssen wir noch kämpfen. Ich hoffe, dass das Spiel in Wien dem ÖFB gezeigt hat: Die Leute sind da, man muss ihnen nur etwas anbieten.
Virginia Kirchberger (31) begann beim USC Landhaus und spielte in Deutschland unter anderem für den FC Bayern, MSV Duisburg und den SC Freiburg. 2020 wechselte die Verteidigerin zu Eintracht Frankfurt. Am 6. Juni verkündete die Wiener Austria ihre Verpflichtung. (Foto: Austria Wien/Daniel Shaked)
Verena Hanshaw (30) spielte beim USC Landhaus und in Deutschland unter anderem beim SC Freiburg und dem SC Sand. 2018 kam die Verteidigerin zum 1. FFC Frankfurt. In der kommenden Saison spielt sie für AS Rom.
Barbara Dunst (26) begann ihre Karriere beim LUV Graz und spielte danach bei Sankt Pölten, Bayer Leverkusen und dem MSV Duisburg. 2019 wechselte die Mittelfeldspielerin zum 1. FFC Frankfurt.
Der Text erschien zuerst im ballesterer #187.