Bundesliga der Frauen in Österreich: Unter dem Radar
BALLESTERERPERLE. Wer vom Fußball leben will, muss die österreichische Bundesliga schnellstmöglich verlassen. Attraktiv ist sie trotzdem. Sie dient als Basis für Nachwuchsnationalteams, Destination für Teamspielerinnen aus der zweiten Reihe und Talentepool für den großen Nachbarn.
Österreich 6, Island 0 – hätte es im Stadion von Salou in Spanien ein Scoreboard gegeben, die Machtdemonstration der österreichischen Frauen im Play-off zur U20-WM wäre noch sichtbarer gewesen. Der Sieg am 4. Dezember 2023 sicherte dem Team die erstmalige Teilnahme am Turnier, das im Spätsommer (31. August bis 22. September) in Kolumbien stattfinden wird. Neun der elf Spielerinnen in der Startformation waren zum damaligen Zeitpunkt in der Bundesliga aktiv, ebenso wie alle neun, die beim Anpfiff auf der Bank saßen.
Drei Tage zuvor: Kroatien legte mit einem 2:0-Sieg gegen die Slowakei den Grundstein zum überraschenden zweiten Platz in der Leistungsstufe B der Nations League. Die Tore erzielten Ruzica Krajinovic, die aus Innsbruck stammt und für den SK Sturm spielt, und die in Wien geborene Vienna-Stürmerin Jelena Dordic – zwei von sieben Spielerinnen im kroatischen Kader, die in Österreich aufgewachsen sind oder in der Liga spielen.
Am 5. Dezember besiegte das österreichische Nationalteam die früheren Weltmeisterinnen und Olympiasiegerinnen aus Norwegen 2:1 und fixierte damit Platz zwei der Nations-League-Gruppe. In Irene Fuhrmanns Startformation stand jedoch nur eine Kickerin aus der Bundesliga: Eileen Campbell von der Spielgemeinschaft Altach/Vorderland. Sie blieb nicht mehr lange in Vorarlberg, ihr Transfer zum SC Freiburg in der Winterpause war schon ausgemacht.
Österreich im internationalen Vergleich
Im UEFA-Ranking steht die Bundesliga auf dem zwölften Platz, aber in den für die Wertung relevanten letzten fünf Saisons haben vor allem die Abonnementmeisterinnen aus Sankt Pölten Punkte beigetragen. Der SK Sturm und die Spielgemeinschaft USC Landhaus/FK Austria Wien erreichten die K.-o.-Phase in dieser Zeit nicht, andere Klubs spielten nicht europäisch. Wo steht die Bundesliga also im internationalen Vergleich?
Seit 2015 ist Sankt Pölten achtmal in Folge Meister geworden, stets überlegen, fast immer ungeschlagen, mitunter ohne Punkteverlust. Im Schnitt kassierte das Team nur vier Gegentore pro Halbsaison. In Europa sieht es ganz anders aus: Nach den Titeln 2022 und 2023 qualifizierte sich der Klub zwar für die Gruppenphase der Champions League, in zwölf Spielen gab es dort aber nur einen Sieg, zwei Remis und neun Niederlagen – davon fünf mit vier oder mehr Gegentoren. Der Abstand zur internationalen Elite ist also groß, so groß wie jener zur heimischen Konkurrenz im vergangenen Jahrzehnt, nur eben in die andere Richtung.
„In Deutschland weiß man, dass hier viele talentierte Spielerinnen aktiv sind. Die Ausbildung gilt als gut, und eine Sprachbarriere gibt es auch nicht.“
Lisa Makas, Sportliche Leiterin Austria Wien
Das Gefälle in Österreich ist auch eine Generationenfrage. Denn Sankt Pöltens Ligakonkurrentinnen in den neun übrigen Klubs sind jung: Rund die Hälfte der Stammkräfte zwischen Altach und Wien-Favoriten hat den 21. Geburtstag noch vor sich. Talente kommen also zu viel Spielpraxis. Das weiß man auch in Deutschland. „Viele deutsche Vereine schauen sehr genau nach Österreich“, sagt Lisa Makas.
Spielwiese für Teenagerinnen
Die 74-fache Teamstürmerin hat lange beim MSV Duisburg gespielt und ist nun Sportliche Leiterin bei der Wiener Austria. Sie sagt: „In Deutschland weiß man, dass hier viele talentierte Spielerinnen aktiv sind. Die Ausbildung gilt als gut, und eine Sprachbarriere gibt es auch nicht.“ Die Einschätzung, dass die österreichische Liga ein attraktiver Nachwuchsmarkt für die deutsche ist, bestätigt Theresa Merk. Sie hat beim SC Freiburg zuletzt drei Österreicherinnen trainiert: Eileen Campbell, Lisa Kolb und Annabel Schasching. „Die Spielpraxis aus der Liga hilft, und auch das Konzept des ÖFB-Zentrums finde ich gut“, sagt Merk.
„Die österreichische Liga liefert eine gute Vorbereitung, liegt aber bei Tempo und Physis deutlich hinter der deutschen Bundesliga zurück.“
Theresa Merk, Trainerin
In der 2011 eröffneten Akademie in Sankt Pölten werden die besten Teenagerinnen des Landes zusammengezogen und können quasi wie ein Vereinsteam trainieren. „Junge Spielerinnen werden dort schon an eine gewisse Trainingshäufigkeit und an Krafteinheiten herangeführt, Amateurvereine können eine solche Struktur nicht bieten“, sagt die Freiburg-Trainerin. „Die österreichische Liga liefert eine gute Vorbereitung, liegt aber bei Tempo und Physis deutlich hinter der deutschen Bundesliga zurück.“ Das ist die eine Seite der Wahrheit.
Die andere Seite kennt Tea Krznaric. Die 19-jährige Mittelfeldspielerin ist in Traun vor den Toren von Linz aufgewachsen, sie peilt gerade mit dem LASK den Aufstieg in die Bundesliga an und gehört zu jenen Austro-Kroatinnen, die der kroatische Verband gezielt scoutet. Warum? „Weil wir von Tempo und körperlicher Robustheit viel stärker sind als die Spielerinnen in Kroatien“, sagt Krznaric.
„Die erste Liga dort ist vom Niveau vergleichbar mit der zweiten Liga in Österreich.“ In den Relegationsduellen der Nations League war Kroatien gegen Norwegen zwar chancenlos, ließ auf dem Weg dorthin mit Rumänien und der Slowakei aber zwei in der FIFA-Weltrangliste besser platzierte Teams hinter sich – auch dank der Kickerinnen, die in Österreich spielen und ausgebildet wurden.
Blutige Nase gegen die ÖFB-Juniorinnen
In Kroatien gilt die Bundesliga also als Upgrade zur eigenen Liga. Ähnlich ist es in der Slowakei, von deren Teamspielerinnen ebenfalls einige in Österreich spielen. In Deutschland sieht man die Bundesliga als interessanten Talentepool. Und wie wird sie in anderen höherklassigen Ländern wahrgenommen? „So gut wie gar nicht“, sagt Hannes Spilka. Der Niederösterreicher ist Trainer des U19-Nationalteams, das sich mit dem 6:0 gegen Island für die WM in Kolumbien qualifiziert hat.
Er will diese Einschätzung aber gar nicht als negativ verstanden wissen, ganz im Gegenteil: „Das heißt auch, dass wir gerade von den großen Namen weiterhin unterschätzt werden.“ Und das, obwohl alleine der nun für die WM qualifizierte Jahrgang innerhalb eines Jahres England, Deutschland, Italien und die Niederlande besiegt hat. „In diesen Ländern wird eine Niederlage gegen uns immer noch als kleine Blamage betrachtet“, sagt Spilka. „Ich habe den Eindruck, dass sie uns zwar schon Respekt entgegenbringen, aber trotzdem zumeist nicht ganz ernst nehmen.“ Dadurch haben sich bereits einige gegen die ÖFB-Juniorinnen blutige Nasen geholt.
Die Spielpraxis für Talente in der Bundesliga beurteilt auch Spilka als wichtig. Dennoch wünscht er sich eine Anhebung des Niveaus. Denn wer vom Fußball leben und für das Nationalteam infrage kommen will, muss ins Ausland wechseln – und da sei der Sprung von Österreich nach Deutschland weiterhin ein extrem großer. Österreichische Spielerinnen stehen mit spätestens 20 vor der Entscheidung, ob sie auf Fußball als Leistungssport im Ausland setzen und dem alles unterordnen oder sich auf den Hobbykick in der Heimat beschränken.
Hoffnung auf den Sprung ins Ausland
Entsprechend versucht jedes Jahr ein ganzer Schwung von Talenten den Sprung nach Deutschland, nur wenige setzen sich durch. „Könnten sie sich in Österreich auf einem höheren Level noch ein, zwei Jahre länger vorbereiten, würde das den Wechsel erleichtern und ein Sicherheitsnetz bieten“, sagt der U19-Teamchef. Die Frauen wüssten dann, dass es auch ohne Wechsel ins Ausland mit der Karriere weitergehen kann. Sich mit dem Kicken in der Regional- oder Landesliga etwa ein Studium zu finanzieren, wie es jungen Männern möglich ist, geht sich bei Frauen hierzulande nicht einmal in der Bundesliga aus.
Immerhin werden die Aussichten langsam etwas besser. Denn auch in Österreich drängen die großen Männervereine Richtung Bundesliga vor. Zu den etablierten Teams aus Sankt Pölten, Graz und Innsbruck kamen in den letzten Jahren die Wiener Austria, Altach, die Vienna und Blau-Weiß Linz dazu. Der LASK ist derzeit Zweitligist, Rapid startet im Sommer in der Wiener Liga, und auch Red Bull Salzburg baut eine Frauensektion auf.
„Die Reform bedeutet, mehr Spiele für die Spielerinnen, die nicht hauptberuflich Fußball spielen.“
Sargon Duran, Trainer SK Sturm Graz
Ein neuer, an die Männer-Bundesliga angelehnter Modus soll zudem mehr Duelle der Spitzenteams bringen: Nach den 18 Runden wird ab 2024/25 nicht wie bisher Schluss sein, sondern die besten vier Teams treten in einer Meisterrunde noch einmal in sechs Matches gegeneinander an, die restlichen sechs bekommen fünf Extraspiele in einer Abstiegsrunde. Das soll die Topteams stärker fordern und mehr Spannung bieten, es fordert aber auch die Strukturen der Vereine.
Denn die zusätzlichen Termine müssen in dem durch Cup und Länderspiele unterbrochenen Kalender untergebracht werden. „Die Reform bedeutet, mehr Spiele für die Spielerinnen, die nicht hauptberuflich Fußball spielen“, sagte Sturm-Coach Sargon Duran Laola1.
Spielerinnen: Ausbildung und Investition
Mit Ausnahme von Sankt Pölten und Aufsteiger SPG Lustenau/Dornbirn, die auf routinierte Legionärinnen setzen, sind bei den Bundesligisten junge bis sehr junge einheimische Spielerinnen aktiv, deren Blick bei den Ambitionierteren sehr schnell nach Deutschland schweift. Anders sieht das in der Schweiz aus, dem Nachbarland, das von der Struktur und den Möglichkeiten mit Österreich gut vergleichbar ist, auch beim Fußball der Frauen.
Der Zugang in der Schweizer Liga ist ein ganz anderer. Die großen Männerklubs sind bereits seit Längerem im Frauenbereich aktiv. Manche Schweizer Talente wie Leela Egli, die im Winter zu Freiburg gewechselt ist, und Alayah Pilgrim, die zur Roma gegangen ist, können sich in die Auslage spielen.
Aber in der Stammformation von Servette aus Genf, Erster im heurigen Grunddurchgang, stehen nur drei Schweizerinnen. Beim FC Basel, lange Tabellenführer und erst in den letzten Runden abgefangen, sind es zwei, und auch Young Boys aus Bern setzt regelmäßig auf mehr aus- als inländische Spielerinnen. In der Schweiz sind Teamspielerinnen aus Marokko, Polen und Portugal aktiv, dazu eine beträchtliche Anzahl an ehemaligen Spielerinnen aus der deutschen Bundesliga. Vom FC Zürich abgesehen, bekommen Schweizerinnen nur bei Mittelständlern und Abstiegskandidaten ihre Chancen.
„In der Form wäre das für die Entwicklung heimischer Talente nicht zielführend“
Hannes Spilka, U19-Juniorinnen-Trainer
Obwohl sich Hannes Spilka eine Liga auf höherem Niveau mit mehr ambitionierten Klubs wünscht und dort gerne auch stärkere Legionärinnen sehen würde, dienen ihm die Schweizer Zustände als abschreckendes Beispiel. „In der Form wäre das für die Entwicklung heimischer Talente nicht zielführend“, sagt er. Zumal die Schweizer Vereine im Europacup in den letzten Jahren weniger konkurrenzfähig waren als die österreichischen. Das UEFA-Ranking führt die Schweiz auf Platz 18.
Auch in Österreich sind einige Legionärinnen aus den starken Fußballländern aktiv. Kommende oder ehemalige Weltstars sind vermutlich nicht darunter, sondern eher Spielerinnen, die etwa in der deutschen Bundesliga das Ende ihrer Karriereleiter erreicht haben. So wie Linksverteidigerin Ella Touon, die im Sommer von der SGS Essen zu Sankt Pölten gekommen ist, und Altachs im Jänner engagierte Torfrau Sarah-Lisa Dübel, die zuvor Reservistin bei Werder Bremen und dem SC Sand war. Von Juventus hat Neulengbach die italienische Nachwuchsteamspielerin Elisa Pfattner ausgeliehen, die in Turin nicht zum Einsatz gekommen ist.
Im mittleren Management
Für die Klubs sind Spielerinnen mit internationaler Erfahrung viel wert, sagt Austrias Sportliche Leiterin Makas. Ihr ansonsten sehr junges Team wird durch ein Trio mit Routine aus starken Ligen komplettiert: Neben der nach einem Jahrzehnt in Bremen verpflichteten Teamverteidigerin Katharina Schiechtl sind das die deutsche Stürmerin Verena Volkmer und die niederländische Mittelfeldspielerin Dominique Bruinenberg, die auch in Deutschland und England unter Vertrag war. „Es ist schon Überzeugungsarbeit nötig, um solche Spielerinnen nach Österreich zu lotsen“, sagt Makas. „Da haben wir bei der Austria aber einen Vorteil. Denn das Argument, in einer coolen Stadt wie Wien leben zu können, zieht durchaus.“
Auch wenn mit der Austria, der Vienna und bald Rapid in absehbarer Zeit drei Bundesligisten aus der Hauptstadt um Neuzugänge buhlen werden, wird Wien – und jede andere Stadt in Österreich – nicht der neue Arbeitsplatz einer Weltklassespielerin werden. Der Bundesliga geht es also im internationalen Vergleich wie Angestellten im mittleren Management. Sie ist Spielball der wirklich Großen, aber dennoch attraktiv für Kleinere. Als Sprungbrett ins österreichische Nationalteam dient die Liga schon lange nicht mehr. Geschweige denn für mehr.
Der Text ist Teil des aktuellen Schwerpunkts des ballesterer in der ballestererin-Ausgabe, der sich mit dem Fußball der Frauen in Österreich beschäftigt. Wir eröffnen ihn exklusiv online.
Autor: Philipp Eitzinger