Ein altes Schwarz-Weiß-Foto, auf dem im Bildhintergrund Zuschauer*innen sind, im Vordergrund ein Fußballfeld, auf dem in dem Bildausschnitt drei Frauen sind. Links im Bild Lore Barnhusen, sie trägt ein weißes Trikot mit schwarzem Kragen und Adler auf der Brust, dazu eine schwarze ose, helle Stutzen und dunkle Schuhe. Ihr Blick geht auf zwei weitere Spielerinnen, die mit dem Rücken zur Kamera stehen, die in der Bildmitte anhand ihres Dresses als Gegnerin erkennbar, die rechts als Mitspielerin. Sie hat die Nummer 5 auf dem Rücken. Die beiden kämpfen um den Ball. Credit: IMAGO/Funke Foto Services

Die erste EM der Frauen – 1957

Die Geschichte des Frauenfußballs ist auch eine der Verbote und unfreiwilligen Unterbrechungen. Inwieweit diese Phasen Anerkennung finden, wird von den nationalen Verbänden sehr unterschiedlich gehandhabt. Der DFB könnte hier von anderen europäischen Fußballnationen lernen.

Spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg versuchten nahezu alle Fußballverbände, Frauen das Fußballspielen zu verbieten. Oder es Ihnen zumindest so schwer wie möglich zu machen. Auf eine Anfrage des Verbandes in Nicaragua zum Frauenfußball antwortete der Weltverband 1951: „Die FIFA hat sich noch nie mit Frauenfußball beschäftigt.“

Das Mutterland des Frauenfußballs – von Essen bis Berlin

Doch, so schreibt es die 100-Jahres-Festschrift der FIFA, schon kurz darauf gab es Hoffnung: Frauen, auch in Europa, spielten nicht nur Fußball, sondern fingen auch an, sich in Vereinen und Verbänden zu organisieren. Das erste internationale Großturnier im Frauenfußball wurde 1957 von der „International Ladies Football Association“ (ILFA) in Berlin organisiert, so schreibt es die FIFA heute. Eine inoffizielle Europameisterschaft, an der neben den Gastgeberinnen auch England, die Niederlande und Österreich teilnahmen. Luxemburg, ebenfalls eingeladen, sagte kurzfristig ab. 

„Nein, wir sind vergessen worden. Das ist mehr als traurig.“

Lore Barnhusen auf die Frage nach einer Jubiläumsfeier

Lore Barnhusen auf einer Schwarz-Weiß-Aufnahme, sie ist leicht im Profil zu sehen, ein Haareif in den kurzen Locken, sie lächelt. In ihrer Hand hält sie einen Fußball, auf dem weißen Trikot mit dem schwarzen Kragen prangt der Bundesadler. Sie trägt Nagellack und Lippenstift. Credit: IMAGO/Funke Foto Service

In Deutschen Medien, auch in zeitgenössischen, findet sich bemerkenswert wenig über dieses historische Ereignis. Während die Europameisterinnen von 1957, England, regelmäßig von der Stadt Manchester, dem englischen Verband oder dem Club Manchester City geehrt werden, lässt sich eine Spielerin von damals, Lore Barnhusen, auf die Frage nach einer Jubiläumsfeier mit den Worten „Nein, wir sind vergessen worden. Das ist mehr als traurig“ zitieren.

Die Anfänge im Ruhrgebiet

Die Geschichte des internationalen Fußballs in den 1950ern beginnt mit der Gründung des „Westdeutschen Damen Fußball-Verband“ (WDFV) in Essen 1955. In der Mitteilung zur Vereinsgründung heißt es, dass die Gründerinnen die ablehnende Haltung des DFB gegenüber des Frauenfußballs bedauerten und ihn für die „Zersplitterung des Fußballsports“ verantwortlich machten, „weil er die Gepflogenheiten demokratischen Denkens unterminiere und der deutschen Frau das Recht zum Fußballspielen zu nehmen versuche“, wie das Hamburger Abendblatt am 6. August 1955 berichtete. 

Präsident des Verbands ist der Geschäftsmann Willi Ruppert aus Essen, der vor allem wirtschaftlich ein großes Geschäft wittert. Ein Jahr nach der Gründung findet er eine Lösung, wie er auch ein Nationalteam, ganz ohne DFB, organisieren kann. Er mietet das städtische Ernst-Stinnes-Stadion in Essen und verspricht der Stadt, dass 10% der Einnahmen direkt an die Stadtkasse fließen. Die Spielerinnen, die aus verschiedenen Teams und vor allem aus dem Ruhrgebiet kommen, erhalten jeweils 50 DM. Lore Barnhusen berichtet später, dass sie zuvor noch nie einen so großen Schein gesehen habe. All das rechnet sich, weil 18.000 zahlende Zuschauende alleine zu diesem ersten Spiel gegen die Niederlande kommen, um die Spielerinnen in weißen Trikots mit dem Adler auf der Brust die Hymne singen und spielen zu sehen. Deutschland gewinnt sein Debüt am Ende mit 2:1.

Der Kampf gegen den Sport

Die Öffentlichkeit, auch die mediale, ist begeistert von diesem ersten und den zahlreichen Spielen, die der WDFV – und später auch der Deutsche Damen Fußball Bund DDFB und der Damen-Fußballverband Berlin DFB – organisieren. Der DFB hingegen, der seit 1955 versucht, das Spiel zu verbieten, tobt. Nach einem Länderspiel der Frauen in München schreibt der damalige Generalsekretär des DFB, Dr. Georg Xandy, an den Oberbürgermeister der Stadt. Er sei zutiefst enttäuscht, dass Städte wie Frankfurt oder München dem DFB in seinem „Kampf gegen den Damenfußball gleichsam in den Rücken gefallen“ sind. Er droht weiter, dass der DFB keine größeren Männer-Fußballspiele mehr in Städten austragen wird, in denen die Auswahl der Frauen auflaufen darf.

Die Spiele gehen trotzdem weiter. Gut belegt ist etwa ein Spiel der deutschen Frauen-Nationalmannschaft gegen England in Stuttgart 1957. Die Engländerinnen wurden von dem ersten ausländischen „Spieler des Jahres“ in England begleitet – dem deutschen Torwart von Manchester City, Bert Trautmann. Er fungierte als Übersetzer und Botschafter und machte den Anstoß bei dem Spiel im Neckarstadion, zu dem – je nach Quelle – zwischen 12.000 und 40.000 Zuschauende kamen. Das BBC drehte damals einen kurzen Nachrichtenbeitrag über das Spiel.

Auch in deutschen Medien wird die Partie wahrgenommen. So berichtete etwa das Hamburger Abendblatt, dass „Deutschands Fußball-Damen“ den Favoritinnen aus England ein Unterschieden abtrotzen und beide Mannschaften trotz strömendem Regens „ein technisch nettes Kombinationsspiel“ zeigten.

Die EM und das Chaos

Später im selben Jahr ist es dann soweit: Im Berliner Mommsenstadion findet die erste Frauen-Europameisterschaft statt. Die Ergebnisse der Halbfinalspiele am 2. November lassen sich heute nicht mehr rekonstruieren. Am 3. November aber gewannen die Niederlande durch ein 8:1 gegen Österreich die Bronzemedaille. Im großen Finale standen sich die deutsche Auswahl und die Engländerinnen gegenüber. Die Engländerinnen triumphierten mit 4:0 und gewannen so den ersten EM-Titel der Geschichte.


Die Europameisterinnen 1957 mit dem EM-Pokal und anderen Trophäen in Manchester
Quelle: Tamesidesop Blog

Doch das Turnier war wohl nicht der erhoffte Erfolg. Zwar kamen auch hier über 10.000 Zuschauende zu den Spielen – Ruppert rechnete aber offenbar mit wesentlich mehr. Am Ende konnte er Rechnungen für Busse und Hotels offenbar nicht zahlen. Nur 11 Tage nach dem Finale berichtete das Abendblatt, dass Ruppert wegen „Zechprellerei“ in West-Berlin festgenommen wurde. Sie sollen „einige tausend Mark Schulden“ gemacht haben. Ruppert verschwand daraufhin von der Bildfläche – Gerüchten nach in die DDR. Seine Verbände lösten sich offenbar auf.

Nur der Westdeutschen Damen Fußball-Verband überlebte und organisierte bis 1965 noch bis zu 150 weitere Länderspiele. Ein nächstes Turnier gab es jedoch erstmal nicht. Die englischen Siegerinnen reisten um die Welt und organisierten Spiele und Turniere in Venezuela oder Marokko – auf Plakaten steht auch Mitte der 1960er-Jahre noch „Holders European Cup in Berlin“. Eine deutsche Nationalmannschaft läuft erst 1970 wieder bei einem Turnier auf – einer WM in Italien. 

Was bleibt

Die Geschichte der Nationalmannschaft(en) der 1950er-Jahre ist in Deutschland inzwischen fast vergessen. Der DFB spricht bis heute davon, dass 1982 das „erste Länderspiel einer Frauen-Nationalmannschaft“ stattfand. Die anderen drei Teilnehmerinnen der EM 1957 erkennen hingegen die Spiele alle an. Beim ÖFB in Österreich ist die Rede von „Auswahlmannschaften“, die gegen „ausländische Teams“ antraten. Beim niederländischen Verband wird das Spiel in Essen 1956 hingegen ganz konkret als erstes Länderspiel erwähnt.

In der englischen Verbandshistorie wird heute darauf verwiesen, dass man das Turnier 1957 in Berlin gewinnen konnte. Während man im europäischen Ausland also erkannt hat, dass die Nicht-Anerkennung sportlicher Leistungen von Frauen in der Vergangenheit ein Fehler war, weil diese gleichwertiger Teil der nationalen Fußballgeschichte ist, wertet der DFB weiterhin jeden Teil der Geschichte den er nicht selbst geschrieben hat als „inoffiziell“ ab.

Mehr zu langen Tradition des Frauenfußballs und den vielen vergessenen und wiedergefundenen Geschichten aus dem internationalen Fußball findet ihr bei Legende Verloren.

Beitragsbild & Foto Lore Barnhusen: IMAGO/Funke Foto Service

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Legende Verloren ist der Podcast über die vergessenen Geschichten des deutschen und internationalen Frauenfußballs von und mit Franzi und Sascha. Die beiden sprechen mit Zeitzeug*innen, knüpfen Verbindungen zwischen Gestern und Heute, recherchieren in Archiven und graben Verborgenes aus, um von den verlorenen Legenden der Fußballgeschichte zu erzählen. Dabei bleibt der Podcast nicht in Deutschland, sondern schaut über die Grenzen von Ländern und Kontinenten. Die technische Unterstützung kommt von „FRÜF – Frauen reden über Fußball“. Ehemalige Mitglieder der Podcastcrew sind Freddy Mo Wenner, Helga Hansen, Sven (Lottes Erbinnen), Sunny Wyrich und Petra Tabarelli.

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