Manuela Zinsberger, die dunklen Haare zu einem Dutt am Hinterkopf gedreht, im ÖFB-Dress, hinter ihr sehr viel Wiese, man sieht an ihrer Körperhaltung, dass sie in der Bewegung ist. Credit: Christopher Glanzl/ÖFB

„Fuck it, der Sechzehner gehört mir“

Die EM 2022 in England war für Manuela Zinsberger sozusagen ein Heimspiel: Sie steht seit 2019 bei Arsenal im Tor – und ist eine der Stützen des österreichischen Nationalteams. Mit dem möchte sie sich nun für die EM 2025 in der Schweiz qualifizieren. Vorm Spiel gegen die deutsche Elf teilen wir diese gekürzte ballesterer-Archivperle. Darin spricht die Torfrau über Vorsprünge im Kopf und ihre Liebe zum Dreck.

Gerade einmal 15 Minuten fährt man mit der Bahn aus Nordlondon nach Saint Albans. Hier wohnt Manuela Zinsberger, Torfrau des österreichischen Nationalteams und des Arsenal FC. Für das Gespräch mit dem ballesterer im Mai 2022 hat sie ein kleines Café in der gut besuchten Einkaufsstraße vorgeschlagen. „Erst einmal einen Kaffee bestellen, ich habe Zeit“, sagt Zinsberger. Am Vortag stand sie noch 25 Kilometer weiter südlich beim Nordlondoner Derby im Tor. Den 3:0-Sieg gegen Tottenham konnte ihr Team vor 13.500 Fans im großen Stadion feiern – die Heimspiele finden ansonsten meist vor einer deutlich überschaubareren Kulisse im 4.500 Zuschauer fassenden, eher ländlich gelegenen Meadow Park statt.

Paul Vogt: Welche Bedeutung hat das Derby gegen Tottenham bei den Frauen?
Manuela Zinsberger: Es wird total gefeiert. Man freut sich auf jedes Spiel, aber das Derby hat einen besonderen Stellenwert bei Arsenal. Dass wir im Stadion in der Stadt spielen, drückt das aus. Auf diesem Rasen, dazu 3:0 gewonnen – das war pure Euphorie.

Wie ist die Stimmung in England generell?
Der Fußball der Frauen hat in England einen ganz anderen Stellenwert, hier kommen deutlich mehr Fans regelmäßig ins Stadion. Wir haben also eine bessere Atmosphäre und vielleicht auch mehr finanzielle Möglichkeiten als andere Ligen. Hier stehen die großen Klubs dahinter, und dann spielst du eben auch einmal im großen Stadion.

„Es spielt sich so viel im Kopf ab. Ich kann meine Physis trainieren, aber um auf den Ball zu springen, muss ich eine Arschlochmentalität haben.“

Manuela Zinsberger, Keeperin Arsenal FC

Sie haben schon Erfahrung mit großen Spielen. Wie werden die jüngeren Spielerinnen darauf vorbereitet?
Im ÖFB legen wir sehr viel Wert auf Mentaltraining: in Einzelgesprächen mit unserer Mentaltrainerin, in Kleingruppen und im ganzen Team. Wir tauschen unsere Gedanken aus und bereiten uns auf Szenarien vor: Lautstärke! Da kannst du zum Beispiel auf dem Platz nicht mehr kommunizieren. Was im Kopf abgeht, ist wichtig. Du musst ruhig und bei dir bleiben. Die Selbstgespräche, die du vor, während und nach dem Spiel führst, sind das Entscheidende.

Manuela Zinsberger im ÖFB-Dress in der Hocke, sie schaut an der Kamera vorbei. Hinter ihr Natur, sie ist auf dem Rasen, rechts im Anschnitt und ohne Fokus das Tor. (Credit: Christopher Glanzl/ÖFB)
Voll fokussiert auf die EM-Qualifikation: Keeperin Manuela Zinsberger (Foto: Christopher Glanzl/ÖFB)

Wird das Mentaltraining schon länger beim ÖFB praktiziert?
Schon immer. Dazu entwickelt sich jede weiter, so wie sich die Mentaltrainerin weiterentwickelt und neue Aspekte einzubringen versucht. Sie ist ein Bindeglied zwischen Trainerteam, übrigem Staff und Mannschaft. Ich finde das sehr wichtig. Es spielt sich so viel im Kopf ab. Ich kann meine Physis trainieren, aber um auf den Ball zu springen, muss ich eine Arschlochmentalität haben. Da sage ich: „Fuck it, der Sechzehner gehört mir.“ Ich lese auch viel dazu, wie du dich vorbereiten kannst, noch bevor du einen Ball spielst oder eine Hantel in die Hand nimmst. Das ist unglaublich.

Was ist Ihre Rolle im Nationalteam?
Ich denke, dass ich eine gewisse Vorbildfunktion habe und die jungen Spielerinnen pushen kann. Als Führungsspielerin muss ich aber auch die ganze Mannschaft nach vorne bringen, präsent sein und Leistung zeigen.

„Ich will nicht nur in der Liga, sondern überall die Beste sein.“

Manuela Zinsberger, Nationaltorhüterin Österreich

Ist der Spielstil in England in der Liga härter als in Deutschland, wo Sie zuvor gespielt haben?
Deutschland ist für das Robuste zuständig, England für die Geschwindigkeit. Das Spiel ist hier auch robust, aber auch viel intensiver. Laura Wienroither, die im Jänner von Hoffenheim zu Arsenal gekommen ist, hat als Erstes gesagt: „Krass, geht das schnell.“ Wenn wir ein Rondo spielen, geht das zack, zack, zack. Da muss man schalten und schauen, dass der erste Kontakt gut ist.

In der Liga stehen Sie als Torfrau in allen wichtigen Statistiken ganz vorne. Wo wollen Sie sich noch verbessern?
Ich will nicht nur in der Liga, sondern überall die Beste sein. Es läuft für mich gerade sehr gut, ich habe die meisten Spiele gespielt und bin fit. Aber es gibt Punkte, in denen ich besser werden kann. Zum Beispiel mit meinem linken Fuß. Auch die Strafraumbeherrschung ist ein Thema für mich, Beweglichkeit, das Eins-gegen-eins. Auch wenn du glaubst, du bist gut genug, geht immer mehr. Als ich zu Arsenal gekommen bin, habe ich gedacht, dass noch zehn Prozent Luft nach oben sind. Jetzt sind es gefühlt immer noch 30 Prozent.

Thema Strafraumbeherrschung und mentale Stärke. Ich habe mich immer schon gefragt, ob Torfrauen und Tormänner nicht etwas …
Sagen Sie es ruhig!

… wagemutig sind, sich so dem Ball entgegenzuwerfen.
Der Ball ist scharf, aber ich kann ja meine Hände benutzen – im Gegensatz zu den Feldspielerinnen. Die müssen den Kopf hinhalten, wenn eine hart geschossene Flanke auf sie zukommt. Ich verstehe, dass es heftig wirkt, sich abschießen zu lassen, aber ich bin ein Dorfkind. Ich liebe es, mich im Dreck zu wälzen und mit dem Kopf durch die Wand zu gehen. Das Spiel mit dem Risiko ist auch nicht immer von Vorteil, du kannst einerseits der Hero werden, bist aber auch schnell der Buhmann. Also wahrscheinlich muss man schon ein bisschen verrückt sein, um im Tor stehen zu wollen. Das habe ich mittlerweile akzeptiert.

Welche Rolle spielen die Rahmenbedingungen bei Arsenal für Ihre Leistung?
Es ist von Vorteil, einen großen Verein hinter sich zu haben. Ich nutze das auch alles aus. Es ist wichtig, sich in jedem Bereich zu hinterfragen. Wir haben eine Ernährungsberaterin und Ärzte vor Ort, wir haben individuelle Fitnessprogramme, trainieren mit individuell abgestimmten Plänen. Das alles macht einen Unterschied.

Manuela Zinsberger steht zwischen zwei Palmen wie in einem Tor, die Hände in die Hüften gestemmt. Hinter ihr eine Art Maschenzaun, im Bildvordergrund in der Unschärfe Beine, daneben ein Fußball. (Credit: Christopher Glanzl/ÖFB)

Manuela Zinsberger startete ihre Karriere beim SV Neulengbach, ehe sie 2014 zum FC Bayern wechselte, seit 2019 steht sie bei Arsenal
im Tor. 2017 erreichte die gebürtige Weinviertlerin mit dem österreichischen Nationalteam das EM-Halbfinale.

Wie ist die Unterstützung darüber hinaus?
Es gibt zum Beispiel die Professional Footballers Association, also die Gewerkschaft. Mitglieder bekommen wirklich viele, richtig coole Angebote. Seien es Aus- und Weiterbildungen oder juristische Hilfe, wenn du Probleme mit dem Verein hast. Und sie helfen auch bei mentalen Problemen. Dazu gibt es eine lustige Geschichte, die gleichzeitig sehr wichtig ist. Die PFA hat einen Onlinevortrag bei Arsenal gehalten, und wir haben danach einen Fragebogen ausgefüllt. Eine Frage war: „Wenn ich mentale Probleme habe, welche Lösung brauche ich?“ Da habe ich „Therapie“ angekreuzt, weil ich an unsere Mentaltrainerin beim ÖFB gedacht habe. Wenn ich Probleme habe, rede ich mit ihr. Plötzlich habe ich drei Anrufe in Abwesenheit gehabt. Das war der Mensch von der PFA, der fragen wollte, wie es mir geht. Gemeint war die Frage nämlich als „Was benötigst du gerade?“ Und er hat mich angerufen, bis er mich erreicht hat. Das zeigt, wie ernst das genommen wird. Das brauchen wir in jedem Verband, unabhängig vom Geschlecht.

Können Sie sich vorstellen, noch einmal nach Österreich zurückzugehen?
Aus sportlicher Sicht nicht. Ich bin zufrieden in England und mit meiner Entwicklung. Wenn der eine oder andere Titel dazukommt, wäre es natürlich noch schöner. Aber ich möchte nächstes Jahr mit meiner Verlobten zusammenziehen. Ob das jetzt in England oder woanders ist – da kann so viel passieren. Sie hat da mitzureden, sie ist der wichtigste Teil in meinem Leben. Aber damit befassen wir uns, wenn es so weit ist.

Der Text ist zuerst erschienen im ballesterer. Manuela Zinsberger und ihre ehemals Verlobte Madeleine sind seit Juni 2023 verheiratet. Wir sagen herzlichen Glückwunsch!

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Der ballesterer wurde im Jahr 2000 in Wien gegründet, um anders über Fußball zu berichten – fannah, gesellschaftspolitisch und unabhängig. Angefangen hat es mit 300 selbstkopierten Exemplaren, die vor den Stadien verkauft wurden. Heute ist das Magazin mehrfach ausgezeichnet und eine Fixgröße in der Fußballberichterstattung. Der ballesterer erscheint neunmal jährlich, seit 2021 kommt einmal im Jahr die monothematische ballesterer bibliothek im Buchformat hinzu. Erhältlich sind beide in Österreich, im deutschen und Schweizer Bahnhofsbuchhandel und im Webshop.

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