
Entschieden wird auf dem Platz
Es ist ein Szenario, das Fußballfans auf der ganzen Welt kennen und lieben – oder fürchten: Das Spiel steht unentschieden nach 90 Minuten. Und wie wird nun das siegende Team entschieden? Das bestimmen die jeweiligen Wettbewerbsregeln. Die übliche ist die Verlängerung und – wenn das Spiel weiterhin unentschieden ist – das Elfmeterschießen. Aber das war nicht immer so und es gab auch schon skurrile Methoden, um das siegende Team zu küren.
Das Elfmeterschießen
Gibt es seit 1970. Erst, möchte man sagen, denn gefühlt gehören die „Kicks from penalty mark“ oder „penalty-shootout“ ganz fest und seit ewig zum Fußball, oder? Aber tatsächlich ist diese Methode, ein siegendes Team zu bestimmen, erst gut ein halbes Jahrhundert alt.
Aber es hat sich bewährt. Das zeigt sich auch darin, dass die Bestimmungen rund um das Elfmeterschießen in diesen gut 50 Jahren kaum verändert wurden. Grundsätzlich gilt für die Ausübung des Elfmeterschießens alles, was in Regel 14 („Strafstoß“) beschrieben ist und ihr kennt das Prozedere sicher alle:
Es gibt zunächst einen Münzwurf, um das Tor zu bestimmen und dann noch einen zweiten. Wer den zweiten gewinnt, kann bestimmen, ob sein Team mit den Strafstößen beginnt oder jeweils nachlegt. Zunächst gibt es fünf Schüsse pro Team. Ist es dann noch immer unentschieden, hat jedes Team einen weiteren Schuss. So lange, bis ein Team trifft und das andere verschießt.
Der Münzwurf
Das ist die Antwort auf die Frage „Und was machte man vor 1970, ohne Elfmeterschießen?“. Es wurde schlicht eine Münze geworfen. Eine reine 50:50-Chance, ganz ohne Spannung und Emotion und mitunter unfairer als das Elfmeterschießen. Beides – Fairness und Happening/Eventcharakter – das waren schon vor über 100 Jahren die Treiber der Fußballregeln und sind es noch heute. Und das ist der Grund, weshalb der Münzwurf durch das Elfmeterschießen ersetzt wurde.
Historisch gesehen ist der Münzwurf als Entscheidung so alt wie das Fußballspiel selbst, zumindest in England, wo vor 200 Jahre an den Privatschulen schon der Münzwurf eingesetzt wurde. Und vor Anpfiff eines Spieles hat er sich bis heute erhalten.
Der Touchdown & das Rouge
Bleiben wir mal im 19. Jahrhundert. Es ist schon skurril, aber tatsächlich wurden unentschiedene Spiele durch etwas gewonnen, dass „Rouge“ oder in den FA Rules für eine Saison „Touchdown“ hieß. Es ist nicht das gleiche wie ein Touchdown im American Football, aber es ging in diese Richtung.
Vielleicht erinnert ihr euch noch zum Thema Einwurf, dass vor 1886 in England das Team den Einwurf erhielt, dass den Ball im Aus als erstes dort berührte. Das ist im Grunde auch das Prinzip für Touchdown und Rouge, allerdings nur für Schüsse hinter die Torlinie (und nicht ins Tor, obviously).
Diese Variante gab es fünf den Regeln
- am Eton College („Rouge“ im Eton Field Game, mindestens seit 1847 bis heute, aber mittlerweile verändert),
- am Cheltenham College („Rouge“, mindestens 1871/72)
- beim Sheffield FC („Rouge“, 1862-1867),
- an der Cambridge University („Touchdown“, mindestens 1863/64) und
- in der London FA („Touchdown“, nur 1866/67).
(Sonderfall Cheltenham College: Hier konnte ein Rouge nach jedem Tor erzielt werden (ähnlich dem Point after Touchdown im American Football). Außerdem konnte ein Team nach 3 Toren oder 9 Rouges auf einen Seitenwechsel bestehen.)
Die Auswärtstorregel
Über Jahrzehnte hinweg bestimmte sie bei Gleichstand in Hin- und Rückspielen internationaler Wettbewerbe den Fortgang eines Turniers durch zusätzliches Gewicht von Auswärtstoren. Sie war eine Erfindung vom damaligen UEFA-Generalsekretär Hans Bangerter und wurde 1968-2021 in UEFA-Wettbewerben, aber auch bei anderen nationalen und internationalen Wettbewerben verwendet.
Seit Anfang der 2020er Jahre wird sie fast gar nicht mehr eingesetzt, weil die Zeit sie überholt hatte. Denn die Nachteile für auswärts spielende Teams ist schon lange nicht mehr so groß wie in den 1960er Jahren. Und, ganz ehrlich, wieso sollte ein Remis besser sein als ein anderes?
Golden Goal & Silver Goal
Wer erinnert sich nicht an Begriffe wie ‚Golden Goal‘ oder ‚Silver Goal‘? Zwischen 1994 und 2004 sorgten diese Regeln für einige der dramatischsten Momente im internationalen Fußball – ein einziger Treffer konnte plötzlich alles entscheiden!
Aber… auch das gab’s schon früher und war mit Münzwurf und einer kompletten Neuansetzung das übliche Verfahren bei Unentschieden vor dem 2. Weltkrieg. Beispielsweise gab es den „sudden death“ beim Cromwell Cup 1868 zwischen Sheffield FC and Garrick FC. Eigentlich sollte per Münzwurf das Spiel entschieden werden, doch die Team einigten sich darauf, solange weiterzuspielen, bis ein Tor fiel.
In Deutschland galt ähnliches für Meisterschaftsspiele etwa zwischen 1920 und möglicherweise sogar bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts hinein.
Das „Golden Goal“ wurde erstmals 1993 bei FIFA-Wettbewerben eingesetzt. Ab 2002 folgte das Silver Goal bei UEFA-Wettbewerben. Beide Varianten wurden im Sommer 2004 abgeschafft.
Noch mehr Möglichkeiten
Sicher gab es in der Geschichte des Fußballs noch viele weitere Ideen, um unentschiedene Spiele zu entscheiden. Beispielsweise war es vor knapp 100 Jahren in Österreich und Irland üblich, die Anzahl der Eckstöße als Kriterium zu verwenden. Smells like Rouge/Touchdown Revival.
Zugegeben, einige dieser althergebrachten Methoden klingen heute nahezu bizarr in unseren Ohren gewöhnt an technologische Hilfsmittel wie VAR, GLT und SAOT. Doch gerade diese Kuriositäten zeigen doch, wie sich der Fußball entwickelt. Ob zum Guten oder Schlechten sei dahingestellt und kommt auf Perspektive und Ambitionen an. Aber ein Blick auf die Entwicklung der Fußballregeln gibt manchmal eine Antwort auf Sinn-Fragen über die Regeln. Oder sie lassen uns einfach mal schmunzeln.
Beitragsbild: IMAGO / Offside Sports Photography