Die Generalsekretäre von Nordirland, Wales, England und Schottland sowie der Interims-Generalsekretär der FIFA in der Pressekonferenz im Anschluss an die AGM 2024. Auch zu der Verlängerung des erlaubten Handspiels der Torleute wurden Fragen gestellt. Credit: IMAGO / PA Images

Handspiel erlaubt

Wir befinden uns im Jahre 2024. Auf der ganzen Erde ist ein Handspiel für alle Spieler*innen beinahe immer strafbar… beinahe immer? Nein! Es gibt eine Person pro Team, die den Ball ganz selbstverständlich und viele Male im Spiel mit der Hand berühren darf. Und manchmal macht sie das sehr lange. Zu lange?

Seit 1871 ist das Handspiel in allen Fußballregeln verboten. Davor war in vielen regionalen und lokalen Regeln noch der Fair Catch (= direktes Fangen des Balles aus der Luft) erlaubt. Als Belohnung gab es einen ungehinderten, also freien Schuss – den Freistoß.

Torhüter*innen gab es zu dieser Zeit schon, doch keine Unterscheidungspflicht in den Regeln. Schließlich durfte bis 1871 jede*r Spieler*in fangen. Somit gab es in den Regeln keinen Passus über ein erlaubtes Handspiel, um ein Gegentor zu verhindern.

Wo war das Handspiel erlaubt?

Wer nun glaubt, dass 1871 das Handspiel der Torleute auf den eigenen Strafraum beschränkt wurde, wird enttäuscht: In diesem Jahr wurde lediglich festgelegt, dass nur eine Person pro Team den Ball fangen darf, um das eigene Tor zu schützen. Diese Person durfte auch während des Spiels wechseln, sofern die Umpires und der Schiedsrichter am Spielfeldrand vorher informiert wurden. Eine Beschränkung gab es allerdings erst 1882, so dass es von 1871 bis 1882 offenbar noch einer Person erlaubt war, den Ball auf dem gesamten Spielfeld zu fangen!

1882 dann die erste Eingrenzung. Nein, immer noch nicht der Strafraum, sondern zunächst nur die eigene Hälfte. Erst dreißig Jahre später, 1912, folgte die bis heute gültige Beschränkung auf den eigenen Strafraum.

„Goalkeepers, like poets, are born, not made.“

John Cameron zu Beginn seines Kapitels über Torhüter in „Association Football and How to Play It“, 1908.

Dass bei einem Handspiel die Absicht entscheidend ist und das schon immer so war, stimmt… Aber irgendwie auch nicht. Es stimmt für den deutschen Regeltext, aber nicht für das englische Original. Das Problem liegt in der Übersetzung von „wilfully“, „intentionally“ und „deliberately“ – eine Aufweichung der Absicht im Laufe der Jahrzehnte, deren Entsprechung im Deutschen in allen drei Fällen „absichtlich“ ist. Die Übersetzung des Wortes ist also nicht klar und offensichtlich falsch (pun intended, scnr).

Fahrlässig trifft es eher

Während bei „wilfully“ der bewusste Wille bereits im Namen enthalten ist und bei „intentionally“ noch eine bewusste Intention vorliegt, ist dies bei „deliberately“ schon schwieriger. Es gibt im deutschen Strafrecht keine Entsprechung, aus der sich Umfang und Bedeutung eindeutig ableiten ließen. Der Eventualvorsatz kommt am nächsten, ist aber auch nicht völlig deckungsgleich.

Eventualvorsatz bedeutet – ganz kurz und oberflächlich – „billigend in Kauf nehmen“. Wenn ich auf der Autobahn fahre, die Geschwindigkeitsbegrenzung ignoriere und geblitzt werde, dann habe ich mich strafbar gemacht. Ich bevorzuge das Wort „fahrlässig“, um „deliberately“ zu übersetzen, aber auch hier gilt: Es ist keine immer gültige Übersetzung in Bezug auf das Fußballspiel.

Auch sechs mach acht

Kommen wir nach dieser Fußball-Regelphilosophie zurück zu unseren Torhüter*inne und ihrem erlaubten Handspiel, um ein Tor zu verhinden – das ist der eigentliche Grund für das Handspiel und die Existenz der Torhüter*innen. Vielleicht habt ihr schon gehört, dass es Versuche gibt, die Dauer des Handspiels von sechs auf acht Sekunden zu erhöhen.

Und ihr ahnt sicher auch, dass die sechs Sekunden nicht ewig gelten werden. Viele werden sich sogar noch an die letzte Änderung erinnern, denn das war erst im Jahr 2000. Davor gab es keine Zeitvorgabe, sondern eine Schrittzahl. Um dem Spiel mit der Zeit einen Riegel vorzuschieben, wurden aus vier Schritten sechs Sekunden.

Auch werfen und springen ist tragen

Zunächst gab es überhaupt keine Vorgaben und Regeln. Das änderte sich erst 1873 – zwei Jahre nach dem Verbot des Fair Catch. Offenbar war es nun notwendig geworden, für alle schriftlich festzuhalten, was erlaubt war: „shall not carry the ball“ galt von 1872 bis 1931, wobei ab 1883 in einer Fußnote hinzugefügt wurde, dass „carry“ erst ab drei Schritten galt. Erlaubt waren also zwei Schritte. Dann kam für fast siebzig Jahre die Vier-Schritte-Regel.

Wer in den Schiedsrichterzeitungen blättert, erfährt schmunzelnd, dass die Torleute versuchten, diese Beschränkung zu umgehen, und dass der DFB – zumindest in Deutschland – daraufhin Vorschriften erließ: Nein, drei Schritte gehen, dann den Ball auf den Boden prellen oder werfen und dann vier Schritte gehen, das ist nicht regelkonform. Nein, ein Sprung auch nicht.

Bitte nicht bei der EM testen

… oder wenn es ausprobiert wird, dann bitte aus 2019 lernen und alle vorher genau informieren! Denn klar ist: Die Ausweitung von sechs auf acht Sekunden ist eigentlich eine Einschränkung, weil die sechs Sekunden bisher nur sehr schwammig eingehalten wurden. Eigentlich müsste man sagen: Wir begrenzen das Handspiel, das manchmal 10 bis 15 Sekunden gedauert hat, jetzt auf acht Sekunden und(!) wir achten genauer auf die Einhaltung, um das Zeitspiel zu reduzieren.

Ihr erinnert euch sicher alle noch an 2019: Bei einem Strafstoß durften sich Torhüter*innen bisher nur(!) auf der Linie bewegen. Nicht davor und nicht dahinter. Nur hat das niemand so genau kontrolliert. 2019 dann die Regeländerung: Ein Fuß darf bei der Ausführung vor der Linie sein, aber das wird jetzt genau kontrolliert.

Das wäre alles gut gewesen, wenn es besser kommuniziert worden wäre, denn offensichtlich wussten die wenigsten Torhüterinnen, dass die Fußstellung jetzt genau eingehalten werden muss. Verwarnungen und wiederholte Strafstöße waren die Folge. Ähnliches befürchte ich für das Handspiel der Torleute, wenn es wieder nicht gut kommuniziert wird.

Wer sich über die anderen fünf Testphasen und weitere Änderungen (nur Klarstellungen) informieren möchte, sei auf die FRÜF-Kolumne „Keine Zeitstrafe, aber sechs Testphasen“ von mir verwiesen, die am vergangenen Montag erschienen ist.

Beitragsbild: IMAGO/PA Images

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Petra Tabarelli ist Fußballhistorikerin und -journalistin. Die Spezialistin für die Entwicklung der Fußballregeln schreibt für die DFB-Schiedsrichter-Zeitung, ist als Expertin im Deutschlandfunk zu hören und hat als Beraterin fürs IFAB gearbeitet. Tabarelli ist Mitglied des prämierten Kollektivs „FRÜF“ und setzt sich in der web.de-Kolumne für eine stärkere Präsenz und Förderung von Schiedsrichterinnen im Fußball der Männer ein. 2023 wurde sie zum Mitglied der Deutschen Akademie für Fußball-Kultur ernannt. Zudem hat die Expertin die erste Biografie über den zu Lebzeiten sehr bekannten Simon Rosenberger geschrieben, einen jüdischen Fußball-Pionier und Begründer der DFB-Schiedsrichter-Zeitung, der zuvor aus der Geschichte getilgt worden war.

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