
Jedes Jahr neue Regeln – warum? Die Entstehung des IFAB.
IFAB – das ist die Abkürzung für International Football Association Board. Jedes Jahr treffen sich ein paar Personen und beraten über Regeländerungen. Morgen ist es wieder soweit und es geht beispielsweise um die blaue Karte für Zeitstrafen und den Abstoß der Torleute, der gerne für Zeitspiel genutzt wird, obwohl er laut Regeltext nicht sechs Sekunden überschreiten darf.
Aber warum gibt es das IFAB überhaupt? Und müssen wirklich ständig neue Regeln erfunden werden?
Eigentlich sagt der Name schon alles: Das IFAB ist ein Gremium („Board“) der Fußballverbände („FA“) für internationale Angelegenheiten.
Um es verständlich zu machen, reisen wir zurück ins Großbritannien des späten 19. Jahrhunderts. (Lest hier mehr über die Entstehung der englischen Fußballregeln.) Die Londoner FA setzte sich als nationaler Fußballverband durch. Auch in Schottland, Wales und Irland wurden Fußballvarianten gespielt, und das erste Länderspiel überhaupt, England gegen Schottland, fand bereits am 30. November 1872 auf dem Cricketspielfeld in Glasgow statt.
In den folgenden Jahren häuften sich die Länderspiele, doch sie hatten einen Nachteil: Jedes Land hatte seine eigenen Regeln. Um nicht vor jedem Spiel diskutieren zu müssen, ob man ein bestehendes Regelwerk übernimmt, in der Halbzeitpause wechselt oder für dieses eine Spiel ein völlig neues erfindet, einigte man sich für die britischen Länderspiele im Voraus darauf, immer nach den Regeln des gastgebenden Verbandes zu spielen.
Warum es das IFAB gibt
Es blieb nicht bei den Länderspielen: 1882 beschlossen die vier Verbände die Einführung eines britischen Pokalwettbewerbs, British Home Championship, der von der Saison 1883/84 bis 1983/84 ausgetragen wurde. Der gesamte Wettbewerb sollte nach den einheitlichen Regeln gespielt werden und so setzte man sich zusammen, um die unterschiedlichen Regelwerke zu vereinheitlichen und zu standardisieren.
Das Ergebnis lag 1886 vor – und gleichfalls die Gründung eines Gremiums der britischen Fußballverbände für internationale Angelegenheiten. Das IFAB. So ist zum Beispiel unsere heutige Art des Einwurfs erstmals in den Regeln für die Saison 1886/87 dokumentiert – es ist die schottische Art des Einwurfs. In England hatte bis 1886 derjenige Club der Einwurf, der den Ball im Aus zuerst berührte.
Man kann sich das wohl so vorstellen, dass die Spieler, die der Seitenlinie am nächsten standen, alle zum Ball rannten, um ihn als erster unter sich zu begraben und einen Einwurf für sein Team zu gewinnen.
Das Selbstverständnis der Briten
Ursprünglich war das IFAB ein internationaler Fußballverband, der die nationalen Verbände ergänzte, um den Spielbetrieb der Auswahlmannschaften zu ermöglichen. Ähnlich funktioniert die Organisation: Jährlich muss es eine Generalversammlung geben. Hier diskutierte der Vorstand fristgerecht eingegangene Anträge der Mitglieder – auch deren Vorschläge zu Anpassungen der Regeln oder Bitte um Einführung beispielsweise einer Schiedsperson, die aktiv am Spiel teilnimmt, nachdem sich Teamkapitäne und Umpires zu parteiisch wurden und es regelmäßig zu Streit kam. Oder nach einer besonderen Art von Freistoß für Foulspiel, das in direkter Tornähe geschah – der Strafstoß.
1904 wurde die FIFA in Frankreich gegründet, da inzwischen auch in vielen anderen Ländern der Welt Fußball gespielt wurde. Die FIFA agierte bis über den Zweiten Weltkrieg hinaus sehr kosmopolitisch, weltoffen und verstand Fußball als Mittel der Völkerverständigung nach dem olympischen Gedanken – miteinander statt gegeneinander. Allerdings war sie bis in die späten 1920er Jahre ein europäisch geprägter Verband, der erst mit der Einführung einer Weltmeisterschaft 1930 zunehmend Mitglieder aus anderen Kontinenten erhielt.
Die vier britischen Verbände nahmen die FIFA nicht wirklich ernst. Und dann schickte sich die FIFA 1912 an, Mitglied des IFAB zu werden zu wollen.
„The time is not ripe“
Wir befinden uns in der walisischen Hafenstadt Aberystwyth am 8. Juni 1912. Die jährliche Generalversammlung des IFAB findet statt und der Sekretär des walisischen Fußballverbandes öffnet einen Brief. Es ist ein Brief der FIFA.
„The Secretary read a letter he had received from the Secretary of the ‚Federation Internationale de Football Association‘, whereby a wish was expressed that the Board would invite a member of the Federation to sit on the Board.“
Protokoll der IFAB-Jahresversammlung, 1912.
Die FIFA besteht seit acht Jahren und die meisten Länder haben die britischen Laws of the Game weitgehend übernommen. Es wäre nur fair, wenn alle diese Länder eine Stimme im IFAB hätten, oder? Nun, das hielt der walisische Schriftführer im Protokoll der IFAB-Generalversammlung fest:
„The matter was carefully considered, and an interesting debate took place, all representatives taking part therein.“
Protokoll der IFAB-Jahresversammlung, 1912.
Für die britischen Vertreter war allerdings gar klar, dass auch der nicht-britischen Welt ein Mitspracherecht bei den Fußballregeln eingeräumt werden sollte. Andere Länder sollen ihnen, den Erfindern des Fußballs, wirklich reinreden dürfen?! Puh… Und so heißt es im Protokoll weiter:
„It was unanimously decided that the time is not ripe to invite a delegate to attend the Board Meetings, and the Secretary was requested to write a suitable letter to the Federation.“
Protokoll der IFAB-Jahresversammlung, 1912.
Übersetzen wir die Entscheidung mal in verständliche Worte:
„Liebe FIFA, es ist schön, dass unser Fußballspiel so beliebt bei euch ist. Aber ihr macht das ja noch nicht lange und ihr könnt es auch noch nicht so gut wie wir. Hey, das ist keine grundsätzliche Absage. Wir wollen einfach erstmal abwarten, wie ihr euch noch entwickelt. Wenn ihr euch in unserem Sinn entwickelt, dann ist eine Zusammenarbeit durchaus denkbar.“
Die FIFA wird Teil des IFAB
Doch so lange dauerte es nicht, denn nach der Absage des IFAB ging die Korrespondenz mit der FIFA erst richtig los. So sehr, dass noch vor der nächsten regulären Generalversammlung eine außerordentliche Sitzung einberufen wurde. Diese fand am 22. Februar 1913 im nordwalisischen Wrexham statt.
Wieder wurde diskutiert („A lengthy and interesting discussion took place“, heißt es im Protokoll), und am Ende machte die englische FA einen Vorschlag: Zwei FIFA-Vertreter sollten künftig an den Sitzungen des IFAB teilnehmen dürfen. Man konnte sich aber nicht wirklich einigen und vertagte die außerordentliche Sitzung um einige Wochen. Bis zur nächsten außerordentlichen Sitzung am 4. April 1913 in London ging wieder viel Post zwischen den fünf Verbänden hin und her: Der englische Vorschlag wurde schließlich von den anderen drei Verbänden angenommen, und bei der nächsten Jahreshauptversammlung am 14. Juni 1913 im nordirischen Portrush nahmen mit Baron de Laveleye und Daniel Burley Woolfall erstmals zwei Vertreter der FIFA an einer IFAB-Sitzung teil.
Ein faires Stimmrecht
Das klingt nach einem Happy End, war es aber nicht. Die vier home nations hatten sich eine Hintertür offen gelassen: Ohne die Zustimmung der Mehrheit der britischen Verbände konnte die FIFA keine Entscheidungen treffen, aber die britischen Verbände konnten die FIFA problemlos überstimmen. Das blieb bis in die frühe Nachkriegszeit so und führte auf dem Kontinent natürlich zu vielen Diskussionen über die Arroganz des IFAB.
Heute sind die vier britischen Verbände weiterhin als nationale Verbände im IFAB direkt vertreten, der Rest der Welt über die FIFA. Auch die Republik Irland wird seit der Teilung des Landes von der FIFA vertreten, während der nordirische Verband direktes IFAB-Mitglied ist. Das Stimmrecht wurde jedoch mittlerweile angepasst: Jede der vier home nations hat eine Stimme, die FIFA vier. Allerdings kann die FIFA nur en bloc abstimmen. So können die britischen Verbände nichts ohne die FIFA durchsetzen und die FIFA braucht mindestens zwei britische Verbände, um die notwendige Dreiviertelmehrheit für Änderungen der Laws of the Game zu erreichen.
Jährliche Regeländerungen wird es auch weiterhin geben
Vorschläge für Regeländerungen gibt es natürlich weiterhin und so diskutiert das IFAB auch in diesem Jahr über die Eingaben der nationalen und auch internationalen Verbände. Allerdings gibt es nicht nur die jährliche Mitgliederversammlung („Annual General Meeting“ -> AGM), sondern mehrere Gremien, die sich mit den Vorschlägen auseinandersetzen. Darunter ein Gremium mit ehemaligen Fußballspieler*innen und Trainer*innen sowie eines mit Schiedsrichter*innen, um die Vorschläge praxisnäher zu bewerten und Empfehlungen auszusprechen.
Und da Fußballregeln nie für alle optimal sein können – das ist das Wesen von Standardisierungen – wird es auch in Zukunft Anpassungen und neue Regeln geben. Für die AGM am 2. März stehen aber vor allem Diskussionen über mögliche Experimente an, beispielsweise zur besagten blauen Karte.
Beitragsbild: IMAGO / Gemini Collection